»Hm, ein blindes Gesicht, das immer weint und sich die Tränen nicht abwischen kann? Sonderbar! Ein blindes Gesicht, das ihn die Korridore entlang jagt? Hm! Hummil muß Urlaub kriegen! So bald wie möglich. Gleichgültig, ob er bei Sinnen ist, oder nicht. Ohne Zweifel ist er furchtbar zugerichtet. Der Himmel kenne sich da aus!«
Gegen Mittag stand Hummil auf, mit üblem Geschmack im Mund, aber die Augen klar und Freude im Herzen.
»Bin wohl recht krank gewesen in der Nacht, was?«
»Ich hab schon gesündere Leute gesehen. Du mußt einen Sonnenstich gehabt haben. Hör mal: wenn ich dir jetzt ein ausführliches ärztliches Zeugnis ausstelle, wirst du dann, und zwar sofort, um einen Urlaub einreichen?«
»Nein.«
»Warum denn nicht? Du hast's nötig!«
»Freilich. Aber ich kann's hier schon noch aushalten, bis das Wetter kühler wird.«
»Wozu das, wenn du doch sofort Urlaub bekommen kannst?«
»Burkett wäre der einzige, den sie mit meiner Arbeit betrauen könnten, aber der ist ein geborener Narr.«
»Mach dir deswegen doch keine Sorgen. Du bist gar nicht so wichtig hier. Telegrafiere um Urlaub!«
Hummil sah sehr besorgt drein.
»Ich kann's aushalten bis zur Regenzeit«, sagte er ausweichend.
»Nein, du kannst es nicht. Depeschiere ins Hauptquartier um Burkett.«
»Ausgeschlossen! Wenn du's durchaus wissen willst: Burkett ist verheiratet, und seine Frau hat vor kurzem ein Kind gekriegt; sie ist oben im Kühlen - in Simla. Er hat eine Freikarte und fährt jeden Samstag bis über den Sonntag zu ihr. Wenn er versetzt wird, geht sie mit ihm, und sie ist durchaus nicht sehr wohl, die kleine Person. Läßt sie das Baby zurück, so ängstigt sie sich zu Tod; und geht sie mit ihm, so stirbt sie hier bestimmt. Burkett wird darauf bestehen, daß sie mit ihm geht, denn er ist einer jener egoistischen Spießbürger, die immer behaupten, eine Frau müsse beständig um ihren Mann sein. Es ist geradezu Mord, eine Frau um diese Zeit herzubringen. Und auch Burkett hat kein so zähes Leben wie eine Ratte. Wird er herversetzt, ist's aus mit ihm; und sie hat kein Vermögen - folglich war's auch aus mit ihr. Ich bin einigermaßen abgebrüht und ledig. Wart bis zur Regenzeit; dann mag meinetwegen Burkett kommen und hier abmagern. Wird ihm auch nicht schaden.«
»Mit andern Worten, du willst also bis zur kühleren Jahreszeit dem ins Gesicht sehen, was du bisher bereits erlebt hast?«
»Ach, es wird nicht so schlimm werden jetzt, wo du mir gezeigt hast, wie ich ihm entrinnen kann. Ich kann dir ja täglich telegrafieren. Wenn ich mich wieder in den Schlaf flüchten kann, wird alles gut gehen. Um Urlaub suche ich unter keinen Umständen nach. Damit Schluß.«
»O du großer - Scott! Und ich hab geglaubt, dre Sache sei so gut wie abgemacht!«
»Quatsch. Du würdest auch nicht anders handeln. Ich bin jetzt ein neuer Mensch - dank deinem Zigarettenetui. Du kehrst nunmehr ins Lager zurück, was?«
»Jawohl; werde aber jeden zweiten Tag, wenn's mir möglich ist, nach dir schauen kommen.«
»Ach was, so krank bin ich doch gar nicht. Ich möchte dich nicht behelligen. Gib lieber deinen Kulis regelmäßig ihren Branntwein mit Pfeffersauce.«
»Du fühlst dich also wirklich ganz wohl?«
»Hinreichend, um fest im Leben, wenn auch nicht noch länger mit dir hier in der Sonne stehen zu können. Geh jetzt, altes Haus, und Gott behüte dich!«
Und Hummil kehrte sich auf dem Absatz um und wollte zurückgehen in die echoreiche Einsamkeit seines Bungalows. Das erste, was er erblickte - in der Veranda -, war sein Doppelgänger. Er hatte eine gleiche Erscheinung schon früher gehabt, als er erschöpft von Überarbeitung und Hitze beinahe zusammengebrochen wäre.
»Schon wieder - das ist bös«, murmelte er und rieb sich die Augen, »wenn das Ding plötzlich vor mir verschwindet wie ein Geist, dann weiß ich: Augen und Magen sind krank; aber, wenn es anfängt zu wandern, dann - verlier ich den Verstand«, und er näherte sich der Gestalt, die, wie alle Phantome, die einem überarbeiteten Gehirn entspringen, in immer gleichbleibender Entfernung vor ihm zurückwich. Sie glitt durchs Haus und löste sich vor seinen Augen in verschwimmende Flecke auf, sobald er in das blendende Licht des Gartens trat. Als er zum Essen ins Zimmer ging, fand er sich bereits bei Tisch sitzend. Dann erhob sich die Gestalt und eilte hinaus. Sie schien in jeder Hinsicht wirklich zu sein, nur warf sie keinen Schatten.
Niemand weiß, was Hummil in dieser Woche wohl gelitten haben mag! Die beständig zunehmenden Choleraerkrankungen unter den Kulis hielten Spurstow im Lager fest, und er depeschierte deshalb Mottram, er möge zu Hummil fahren und dort schlafen. Mottram aber war vierzig Meilen weit entfernt von der nächsten Telegrafenstation und erfuhr nichts als dienstliche Angelegenheiten, bis er Sonntag früh mit Lowndes und Spurstow zusammentraf, um sich gemeinsam mit ihnen in den Bungalow zu begeben.
»Hoffentlich treffen wir den armen Kerl diesmal in besserer Verfassung!« meinte Lowndes und schwang sich vor der Eingangstür aus dem Sattel. »Vermutlich ist er noch nicht aufgestanden.«
»Will mal hineinschauen«, sagte der Arzt, »wenn er schläft, wollen wir ihn nicht wecken.«
Einen Augenblick später errieten die beiden am Klang der Stimme Spurstows, die sie hereinrief, bereits, was geschehen war. Nutzlos, Hummil wecken zu wollen!
Die Punkah bewegte sich noch, aber er selbst mußte dieses Leben schon seit drei Stunden verlassen haben.
Der Tote lag auf dem Rücken, die Hände fest an die Seiten gepreßt, genau, wie ihn Spurstow vor sieben Nächten hatte liegen sehen. In den starren Augen den Ausdruck eines unbeschreiblichen Entsetzens.
Mottram, der hinter Lowndes eingetreten war, beugte sich über den Leichnam, berührte dessen Stirn leicht mit den Lippen und flüsterte: »O du glücklicher, glücklicher Bursche.«
Lowndes aber, der die starren Augen gesehen hatte, wandte sich schaudernd ab und ging an die andere Seite des Zimmers:
»Armer Kerl! Armer Kerl! Spurstow, wir hätten bei ihm wachen sollen. Hat er -?«
Schweigend setzte der Arzt seine Untersuchung fort und nahm dann die Umgebung in Augenschein; »nein«, sagte er entschieden, »er hat nicht -. Nirgends eine Spur, die darauf hinweisen würde. Ruft die Dienerschaft herein!«
Die Leute kamen, acht oder zehn; einer blickte dem ändern über die Schulter. Sie flüsterten sich etwas zu.
»Wann ist euer Sahib schlafen gegangen?« fragte Spurstow.
»Um elf oder um zehn«, berichtete Hummils Privatdiener.
»War er da noch wohl? Aber wie könnt ihr das wissen!«
»Krank war er nicht, soweit wir das beurteilen können, aber geschlafen hat er seit drei Nächten nur sehr wenig. Ich weiß es, denn ich hab ihn viel herumgehen sehen - besonders in der Tiefe der Nacht.«
Als Spurstow die Kopfpolster zurechtrückte, fiel ein langer Jagdsporn auf den Boden. Spurstow stöhnte laut auf. Der Diener blickte verstohlen auf den Toten.
»Woran denkst du, Chuma?« fragte Spurstow rasch, da er den Blick in dem dunklen Gesicht des Mannes gar wohl bemerkt hatte.
»Himmelsentsprossener, nach meiner armseligen Meinung ist der, der mein Herr war, hinabgestiegen in die Stätten der Finsternis; er wurde gepackt, da er nicht schnell genug hat fliehen können. Der Sporn ist der Beweis, daß er mit Furcht gekämpft hat. Männer meiner eigenen Rasse hab ich es so machen sehen mit Dornen, wenn ein Zauber auf ihnen lag, der sie im Schlaf überwältigen wollte, und sie sich fürchteten, einzuschlafen.«
»Chuma, du bist ein Mostschädel! Geh hinaus und richte die Siegel vor, die an deines Sahibs Eigentum angelegt werden müssen.«
»Gott hat den Himmelsentsprossenen erschaffen.