El Sendador I. Lopez Jordan. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746794426
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hier in Montevideo halten könnte?«

      »Nein, Sennor. Hier fesselt mich weder ein persönliches, noch ein geschäftliches Interesse, und ich kann zu jeder Stunde aufbrechen. Die Stadt bietet mir nichts Neues oder Seltenes. Ich will tiefer in das Land hinein und habe gar keinen Grund, mich unnütz hier an der Küste lange aufzuhalten.«

      »Das ist gut, Sennor. Heute weiß ich nämlich noch, wohin ich meinen Empfehlungsbrief zu adressieren habe, später aber wüßte ich nicht, wohin ich Sie schicken sollte, da Lopez Jordan nächstens aufbrechen wird, um in amtlicher Eigenschaft die Provinzen zu bereisen. Je eher Sie bei ihm ankommen, desto besser für Sie. Es ist alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß Sie sich ihm anschließen könnten, da er nach ganz derselben Gegend gehen will, die auch Ihr Ziel ist. Freilich dürften Sie sich nicht unnötig hier verweilen und müßten vielleicht schon morgen von hier abreisen.«

      Es sagte das in einem so eindringlichen und fürsorglichen Tone, daß ich mich gewiß hätte täuschen lassen, wenn mir nicht der Inhalt des Schreibens bekannt geworden wäre. Ich ging scheinbar auf seine Vorstellung ein:

      »Unter diesen Verhältnissen bin ich natürlich bereit, schon morgen früh aufzubrechen.«

      »Schön! Ich werde Sie also jetzt mit der Empfehlung versehen. Aufrichtig gestanden, habe ich bereits am Nachmittage an dieselbe gedacht, da ich ziemlich überzeugt war, daß Sie meinem Rate Folge leisten würden, und habe also den Brief bereits angefertigt. Lopez Jordan befindet sich gegenwärtig in Parana. Der kürzeste Weg dorthin würde über Mercedes, den Uruguayfluß und Villaguay führen. In welcher Weise reisen Sie?«

      Ich zuckte die Achseln.

      »Ich bin mit den hiesigen Verhältnissen so wenig vertraut, daß ich Sie ersuchen möchte, mir auch in dieser Beziehung Ihren Rat zu erteilen.«

      »Ich rate zur Diligence, der Staatskutsche, deren Benutzung ich Ihnen angelegentlich empfehlen kann. Mit derselben reisen Sie billig und so angenehm und sorglos, wie es unter den hiesigen Verhältnissen möglich ist. Ich weiß, daß morgen am Vormittage eine Diligence in der angegebenen Richtung abgeht. So werde ich Ihnen also gleich jetzt den Brief einhändigen können. Ich habe nur die Adresse hinzuzufügen. Entschuldigen Sie mich!«

      Er trat zu einem Stehpulte, welches sich in der Ecke befand. Da wurde die Türe aufgerissen, und es stürmten zwei Knaben herein. Sie standen im Alter von wohl zehn oder zwölf Jahren.

      Ich hatte mir sagen lassen, daß die Kindererziehung in den La-Plata-Staaten eine sehr mangelhafte sei, und fand das jetzt bestätigt. Die beiden wie die Puppen aufgeputzten Buben stellten sich vor mich hin und starrten mich in frecher Weise an.

      »Papa,« fragte der eine, »ist das der Deutsche?«

      »Ja, mein Söhnchen,« antwortete der Vater, indem er an der Adresse des Briefes schrieb, ohne sich um das Benehmen seiner Lieblinge zu bekümmern. Der kleine Fragesteller wendete sich sodann in verächtlichem Tone an mich:

      »Bist du wirklich ein Dummkopf?«

      Da beeilte sich der andere Liebling, an meiner Stelle zu antworten:

      »Nein, er ist ein alberner deutscher Grobian.«

      »Wer hat das gesagt?« fragte ich schnell.

      »Der Vater,« lautete die Antwort. »Er sagte es der Mutter.«

      Da wendete sich ihr Vater um und rief in zorniger Verlegenheit: »Unsinn! Dieser Sennor war nicht gemeint, sondern ein ganz anderer Mann, ein deutscher Arbeiter, welcher einen Auftrag falsch ausgeführt hatte.«

      Diese Ausrede wurde sogleich in für ihn höchst ärgerlicher Weise zurückgewiesen, denn der ältere der beiden lieben Buben sagte:

      »Und da hast du ihm zum Abendbrode eingeladen!«

      »Schweig mit deinen Verwechselungen!« gebot Tupido. »Lassen Sie sich durch diese kindlichen Irrtümer nicht irre machen, Sennor! Hier haben Sie den Brief. Der Inhalt desselben wird Sie im höchsten Grade zufriedenstellen.«

      Er gab mir den Brief in die Hand, welcher in einem mittelgroßen, mittels Gummi verklebten Couverte steckte und so dick war, daß er wenigstens drei Bogen enthielt – den eigentlichen Brief und die beiden Kontrakte. Ich wog ihn in der Hand und sagte:

      »Ist es bei Ihnen nicht gebräuchlich, offene Empfehlungsschreiben zu geben?«

      »Nein, hier zu Lande überhaupt nicht. Es kommt häufig vor, daß man eine geschäftliche Notiz beifügt, welche nur für den Empfänger bestimmt ist.«

      »Das ist wohl auch hier der Fall?«

      »Allerdings.«

      »So muß diese Notiz eine sehr umfangreiche sein! Und ich gestehe offen, daß es mir lieber sein würde, wenn Sie die Güte haben wollten, beides zu trennen.«

      »Sennor,« sagte er, »ich pflege nie von meinem Usus abzuweichen und denke, daß Sie mir auch jetzt erlauben werden, bei demselben zu verharren!«

      »Hm! Sie sind bereits einmal von demselben abgewichen, indem Sie heute auf den bei Ihnen gebräuchlichen Abzug verzichteten. Ich will dies dankbar anerkennen, indem ich den Brief so besorge, wie Sie ihn mir übergeben.«

      Er hatte die Feder noch in der Hand und ging jetzt wieder an das Pult, um sie mit dem Schreibzeuge einzuschließen. Die beiden Buben standen bei mir und sahen den Brief verlangend an.

      »Was steht darauf? Zeigen Sie her!« sagte der größere, indem er das Schreiben ergriff, um es mir in seiner ungezogenen Weise aus der Hand zu reißen. Das war mir ungeheuer lieb. Während er in der Mitte festhielt, ergriff ich das Couvert an beiden Enden.

      »Laß es sein! Das ist nicht für dich,« sagte ich.

      »Zeige nur her!« gebot er starrköpfig. »Der Brief ist von meinem Papa. Er gehört also mir und nicht dir. Ich will ihn sehen!«

      Er zerrte mit aller Gewalt. Das eben wollte ich. Das Couvert riß aus einander, und der Inhalt fiel zu Boden. Schnell raffte ich denselben auf, und zwar so, daß die Schriftstücke aus einander gefaltet wurden. Den ›Empfehlungsbrief‹ hatte ich obenauf.

      »Na, da hast du das Couvert zerrissen!« sagte ich in ärgerlichem Tone. »Nun kann der Papa ein anderes schreiben. Aber – – was ist das? Was lese ich da?«

      Tupido kam auf mich losgeschossen.

      »Halt! Nicht lesen, nicht lesen!« rief er aus.

      Ich trat zurück, hielt mir den Brief lesend vor die Augen und schob den andern Arm abwehrend gegen ihn vor.

      »Nicht lesen, nicht lesen!« wiederholte er zornig, indem er sich bemühte, die Papiere in seine Hände zu bekommen. Ich aber war weit stärker als er und schleuderte ihn so kräftig von mir, daß er auf das Sofa flog. Die beiden Jungens hatten sich schreiend an mich gehängt. Sie ließen sich von mir nach der Türe zerren. Ich öffnete dieselbe und schob die Rangens hinaus. Tupido war wieder aufgesprungen und wollte sich auf mich stürzen.

      »Bleiben Sie mir vom Leibe!« donnerte ich ihn an. »Sonst werfe ich Sie an die Wand, daß Sie an derselben kleben bleiben! Hier, diese beiden Kontrakte erhalten Sie zurück, denn ich ersehe aus der Überschrift, daß es eben Kontrakte, also Geschäftspapiere sind; sie gehen mich nichts an.«

      »Auch den Brief will ich sofort haben!« schrie der Mann jetzt wütend auf.

      »Der bezieht sich auf mich, und ich habe das Recht, ihn zu lesen. Erziehen Sie Ihre Kinder anders, daß sie nicht Couverts zerreißen, auf deren festen Verschluß Ihnen so viel anzukommen scheint!«

      »Ich werde die Dienerschaft kommen lassen, welche Ihnen den Brief abnehmen und Sie dann hinauswerfen wird!«

      »Ihre Leute werden keins von beiden tun, denn ich werde jeden, der mich berührt, sofort niederschlagen. Ich gehe selbst, denn bei so einem Menschen, wie Sie sind, ist meines Bleibens natürlich nicht. Sie haben die Wahl: Entweder Sie sorgen jetzt dafür, daß ich hier den Brief ohne Störung lesen kann, und in diesem Fall erhalten Sie ihn zurück, oder ich gehe sofort, nehme ihn aber mit und