Kafka 2.0. Karl-Heinz Thielmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl-Heinz Thielmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844275711
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      Wie Anleger zu ihren Investmententscheidungen kommen und welche Fehler sie dabei typischerweise machen, ist Schwerpunkt im Themengebiet: „Die mit der Herde laufen“. Mit den Anbietern von Finanzprodukten, ihren Motivationen und Methoden befasst sich der zweite Teil: „Die kuriose Logik der Finanzindustrie“. Last, but not least folgen noch vier Texte, „Von Geldvernichtung und Wertschaffung“, die sich mit den fundamentalen Grundlagen von Kapitalbewegungen und ihrer Interpretation durch Anleger und Öffentlichkeit befassen.

      Abschließend möchte ich mich bei all denen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass die in diesem Band zusammengefassten Texte in dieser Form zustande gekommen sind. Insbesondere bin ich Dirk Elsner sehr verbunden, der mir in seinem preisgekrönten Finanzblog http://www.blicklog.com/ bereits mehrfach die Gelegenheit gab, meine Überlegungen einer breiteren Öffentlichkeit darzustellen. Darüber hinaus sind seine Texte immer wieder eine Quelle der Inspiration für mich. Weiterhin waren zahlreiche gute Bekannte aus der Finanzindustrie äußerst hilfreich, die meine Verwunderung über viele Entwicklungen in ihrer Branche teilen. In Gesprächen mit ihnen konnte ich einige interessante Ideen entwickeln, meine Ansichten diskutieren und einem „Realitäts-Check“ unterziehen. Vor allem aber möchte ich Ekaterina Svetlova und Oliver Clasen für ihre vielen hilfreichen Kommentare danken. Ohne ihre Hinweise hätte ich einige vermeidbare Fehler gemacht und übereilte Schlussfolgerungen gezogen.

      Karl-Heinz Thielmann

      Karlsruhe, im November 2013

      Teil 1: Die mit der Herde laufen

      „Dass Menschen gierig, ängstlich oder närrisch sein werden, ist vorhersehbar. Die Abfolge ist nicht vorhersehbar.” („The fact that people will be full of greed, fear, or folly is predictable. The sequence is not predictable.”) Warren Buffet

      Vor einigen Monaten war die Empörung groß, als Telefonate irischer Pleite-Banker aus dem Jahr 2008 bekannt wurden. In diesen verspotteten sie neben Politikern, Zentralbankern und Finanzaufsehern ebenfalls deutsche Investoren, die ihnen bereitwillig Geld geliehen hatten. Insbesondere amüsierte sie, dass die Deutschen einer Garantie des irischen Staates für Bankeinlagen vertrauten. Denn ihnen war klar, dass ihr Bankrott über diese Garantie auch die irische Staatspleite bedeutet hätte, wäre 2010 nicht die EU zu Hilfe geeilt.

      Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und andere deutsche Spitzenpolitiker äußerten ihre Verachtung über die Arroganz der der Banker. Einigen Pressekommentatoren fiel allerdings auf, dass abschätzige Bemerkungen über Kunden in der internationalen Finanzbranche nicht selten sind. So hatte vor einigen Monaten der Ex-Goldman Sachs Banker Greg Smith enthüllt, dass seine ehemaligen Kollegen ihre Klienten als „Muppets“ – also als manipulierbare Puppen – bezeichneten. Speziell aus Deutschland stammende Investoren werden als besonders vertrottelt angesehen. „Dumb German Money“ (manchmal auch als „Stupid German Money“ bezeichnet) ist seit Jahren schon ein fester Begriff an den globalen Finanzmärkten.

      Dieser Begriff wurde ursprünglich von US-amerikanischen Filmproduzenten für Gelder aus geschlossenen Medienfonds geprägt, die im grauen Kapitalmarkt in Deutschland aufgelegt wurden. Hiermit wurden vorwiegend erfolglose Filme produziert, an denen sich aufgrund der großzügigen Fondsgelder für Produzenten und Initiatoren trotzdem eine goldene Nase verdienen lies. Die Anleger gingen natürlich leer aus.

      Seitdem wurde dieser Begriff auf eine Vielzahl von Finanztransaktionen ausgeweitet, mit denen deutsche Anleger oder Banken Geld verlieren konnten. Ob nun kurz vor dem Platzen der Immobilienblasen in USA oder Spanien noch schnell Finanzierungen für bankrottverdächtige Großprojekte angeschoben werden mussten, ob griechische Staatsanleihen gekauft wurden, immer waren deutsche Banken an vorderster Front mit dabei. Wenn chinesische Schwindelfirmen an die Börse gingen, dann machen sie dies nicht in Schanghai, sondern in Frankfurt, weil hier die Leichtgläubigen Schlange standen. Wenn Geld für überflüssige Schiffe, Riesenräder in Singapur oder unrentable Ölsandprojekte in Kanada benötigt wurde, dann sammelte man dies nicht in den Heimatländern der Initiatoren ein, sondern bei deutschen Zahnärzten, Lehrern und Ingenieuren.

      Das DIW in Berlin hat vor Kurzem ermittelt, was deutsche Investoren alleine im Ausland verloren haben. Die Kalkulationen haben seit 1999 einen Verlust von ca. 400 Mrd. € ergeben. Seit 2006, also unmittelbar vor dem Ausbruch der Finanzkrise, waren es ca. 600 Mrd. €. Für eine Exportnation wie Deutschland ist es normal, Kapital im Ausland zu investieren. Nicht normal hingegen ist es, wenn dieses Kapital stattdessen sinnlos verbrannt wird.

      Doch nicht nur im Ausland haben Deutsche vielfältige Möglichkeiten gefunden, Kapital zu vernichten. Ob Ostimmobilien, Strategiezertifikate oder Mittelstandsanleihen; Jahr um Jahr gab und gibt es neue inländische Anlageprodukte, mit denen Investoren ihr Erspartes in den Sand setzen können. Schätzungen über die Größenordnung fehlen aber bisher.

      Die Neigung der Deutschen, unrentable Kapitalanlagen zu machen, hat schwerwiegende ökonomische Konsequenzen. Trotz der enormen Wirtschaftskraft Deutschland, trotz der ausgeprägten Sparsamkeit der Einwohner ist die Vermögensbildung hier im Vergleich mit anderen europäischen Ländern klar unterdurchschnittlich, wie unlängst Zahlen der EZB zeigten.

      Warum sind die Deutschen immer die Ersten, die „hier“ schreien, wenn skrupellose Investmentbanker nach „Muppets“ suchen, die sie manipulieren und denen sie das Geld aus der Tasche ziehen können? Wieso gibt es gerade in Deutschland einen scheinbar unerschöpflichen Vorrat an Bankern, Vermögensverwaltern oder Privatanlegern, die ihre Gelder zielsicher in verlustreiche Anlagen stecken?

      Insgesamt lassen sich drei Gruppen von Investoren mit unterschiedlichen Motivationen identifizieren, die für die ungeheure Vermögensvernichtung in Deutschland verantwortlich sind:

       die Risikonaiven, die festverzinslich mit sicher verwechseln;

       die Zocker, die von Gewinngier getrieben auf höchst spekulative Anlagen setzen;

       die Pseudowissenschaftlichen, die Finanzmathematik anwenden, ohne sie zu verstehen.

      Die erste Gruppe der Risikonaiven ist sowohl bei privaten wie institutionellen Investoren weitverbreitet. Sie suchen Anlagen, die einigermaßen stabile Zinszahlungen versprechen, die höher sind als bei konventionellen „sicheren“ Pfandbriefen oder Bundesanleihen. Dass mit diesen Anlagen dann aber signifikant höhere Ausfallrisiken eingegangen werden, wird ignoriert bzw. unterschätzt. Insbesondere wenn man von einem Risikoverständnis ausgeht, das auf Volatilität basiert, sehen diese Investments sicherer aus, als sie sind. Ob es sich um Mittelstandsanleihen, Discountzertifikate oder geschlossene Fonds handelt, sie schwanken meist nur sehr gering im Kurs und fallen auch über längere Zeiträume nur gelegentlich aus. Wenn aber etwas Unerwartetes passiert, dann kollabieren diese Anlagen auf einmal und generieren fürchterliche und nachhaltige Verluste.

      Die Zocker sind vor allem bei privaten Anlegern anzutreffen. Sie saugen aus der Finanzpresse und Börsenbriefen Tipps zum schnellen Reichwerden. Dabei springen sie aber oft auf längst bekannte Trends auf, nicht selten kurz vor deren Ende. Egal ob es sich um Solaraktien, Internetwerte, Chinatitel oder dubiose Goldminen geht, deutsche Kleinanleger lassen sich immer wieder bereitwillig dazu verleiten, zu Höchstkursen in Zockeraktien oder damit zusammenhängenden Optionsscheinen einzusteigen.

      Die Pseudowissenschaftlichen haben sich gerade bei professionellen Anlegern breitgemacht. Damit sind sie in der Lage, fremdes Geld in nicht unerheblichem Umfang zu vernichten. Sie versuchen, mittels finanzmathematischer Verfahren Mechanismen zu identifizieren, mit denen die Kapitalmärkte überlistet werden können. Ob es sich dabei nun um Optimierungsverfahren, Trendfolgesysteme oder Asset Allocation Modelle handelt, regelmäßig liegen sie damit schief und generieren Verluste.

      Ihr großes Mantra ist der sog. „Backtest“. Hierbei handelt es sich um die Überprüfung einer Anlagestrategie mit Vergangenheitsdaten. Unzählige Strategien, die im Backtest wunderbar funktioniert haben,