Das Klingeln des Telefons am Abend. Erhard Schümmelfeder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erhard Schümmelfeder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847622635
Скачать книгу
muffigen Kellerraum des roten Sandsteingebäudes bei der Burg. Leaders Vater, der einen Sitz im Stadtrat besaß, hatte sich für die Band eingesetzt. Martin, Leader, Andreas, Georg und Pitt durften bis zum Abriss der Halle ihre Musik hier spielen. Nach den ersten Auftritten vor Publikum hatte sich Der Clan der Stubenhocker zu einem Projekt entwickelt, bei dem es in der Hautsache darum ging, Musik in Geld zu verwandeln.

      Es war fast Mittag, als Martin durch die Burgstraße zum Kolpinghaus gelangte. Ein Lastwagen mit Getränkekisten polterte über das Pflaster in die Richtung der Innenstadt. Leaders Auto, ein schwarzer zerbeulter VW, parkte beim Eingangsportal hinter ein paar Fahrrädern, die schräg an der Hauswand lehnten. Geld, Getränkeverkauf, Umsatz - all dies hatte mit Musik im Grunde nichts zu tun. Martins Tage in der Band waren eigentlich gezählt: Ein paar Auftritte noch bis zum Herbst, dann hätte er genug Geld beisammen, um sich einige seiner Wünsche zu erfüllen: Eine spanische Gitarre, dazu ein spezielles Mikrofon, ein Hallgerät und vielleicht einen neuen Mehrspurrecorder. Solange die Sache mit Isabell nicht geklärt war, wollte er keine Pläne schmieden. Er dachte an das Buch auf Isabells Nachttisch. Er hatte ihr Salingers Werk empfohlen. Sie las es. Das war ein gutes Zeichen. Aber warum lief sie vor ihm davon? Irgendwie war das kindisch. Was hatte sie zu verbergen? Wenn er darüber nachdachte, erinnerte er sich: Bereits vor seiner Abreise in das Büsumer Ferienlager hatte sie sich ein wenig anders verhalten. Wie - anders? Er suchte nach einer präzisen Umschreibung und kreiste dabei immer wieder um das Wort reserviert. Vielleicht gab es treffendere Begriffe; zurückhaltend, grüblerisch, launisch, unzufrieden, abwesend ... Warum äußerte sie sich nicht? - Er konnte immer noch bis 3 zählen. Wenn sie mit ihm Schluss machen wollte, genügte eine einfache Erklärung ohne Rechtfertigungs-Szenen. Er würde sich nicht umbringen. Jedenfalls nicht vor dem Kauf einer spanischen Gitarre.

      Durch das schwere Eichentor gelangte er in den kühlen Vorraum des Festsaals. Seine Schritte hallten in dem hohen Saal nach. Auf der Bühne, im Schein einer weißen Deckenlampe, putzte Pitt die Chromteile seines Schlagzeugs mit einem Lappen, den er in eine mit Flüssigkeit gefüllte Dose tauchte.

      „He“, grüßte Martin.

      Pitt blickte auf und sagte nur zögerlich: „Hi.“

      Pitt war erst seit kurzer Zeit in der Gruppe. Als Drummer musste er es sich - manchmal zähneknirschend - gefallen lassen, wenn Martin ihn bei einigen Stücken, die ihm heilig waren, kontrollierte. „Ein Wirbel zu viel und ein Beckenschlag an der falschen Stelle können das Feeling eines Songs zerstören“, hatte er Pitt bei einer Probe anvertraut. Pitts Augen waren uneinsichtig zu Leader gewandert, doch dieser hielt sich aus dem Konflikt heraus.

      „Wo steckt Leader?“, fragte Martin jetzt. Er verspürte kein Verlangen, mit Pitt höfliche Konversation zu machen. Seine Tage in der Band waren gezählt.

      „Irgendwo draußen“, antwortete Pitt. „Mit Andreas. Sie wollten etwas streichen.“

      Er fand Leader mit Andreas an der Südseite des Kolpinghauses, wo sie mit brauner Farbe die Buchstaben DWJ auf den hohen Rundbogenfensterscheiben übermalt hatten. Niemand wusste, was die Abkürzung bedeutete.

      „Fertig“, sagte Leader und stieg von der Leiter.

      „Ich bin ganz geblendet von der Sonne“, klagte Andreas. „Ich muss sofort in den Schatten. - Ach, sieh an, unser Sologitarrist meldet sich zum Dienst zurück.“

      „Pünktlich“, bemerkte Leader. Er zog ein Tuch aus seiner Jeans und wischte langsam und gründlich einige Farbspritzer von den Fingern. „Wie wars im Ferien-Camp?“ Es war eine Höflichkeitsfrage ohne tieferes Interesse.

      „Lustig“, antwortete Martin. „Und hier?“

      „Lass uns ins Kühle gehen“, schlug Leader vor. Dann erkundigte er sich: „Kannst du unseren Bandnamen in Großbuchstaben auf die drei Fenster schreiben, wenn die Farbe trocken ist?“

      „Das wäre eine Aufgabe für Georg“, überlegte Martin. „Soviel ich weiß, hat er für die Gemüseabteilung im WW-Markt seiner Eltern schon Hunderte von Plakaten gemalt.“

      „Dann soll er das übernehmen“, entschied Leader.

      Sie gingen in den kühlen Festsaal und setzten sich an den Tisch vor der Bühne.

      „Bier?“, fragte Leader.

      „Cola“, sagte Martin.

      Leader nickte Andreas zu, der zur Theke schlenderte und aus einer Kiste vier Flaschen herausholte.

      „Wann proben wir?“, wollte Martin wissen, nachdem Andreas die Verschlüsse von den Flaschen gelöst hatte und jeder sein Getränk in der Hand hielt.

      „Morgen“, sagte Leader. „Am besten nachmittags.“

      „Wann haben wir den nächsten Auftritt?“

      „Übermorgen.“

      „Schön“, bemerkte Martin. „Also läuft alles wie immer.“

      „Nicht alles“, gab Leader zu verstehen. Er zog aus der Brusttasche seines verschwitzten Hemdes eine Zigarette, die er zwischen seine Lippen steckte. Pitt stieg die Stufen der Bühne herunter und hielt Leader eilfertig sein brennendes Feuerzeug an die Zigarette.

      Lakai, dachte Martin.

      „Hier hat sich einiges verändert“, erklärte Leader weiter.

      „Dann erzähl. Machs nicht so spannend.“

      „Also“, begann Leader. „Wir haben beschlossen, unsere Auftritte geschäftsmäßiger auszuschlachten, verstehst du?“

      „Viel gibt’s da nicht zu verstehen“, bemerkte Martin. „Es geht um Geld.“

      „Genau“, bestätigte Leader. „Geld. Du sagst es. Wenn wir Pech haben, wird das Kolpinghaus im nächsten Frühjahr abgerissen, damit Beverungen eine neue Stadthalle bekommt. Wenn wir Glück haben, kann sich der Baubeginn noch zwei Jahre hinauszögern. In dieser Zeit scheffeln wir Bares.“

      „Wie bisher“, sagte Martin. Auch künftig würde Leader in der Band seine Rolle spielen. Er managte die Gruppe, kümmerte sich um die Auftrittstermine, vereinbarte Preise, bestellte Getränke beim Händler und rechnete später mit den Jungs ab; der Rest des Geldes ging zu gleichen Teilen an die Bandmitglieder. Aber Leader mauschelte. In diesem Punkt war Martin sich sicher. Wegen ein paar lumpiger Scheine, die Leader sich in seine Tasche mogelte, wollte er keinen Stunk mehr machen. Es lohnte sich nicht.

      „Geschäftsmäßig heißt das Motto“, fuhr Leader fort. „In zwei Wochen fängt die Schulzeit wieder an. Wir hatten neulich die Klassensprecher von vierzehn Schulen eingeladen. Fast jede Klasse zwischen Detmold, Göttingen und Kassel hat irgendwann Interesse an einer Klassenfete in unserem Kolpinghaus.“

      „Klingt vielversprechend.“

      „Das meine ich auch“, bestätigte Leader. „Wir nehmen das übliche Eintrittsgeld bei jeder Party und machen Gewinn beim Bier, das wir für den doppelten Eintrittspreis an die braven Kids verkaufen. Bei Cola und Limo machen wir es genauso. Andreas´ alten Küchenschrank schleppen wir zum Eingang.“

      „Wozu soll das gut sein.“

      „Wir besorgen Bonbons, Popkorn, Weingummi, Kaustreifen, Chips, Lutscher und son süßsaures Zeug und verhökern es an die Kundschaft. Je größer unser Angebot ist, desto höher der Gewinn.“

      Isabell, dachte Martin nur. Was Leader äußerte, berührte ihn im Grunde nicht. Geld, Gewinn, Geschäftsmäßigkeit. War das ein Thema, wenn man eigene Musik machen wollte? I-sa-bell. Mit wem konnte er hierüber reden? Wohl kaum mit den Jungs. Einer wie Pitt, der seine Abneigung gegen ihn nicht einmal zu verbergen suchte, konnte wahrscheinlich nicht mal bis 3 zählen.

      „An den Tagen ohne Auftritte machen wir Geld aus der Wiese neben dem Haus. Hab schon ein Schild gemalt: Bewachter Parkplatz. Ein Fünfmarkschein für jedes Stündchen müsste drin liegen.“

      „Gute Idee“, sagte Martin und trank von der kalten Cola.

      „Vorrangiges