Wer da meint, die Ysätters-Kajsa sei tot und heimgefahren, du soll jetzt hören, was sich in Närke in dem Jahr zutrug, als Niels Holgersen über die Gegend dahinflog, dann kann er ja selber sagen, was er glaubt.
Der Jahrmarktabend.
Mittwoch, 27. April.
Es war am Tage vor dem großen Viehmarkt in Örebro, und es regnete, so daß Himmel und Erde ineinander verschwammen. Es war ein Regen ohne Sinn und Verstand. Er stürzte in reißenden Strömen vom Himmel herunter, und manch einer dachte bei sich: »Das ist ja ganz so wie zu Ysätters-Kajsas Zeiten. Nie hatte sie so viele Streiche vor, als wenn Jahrmarkt sein sollte. Es sieht ihr wirklich ähnlich, so einen Regen am Abend vor dem Markt herabzusenden.«
Je weiter der Tag verschritt, um so ärger wurde der Regen. Gegen Abend war es ein förmlicher Wolkenbruch. Die Wege waren ganz grundlos, und die Leute, die mit ihrem Vieh von Hause gegangen waren, um Örebro am nächsten Morgen rechtzeitig zu erreichen, waren übel dran. Kühe und Ochsen hatten die Wanderung so satt, daß sie keinen Fuß mehr vorwärts setzen wollten, und viele von den armen Tieren warfen sich auf dem Wege nieder, um zu zeigen, daß sie nicht weiter gehen wollten. Alle Leute, die am Wege wohnten, mußten ihre Häuser den Marktgästen aufschließen und ihnen Nachtquartier geben, so gut sie konnten. Es war nicht nur in den Stuben, sondern auch in den Ställen und Scheunen überfüllt.
Wem es möglich war, der suchte doch, sich bis zum Wirtshaus durchzukämpfen, aber wenn man so weit kam, bereute man fast, nicht in einem der Häuser am Wege geblieben zu sein. Jeder Stand im Kuhstall und jedes Spilltau im Pferdestall war längst besetzt.
Es blieb nichts anderes übrig, als die Pferde und Kühe draußen im Regen stehen zu lassen. Mit genauer Not konnten ihre Besitzer Dach über dem Kopf bekommen.
Die Nässe und der Morast und das Gedränge auf dem Hof spotteten jeder Beschreibung. Die Tiere standen zum Teil geradezu in einer Lache und konnten sich nicht einmal hinlegen. Einige von den Bauern verschafften ihren Tieren ja freilich Stroh, worauf sie liegen konnten, und breiteten Decken über sie, andere aber saßen drinnen in der Schenke und tranken und spielten und vergaßen völlig die, für die sie zu sorgen hatten.
An jenem Abend hatten der Junge und die Wildgänse einen Werder im Hjelmar erreicht; der war nur durch einen niedrigen und schmalen Sund vom Lande getrennt, so daß man bei niedrigem Wasserstand trockenen Fußes hinüberkommen konnte.
Es regnete ebenso arg draußen auf dem Werder wie überall sonst. Der Junge konnte nicht schlafen vor den Regentropfen, die unaufhörlich auf ihn herabpeitschten. Schließlich entschloß er sich, auf dem Werder umherzuwandern. Er fand, daß er den Regen nicht so sehr merkte, wenn er sich bewegte. Kaum war er einmal rund um den Werder gegangen, als er ein Plätschern im Wasser zwischen dem Werder und dem Ufer vernahm, und gleich darauf sah er ein einzelnes Pferd zwischen den Büschen daherkommen. Es war ein altes Pferd, so elend und erbärmlich, wie er nie etwas Ähnliches gesehen hatte. Es war im Rücken gebrochen, und steifbeinig war es und so mager, daß man seine Rippen zählen konnte. Es hatte weder Zügel noch Sattel, nur einen alten Zaum, von dem ein halbverfaultes Tauende herabhing. Es war ihm offenbar nicht schwer geworden, sich loszureißen.
Das Pferd ging geradeswegs auf die Stelle zu, wo die Wildgänse standen und schliefen, und der Junge war bange, daß es auf sie treten würde. »Wo willst du hin? Sieh dich vor!« rief er. – »Also da bist du!« sagte das Pferd. »Ich bin eine Weile gegangen, um dich zu finden.« – »Hast du von mir reden hören?« fragte der Junge ganz erstaunt. – »Ohren habe ich doch wenigstens, wenn ich auch alt bin. Es reden viele von dir in dieser Zeit.«
Während das Pferd sprach, bog es den Kopf herab, um besser sehen zu können, und der Junge bemerkte, daß es einen kleinen Kopf mit schönen Augen und eine feine, weiche Schnauze hatte. »Es ist seiner Zeit ein gutes Pferd gewesen, wenn es auch in seinen alten Jahren mit ihm zurückgegangen ist,« dachte er.
»Ich wollte dich bitten, mit mir zu kommen und mir bei etwas behilflich zu sein,« sagte das Pferd.
Der Junge hatte keine große Lust, mit jemand, der so erbärmlich aussah, irgendwohin zu gehen, und entschuldigte sich mit dem schlechten Wetter. »Es ist nicht schlimmer für dich, auf meinem Rücken zu sitzen, als hier zu liegen,« sagte das Pferd. »Aber du magst vielleicht nicht mit so einer elenden Kracke, wie ich bin, gehen« – »Ach ja, das ist es nicht,« sagte der Junge. – »Dann wecke die Gänse, damit wir mit ihnen verabreden können, wo sie dich morgen abholen sollen,« sagte das Pferd.
Gleich darauf saß der Junge auf dem Rücken des Pferdes. Das alte Pferd holte besser aus, als der Junge es ihm zugetraut hatte, aber doch war es ein langer Ritt in Nacht und Regen, bis sie vor einem großen Wirtshaus haltmachten. Dort sah es sehr ungemütlich aus, die Wagenspuren auf dem Wege waren so tief, daß der Junge überzeugt war, er würde ertrinken, wenn er da hinein fiel. An dem Gitter, das den Hof umgab, waren dreißig, vierzig Pferde und Kühe angebunden ohne irgendwelchen Schutz gegen den Regen, und drinnen im Hofe standen Karren mit hohen Kisten, in denen Schafe und Kälber und Schweine und Hühner eingeschlossen waren.
Das Pferd stellte sich an das Gitter. Der Junge blieb auf seinem Rücken sitzen, und mit seinen guten Nachtaugen konnte er deutlich sehen, wie schlecht für die Tiere gesorgt war.
»Wie geht es zu, daß ihr hier draußen im Regen steht?« fragte er. – »Wir sind auf dem Wege zum Markt in Örebro, aber der Regen zwang uns, hier einzukehren. Es ist ein Wirtshaus, aber da sind so viele Reisende, daß für uns kein Platz mehr im Stall war.«
Der Junge erwiderte nichts, er saß nur da und sah sich um. Nicht viele von den Tieren schliefen, und von allen Seiten hörte er Klagen und Unzufriedenheit. Sie hatten alle guten Grund zu jammern, denn das Wetter war noch schlechter geworden als früher am Tage. Es wehte ein eisig kalter Wind, und der Regen, der jetzt herabpeitschte, so daß es brannte, war mit Schnee vermischt. Es war leicht zu verstehen, womit er dem Pferd behilflich sein sollte.
»Kannst du sehen, daß dem Wirtshaus gerade gegenüber ein großer Bauerhof liegt?« fragte das Pferd. – »Ja,« sagte der Junge, »das sehe ich, und ich kann nicht begreifen, daß man nicht um Unterkunft für euch dort gebeten hat. Aber vielleicht ist es da auch schon voll?« – »Nein, da sind keine Gäste,« sagte das Pferd. »Die, denen der Hof gehört, sind so geizig und ungefällig, daß es nicht nützen kann, sie um Unterkunft zu bitten.« – »Hängt das so zusammen? Ja, dann werdet Ihr wohl bleiben müssen, wo Ihr seid.« – »Aber ich bin auf dem Hof geboren und aufgewachsen,« sagte das Pferd. »Ich weiß, daß da ein großer Pferdestall und ein großer Kuhstall mit vielen leeren Spilltauen und Ständen ist, und ich möchte wohl wissen, ob du es nicht einrichten kannst, daß wir da hineinkommen.« – »Ich glaube kaum, daß ich den Mut habe,« sagte der Junge. Aber dann taten ihm die Tiere so leid, daß er doch sehen wollte, was sich machen ließ.
Er lief in den fremden Hof hinein und sah sogleich, daß alle Wirtschaftsgebäude verschlossen und alle Schlüssel herausgezogen waren. Hilflos und unschlüssig stand er da, als er plötzlich unerwartet Hilfe bekam. Es war ein Windstoß, der mit mächtiger Fahrt dahergesaust kam und die Tür zu der großen Scheune gerade vor ihm aufwehte.
Der Junge war natürlich nicht faul, sondern kehrte schnell zu dem Pferd zurück. »Es ist unmöglich, in den Pferdestall oder in den Kuhstall hineinzugelangen,« sagte er, »aber da ist eine große, leere Scheune, die haben sie vergessen abzuschließen, und dahinein will ich mit Euch gehen.« – »Hab' Dank,« sagte das Pferd, »es soll gut tun, noch einmal auf dem alten Hof zu schlafen. Das ist die einzige Freude, die es noch für mich auf dieser Welt gibt.«
Auf dem wohlhabenden Bauernhof, der dem Wirtshaus gegenüberlag, waren sie an diesem Abend viel länger aufgeblieben, als es sonst ihre Gewohnheit war.
Der Bauer war ein Mann von fünfunddreißig Jahren. Er war groß und stattlich mit einem schönen aber ziemlich finsteren Gesicht. Er war den ganzen Tag im Regen draußen gewesen und