Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke. Selma Lagerlöf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750200
Скачать книгу
Edelleute. Hier wohnen die Bauern wie Edelleute!«

      Auf der Ebene waren Schnee und Eis verschwunden, und die Frühjahrsarbeit war im vollen Gange. »Was für lange Krebse sind denn das, die da über die Äcker hinkriechen?« fragte der Junge nach einer Weile. »Ochsen und Pflüge, Ochsen und Pflüge!« antworteten alle wilden Gänse.

      Die Ochsen bewegten sich ganz langsam über die Äcker hin, man konnte nicht sehen, daß sie sich bewegten, und die Gänse riefen ihnen zu: »Ihr kommt nicht vorm nächsten Jahr vorwärts. Ihr kommt nicht vorm nächsten Jahr vorwärts!« Aber die Ochsen blieben ihnen die Antwort nicht schuldig. Sie steckten die Mäuler in die Luft und brüllten: »Wir schaffen mehr Nutzen in einer Stunde als solch Gesindel wie ihr in eurem ganzen Leben.«

      An einigen Stellen wurden die Pflüge von Pferden gezogen. Die liefen viel eifriger und schneller als die Ochsen, aber die Gänse konnten es nicht lassen, auch sie zu foppen: »Schämt ihr euch nicht, Ochsenarbeit zu tun?« riefen sie den Pferden zu. »Schämt ihr euch nicht, Ochsenarbeit zu tun?« – »Schämt ihr selber euch nicht, Tagediebarbeit zu tun?« wieherten die Pferde zurück.

      Während die Pferde und Ochsen auf Arbeit waren, ging der Stallwidder daheim im Hofe umher. Er war frischgeschoren und leichtfüßig, warf die kleinen Jungen um, jagte den Kettenhund in seine Hütte hinein und stolzierte dann umher, als sei er Alleinherrscher auf dem Hofe. »Widder, Widder, was hast du mit deiner Wolle gemacht?« fragten die wilden Gänse, die oben in der Luft vorüberflogen. – »Die hab' ich nach der Fabrik in Norköping geschickt,« antwortete der Widder mit einem langgezogenen Blöken. – »Widder, Widder, was hast du mit deinen Hörnern gemacht?« fragten die Gänse. Hörner hatte nun der Widder zu seinem großen Kummer niemals gehabt, und man konnte ihm keinen ärgeren Tort antun, als ihn danach fragen. Er lief lange umher und stieß in die Luft hinauf, so böse war er.

      Auf der Landstraße kam ein Mann gegangen, der eine Schar schonenscher Ferkel vor sich hertrieb, die erst einige Wochen alt waren und weiter hinauf im Lande verkauft werden sollten. Die trotteten tapfer vorwärts, so klein sie waren, und hielten sich dicht zusammen, wie um Schutz zu suchen. »Nuff, nuff, nuff, wir sind zu früh von Vater und Mutter weggekommen. Wie soll es uns armen Kindern ergehen?« sagten die kleinen Ferkel. Nicht einmal die wilden Gänse konnten es übers Herz bringen, Kurzweil mit solchen armen Kleinen zu treiben. »Ihr kriegt es besser, als ihr's euch träumen laßt,« riefen sie, indem sie an ihnen vorüberflogen.

      Die wilden Gänse waren nie besserer Laune, als wenn sie über eine Ebene hinflogen. Da beeilten sie sich nicht, sondern flogen von einem Gehöft zum andern und trieben Scherz mit den zahmen Tieren.

      Während der Junge über die Ebene hinritt, mußte er an eine Geschichte denken, die er einmal vor langer Zeit gehört hatte. Ganz genau konnte er sich ihrer nicht entsinnen, aber es war etwas von einem Kleid, das halb aus goldgewirktem Brokat, und halb aus grauem Fries gemacht war. Aber diejenige, der das Kleid gehörte, bestickte die Friesbahn mit so vielen Perlen und edlen Steinen, daß sie schöner und köstlicher schimmerte als der Goldbrokat.

      An dies mit der Bahn aus Fries mußte er denken, als er auf Ostgotland hinabsah, denn das bestand aus einer großen Ebene, die zwischen zwei bergigen Waldwiesen eingeklemmt lag, eine nach Norden und eine nach Süden. Die beiden bewaldeten Abhänge lagen blau und schön da und schimmerten in der Morgensonne, als seien sie in Goldschleier eingehüllt, und die Ebene, die nur einen winterkahlen Acker nach dem andern ausbreitete, war an und für sich nicht schöner zu sehen als grauer Fries.

      Aber die Menschen gediehen anscheinend vortrefflich auf der Ebene, weil sie gut und mildtätig war, und sie hatten sich bemüht, sie aufs beste zu schmücken. Wie der Knabe dort hoch oben flog, sah es ihm so aus, als seien Dörfer und Gehöfte, Kirchen und Fabriken, Schlösser und Eisenbahnstationen gleich kleinen und großen Kleinodien über die Ebene ausgestreut. Es glitzerte auf den Ziegeldächern, und die Fensterscheiben schimmerten wie Juwelen. Gelbe Landstraßen, blanke Eisenbahnschienen und blaue Kanäle schlängelten sich von Ort zu Ort wie aus Seide genähte Schlupfen. Linköping lag um seinen Dom herum wie eine Perleneinfassung um einen köstlichen Stein, und die Gehöfte auf dem Lande waren wie kleine Busennadeln und Knöpfe. Es war nicht viel Ordnung in dem Muster, aber es war eine Pracht, die anzusehen man niemals ermüden konnte.

      Die Gänse hatten die Omberger Gegend nun hinter sich gelassen und flogen gen Osten am Götakanal entlang. Der war auch dabei, sich für den Sommer zurecht zu machen. Da gingen die Arbeiter umher und besserten die Kanaldämme aus und teerten die großen Schleusenpforten.

      Ja, überall wurde gearbeitet, um den Lenz gut zu empfangen, auch in den Städten. Da standen Maler und Maurer auf Gerüsten vor den Häusern und machten sie fein. Die Dienstmädchen standen in den offenen Fenstern und putzten die Scheiben blank. Unten am Hafen machte man Segelboote und Dampfer sauber.

      Bei Norköping verließen die wilden Gänse die Ebene und flogen über Kolmården. Sie waren eine Weile an einer alten, hügeligen Landstraße entlang geflogen, die sich an Schluchten und unter wilden Bergwänden hinschlängelte, als der Junge plötzlich einen Schrei ausstieß. Er hatte dagesessen und mit dem einen Bein geschlenkert, und einer von seinen Holzschuhen war ihm abgefallen.

      »Gänserich, Gänserich, ich hab' meinen Schuh verloren!« schrie der Junge.

      Der Gänserich kehrte um und schwebte zur Erde hinab, aber da sah der Junge, daß zwei Kinder, die des Weges daher kamen, seinen Schuh gefunden hatten.

      »Gänserich, Gänserich,« schrie der Junge schnell, »flieg wieder hinauf! Es ist zu spät. Ich kann meinen Schuh nicht wieder bekommen.«

      Aber unten auf dem Wege standen das Gänsemädchen Aase und ihr Bruder, der kleine Mads, und betrachteten einen winzig kleinen Holzschuh, der vom Himmel herabgefallen war.

      »Den haben die wilden Gänse verloren!« sagte der kleine Mads.

      Das Gänsemädchen Aase stand lange still und sann über den Fund nach. Schließlich sagte sie ruhig und nachdenklich: »Weißt du wohl noch, kleiner Mads, als wir am Övedkloster vorbeikamen, hörten wir davon reden, daß sie auf einem Bauerhof einen Kobold gesehen hatten, der lederne Hosen angehabt hatte und Holzschuhe an den Füßen, ganz wie ein Arbeitsmann? Und weißt du noch, als wir nach Vittskövle kamen, erzählte ein kleines Mädchen, sie habe einen alten Kobold mit Holzschuhen gesehen, der sei auf dem Rücken einer Gans davongeflogen? Und als wir selber nach unserm Hause heimkehrten, kleiner Mads, da sahen wir ja einen Wicht, der so gekleidet war, und der auch auf eine Gans hinaufkroch und davonflog. Vielleicht war das derselbe, der jetzt da oben in der Luft auf seiner Gans geritten kam und seinen Holzschuh verlor?«

      »Ja, so ist es gewiß,« sagte der kleine Mads.

      Sie drehten und wendeten den Holzschuh und untersuchten ihn genau, denn nicht jeden Tag findet man den Holzschuh eines Koboldes auf der Landstraße.

      »Warte einmal, kleiner Mads, warte einmal!« sagte das Gänsemädchen Aase. »Hier auf der einen Seite steht ja etwas zu lesen.«

      »Ja, da steht etwas. Aber die Buchstaben sind so klein!«

      »Laß mich einmal sehen! Ja, da steht... Da steht: Niels Holgersen aus W.-Vemmenhög.«

      »Das ist doch das merkwürdigste, was ich jemals gehört habe,« sagte der kleine Mads.

      Nördlich von Bråviken, gerade auf der Grenze zwischen Ostgotland und Sörmland, erhebt sich ein Berg, der mehrere Meilen lang und über eine Meile breit ist. Hätte er eine Höhe, die seiner Länge und Breite entspräche, so würde er der schönste Berg sein, den man sich denken kann; aber die hat er nicht.

      Es kann zuweilen geschehen, daß man ein Gebäude antrifft, das von Anfang an so groß angelegt ist, daß sein Besitzer es nicht hat vollenden können. Wenn man ganz nahe herankommt, sieht man dicke Grundmauern, starke, gewölbte Bogen und tiefe Keller, aber da sind weder Mauern noch Dach; das Ganze erhebt sich nur einige Fuß hoch über der Erde. Man kann fast nicht umhin, beim Anblick dieses Berges an so ein verlassenes Gebäude zu denken, denn es sieht fast so aus,