Das schlimmste war, daß, sobald die Sonne erst untergegangen war, zwei von den Wanderern so müde wurden, daß sie jeden Augenblick nahe daran waren, umzustürzen. Der dritte, der sich wohl noch halten konnte, wurde immer unruhiger, je näher die Nacht heranrückte. »Es ist doch ein Unglück,« dachte er, »daß wir in ein Land gekommen sind, wo die Seen und Sümpfe zugefroren sind, so daß der Fuchs überall hinkommen kann. An andern Stellen ist das Eis ja schon aufgetaut, aber jetzt sind wir scheinbar oben in dem allerkältesten Smaaland, wohin der Frühling noch nicht gekommen ist. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll, um einen guten Schlafplatz zu entdecken. Wenn ich keine Stelle finde, die gut beschützt ist, so haben wir Reineke Fuchs morgen hier.«
Er sah sich nach allen Seiten um, aber er sah keinen Ort, wo sie einkehren konnten. Und es war ein dunkler, naßkalter Abend mit Wind und Sprühregen. Mit jedem Augenblick, der verging, wurde es unheimlicher und scheußlicher um ihn her.
Es mag wunderlich erscheinen, aber die Reisenden hatten gar keine Lust, auf einem Gehöft um Unterkunft zu bitten. Sie waren schon an vielen Dörfern vorübergekommen, ohne an eine einzige Tür anzuklopfen. Nicht einmal mit den kleinen Hütten am Waldesrande, die arme Wanderer so gern antreffen mögen, wollten sie etwas zu schaffen haben.
Man könnte sich fast versucht fühlen, zu sagen, es schadete ihnen gar nicht, daß es ihnen so schlecht erging, wenn sie nicht um Hilfe bitten wollten, wo Hilfe zu erlangen war.
Aber schließlich, als es so dunkel geworden war, daß der helle Streif am Horizont fast verschwand, und die beiden, die des Schlafes bedurften, sich wie im Halbschlaf bewegten, kamen sie an einen Bauernhof, der ganz allein, weit entfernt von allen Nachbarn lag. Und nicht genug damit, daß er so einsam lag, er sah auch so aus, als sei er ganz unbewohnt. Kein Rauch stieg aus dem Schornstein auf, kein Licht drang durch die Fenster hinaus, kein Mensch war auf dem Hofplatz zu sehen. Als derjenige von den dreien, der sich noch halten konnte, das Haus sah, dachte er: »Jetzt muß es gehen, wie es will, wir müssen versuchen, hier auf dem Gehöft unter Dach zu kommen. Etwas Besseres finden wir gewiß nicht.«
Gleich darauf standen sie alle drei auf dem Hof. Die beiden fielen im selben Augenblick, als sie standen, in Schlaf, der dritte aber sah eifrig um sich, um zu entdecken, wo er unter Dach kommen konnte. Es war keineswegs ein kleines Gehöft. Außer Wohnhaus, Pferdestall und Kuhhaus waren da lange Seitenflügel mit Scheuern und Tennen und Vorratskammern und Geräteschuppen. Aber es sah alles schrecklich heruntergekommen und verfallen aus. Die Mauern waren grau und moosbewachsen und machten den Eindruck, als wenn sie einstürzen wollten. In dem Dach waren klaffende Löcher, und die Türen hingen schief auf zerbrochenen Hängen. Es war offenbar lange her, seit jemand dort auf dem Hofe dran gedacht hatte, auch nur einen Nagel in eine Wand zu schlagen.
Indessen hatte der, der wach war, ausfindig gemacht, welches von den Häusern der Kuhstall war. Er rüttelte seine Reisekameraden auf und führte sie an die Stalltür. Die war glücklicherweise nur mit einer Krampe geschlossen, die er mit einem Stock leicht in die Höhe heben konnte. Er atmete schon erleichtert auf bei dem Gedanken, daß sie bald in Sicherheit sein würden. Aber als die Stalltür mit einem lauten Kreischen aufsprang, hörte er eine Kuh brüllen. »Kommt meine Herrin endlich?« sagte die Kuh. »Ich glaubte nicht, daß ihr noch die Absicht hättet, mir heute abend Futter zu geben!«
Der Wache blieb erschreckt an der Tür stehen, als er merkte, daß der Kuhstall nicht leer war. Aber er sah bald, daß da nur eine einzige Kuh war und drei, vier Hühner, und da faßte er wieder Mut. »Wir sind drei arme Reisende, die gern über Nacht eine Unterkunft finden wollen, wo uns kein Fuchs überfallen und keine Menschen uns fangen können,« sagte er. »Wir möchten gern wissen, ob sich dieser Ort für uns eignen könnte.«– »Ich kann es mir nicht anders denken,« antwortete die Kuh. »Die Wände sind ja freilich schadhaft, aber noch kann der Fuchs nicht da hindurch, und hier wohnt niemand als eine alte Frau, die wahrhaftig keine Kräfte hat, um jemand gefangen zu nehmen. Aber wer seid ihr denn?« fuhr sie fort, indem sie sich in ihrem Stand umdrehte, um die Neuangekommenen zu sehen. – »Ich bin Niels Holgersen aus West-Bemmenhög; ich bin in einen Kobold verwandelt,« erwiderte der erste der Eintretenden. »Und ich habe eine zahme Gans bei mir, auf der ich zu reiten pflege, und eine Graugans.« – »So seltener Besuch ist noch nie über meine Schwelle gekommen,« sagte die Kuh, »und ihr sollt willkommen sein, wenn ich auch lieber gesehen hätte, daß es meine Herrin gewesen wäre, die käme, um mir mein Abendbrot zu geben.«
Der Junge half nun den Gänsen in den Kuhstall hinein, der ziemlich groß war und stellte sie in einen leeren Stand, wo sie augenblicklich einschliefen. Sich selbst machte er ein kleines Bett aus Stroh und hoffte, daß er bald ihrem Beispiel folgen würde.
Aber daraus wurde nun nichts, denn die arme Kuh, die ihr Abendbrot nicht bekommen hatte, konnte keinen Augenblick ruhig sein. Sie rüttelte an der Halskette, bewegte sich in dem Stand hin und her und klagte, daß sie so hungrig sei. Der Junge vermochte kein Auge zu schließen, er lag da und nahm in Gedanken alles durch, was ihm in den letzten Tagen begegnet war.
Er dachte an das Gänsemädchen Aase und an den kleinen Mads, denen er so unverhofft begegnet war, und er ward sich klar darüber, daß das kleine Haus, das er unversehens in Brand gesteckt hatte, ihr altes Heim in Smaaland sein müßte.
Er konnte sich ja auch entsinnen, daß sie ihm von genau so einem Hause und von der großen Heide rings umher erzählt hatten. Nun waren sie daher gewandert, um ihr Heim wiederzusehen, und als sie es erreicht hatten, stand es in hellen Flammen! Es war ja ein großer Kummer, den er ihnen bereitet hatte, und es tat ihm sehr leid. Wenn er jemals wieder ein Mensch wurde, mußte er versuchen, ihnen das Leid und den Schmerz zu vergüten.
Dann wanderten seine Gedanken zu den Krähen, und als er an Fumle-Drumle dachte, der ihm das Leben gerettet hatte und der so bald, nachdem er zum Häuptling gewählt war, den Tod erleiden mußte, wurde er so traurig, daß ihm Tränen in die Augen traten.
Die letzten Tage waren hart für ihn gewesen, aber ein großes Glück war es doch, daß der Gänserich und Daunenfein ihn aufgespürt hatten.
Der Gänserich erzählte, daß, sobald die wilden Gänse sein Verschwinden bemerkt hatten, sie alle die kleinen Tiere im Walde nach ihm ausfragten. So erfuhren sie denn bald, daß er von einer Schar wilder Krähen aus Smaaland entführt worden war. Aber die Krähen waren schon außer Sicht, und niemand konnte sagen, welchen Kurs sie genommen hatten. Um den Jungen so schnell wie möglich zu finden, hatte Akka alsdann den wilden Gänsen befohlen, immer zu zweien nach verschiedenen Seiten auszufliegen, um nach ihm zu suchen. Aber, sie mochten ihn nun gefunden haben oder nicht, nachdem sie zwei Tage gesucht, sollten sie alle im nordwestlichen Smaaland auf einem hohen Berggipfel zusammentreffen, der einem stumpfen Turm glich, und der Taberg hieß. Und nachdem Akka sie die besten Wegezeichen gelehrt und ihnen genau beschrieben hatte, wie sie den Taberg finden würden, trennten sie sich.
Der weiße Gänserich hatte Daunenfein zur Reisegefährtin erwählt, und sie flogen in großer Angst um Däumling von einem Ort zum andern. Wählend sie so umherstreiften, hörten sie eine Drossel, die in einem Baumwipfel saß, schelten und schmähen, daß einer, der Krähenraub hieß, sich über sie lustig gemacht hatte. Sie hatten sich mit der Drossel in eine Unterhaltung eingelassen, und sie hatte ihnen gezeigt, nach welcher Seite dieser Krähenraub geflogen war. Nach einer Weile trafen sie einen Täuberich, einen Star und eine Stockente, die sich alle über einen boshaften Wicht beklagten, der sie in ihrem Gesang gestört hatte, und der Krähenraub, Krähengestohlen und Krähendiebstahl hieß. Auf die Weise konnten sie Däumlings Spur bis hinab nach