Zwischen dem Kuhstall und dem Pferdestall befand sich auf dem Hofe eine große Einfahrt, und die lag so, daß sie ebenfalls beleuchtet wurde. Und als die Nacht bereits ein wenig vorgeschritten war, sah die alte Frau einen kleinen Knirps, der nicht größer war als eine Handbreit, aber Holzschuhe und Lederhosen trug wie ein Arbeitsmann, leise und vorsichtig aus der Einfahrt auf den Hof schleichen. Die alte Frau begriff sofort, daß es der Kobold sei, und sie wurde nicht im geringsten bange. Sie hatte immer gehört, daß er sich dort auf dem Hofe aufhielt, obgleich sie ihn noch nie gesehen hatte, und ein Kobold hatte ja Glück im Gefolge, wo er sich zeigte.
Sobald der Kobold auf den gepflasterten Hof gekommen war, lief er geradeswegs auf den Eichhörnchenkäfig zu, und da der so hoch hing, daß er ihn nicht erreichen konnte, holte er sich eine Stange aus dem Gerätschaftsschuppen, stellte sie an den Käfig und kletterte daran in die Höhe, wie ein Seemann ein Tau entert. Als er an den Käfig hinaufkam, rüttelte er an der Tür des kleinen grünen Hauses, als wolle er sie öffnen, aber die alte Frau war ganz ruhig, denn sie wußte, daß die Kinder ein Hängeschloß vor die Tür gehängt hatten, aus Furcht, daß die Nachbarjungen versuchen könnten, das Eichhörnchen zu stehlen. Die alte Frau sah, daß, als der Kobold die Tür nicht aufbekommen konnte, das Eichhörnchen in das Stahldrahtrad hinausging. Dort hielt es eine lange Beratung mit dem Kobold ab. Und als der Kobold alles gehört hatte, was das gefangene Tierchen zu erzählen hatte, rutschte er an der Stange herunter und lief zum Tore hinaus.
Die alte Frau dachte, sie würde in dieser Nacht nichts mehr von dem Kobold sehen, aber sie blieb trotzdem am Fenster sitzen. Als eine kleine Weile vergangen war, kam er zurück. Er lief so schnell, daß sie kaum sehen konnte, wie seine Füße den Erdboden berührten, und er eilte auf den Käfig zu. Die alte Frau mit ihren weitsichtigen Augen konnte ihn deutlich sehen, und sie konnte auch sehen, daß er etwas in den Händen trug, aber was es war, konnte sie nicht begreifen. Das, was er in der linken Hand hatte, legte er auf das Steinpflaster, aber das, was er in der rechten hatte, nahm er mit nach dem Käfig hinauf. Hier stieß er mit seinem Holzschuh gegen das kleine Fenster, so daß die Scheibe zerbrach, und dann steckte er das, was er in der Hand hatte, durch das Loch dem Eichhörnchen zu. Darauf ließ er sich wieder hinabgleiten, nahm das, was er an die Erde gelegt hatte, und kletterte auch damit nach dem Käfig hinauf. Und als das getan war, eilte er wieder so hastig von dannen, daß die alte Frau ihm kaum mit den Augen folgen konnte.
Nun aber war an dem Mütterchen die Reihe, nicht mehr still in der Stube sitzen zu können. Ganz leise ging sie auf den Hof hinaus und stellte sich in den Schatten der Pumpe, um auf den Kobold zu warten. Und da war noch eine, die ihn entdeckt hatte und neugierig geworden war, nämlich die Hauskatze. Die kam leise geschlichen und stellte sich an der Mauer auf, gerade ein paar Schritte außerhalb des hellsten Lichtstreifs.
Sie standen beide da und warteten eine ganze Ewigkeit in der kalten Märznacht, und die alte Frau dachte schon daran, wieder hineinzugehen, als sie etwas auf dem Steinpflaster klappern hörte und den kleinen Knirps noch einmal dahergetrabt kommen sah. Ebenso wie vorhin trug er etwas in jeder Hand, und das, was er trug, piepste und zappelte. Und nun ging dem Mütterchen ein Licht auf. Sie begriff, daß der Kobold im Nutzholz gewesen war und die jungen Eichhörnchen geholt hatte, und daß er sie zu der Mutter bracht, damit sie nicht verhungern sollten.
Das Mütterchen stand ganz still, um nicht zu stören, und es schien auch nicht, als wenn der Kobold sie bemerkt hatte. Er wollte gerade das eine Junge an die Erde legen, um mit dem andern nach dem Käfig hinaufzuklettern, als er die grünen Augen der Katze dicht neben sich sah. Ganz ratlos blieb er stehen, ein Junges in jeder Hand.
Er wandte sich um, sah nach allen Seiten aus und gewahrte nun das Mütterchen. Da bedachte er sich nicht lange, sondern ging hin und reichte ihr eins der jungen Eichhörnchen hin.
Und das Mütterchen wollte sich seines Vertrauens nicht unwürdig zeigen, sie beugte sich hinab und nahm das Eichhörnchen entgegen und stand da und hielt es, bis der Kobold mit dem andern nach dem Käfig hinaufgeklettert war und nun kam, um das zu holen, das er ihr anvertraut hatte.
Am nächsten Morgen, als sich die Leute im Bauernhofe um den Morgenimbiß sammelten, konnte die alte Frau ja nicht an sich halten, sie mußte erzählen, was sie in der Nacht gesehen hatte. Und sie lachten natürlich alle zusammen und sagten, das habe sie geträumt. So früh im Jahre gebe es noch gar keine jungen Eichhörnchen.
Sie aber war ihrer Sache sicher und bat sie, im Eichhörnchenkäfig nachzusehen, und das taten sie. Und da lagen auf dem Laubbett in der Stube vier kleine halbnackte und halbblinde Junge, die mindestens ein paar Tage alt waren.
Als der Hausvater die Jungen sah, sagte er: »Es mag nun hiermit sein wie es will, das aber ist gewiß, wir haben uns hier auf dem Hofe so benommen, daß wir uns vor Tieren und Menschen schämen müssen.« Und dann nahm er das Eichhörnchen und alle die Jungen aus dem Käfig heraus und legte sie dem Mütterchen in die Schürze: »Geh du nun mit ihnen in das Nußholz hinaus,« sagte er, »und gib ihnen ihre Freiheit wieder!«
Über diese Begebenheit wurde soviel geredet, und sie kam sogar in die Zeitung. Aber die meisten wollten nicht daran glauben, weil sie sich nicht erklären konnten, wie so etwas geschehen könne.
Vittskövle.
Sonntag, den 26. März.
Ein paar Tage später trug sich ein ebenso sonderbares Ereignis zu. Eine Schar wilder Gänse kamen eines Morgens und ließen sich auf einem Felde drüben in dem östlichen Schonen, nicht weit von dem großen Gut Vittskövle nieder. In der Schar befanden sich dreizehn Gänse von der gewöhnlichen grauen Farbe und ein weißer Gänserich, der einen kleinen Knirps auf dem Rücken trug. Der hatte eine gelbe Lederhose, und eine grüne Weste an und auf dem Kopfe eine weiße Zipfelmütze.
Sie waren nun ziemlich nahe an der Ostsee, und auf dem Felde, wo sich die Gänse niedergelassen hatten, war der Boden sandig, wie er es an der Küste zu sein pflegt. In der Gegend war allem Anschein nach früher Flugsand gewesen, denn an mehreren Stellen standen große Tannenanpflanzungen, offenbar um den Sand zu halten.
Als die wilden Gänse eine Weile gegrast hatten, kamen ein paar Kinder in der Ackerfurche entlang. Die Gans, die Wache hielt, schwang sich schnell mit klatschendem Flügelschlag in die Luft empor, damit die ganze Schar hören könne, daß Gefahr im Anzuge sei. Alle wilden Gänse flogen auf, aber der weiße Gänserich blieb ganz ruhig grasend auf dem Felde. Als er die andern fliegen sah, hob er den Kopf empor und rief ihnen nach: »Ihr braucht wirklich vor denen da nicht zu entfliehen. Es sind ja nur ein paar Kinder!«
Der kleine Knirps, den der weiße Gänserich auf dem Rücken gehabt hatte, saß auf einem Erdhügel am Waldesrande und zerzupfte einen Tannenapfel, um die Samenkörner herauszubekommen. Die Kinder waren so dicht in seiner Nähe, daß er nicht über das Feld hinüber zu dem weißen Gänserich zu laufen wagte. Er versteckte sich schnell unter einem großen, welken Distelblatt und stieß dabei einen warnenden Ruf aus.
Der Gänserich aber hatte offenbar beschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Er graste ruhig weiter auf dem Felde und achtete nicht einmal darauf, wohin die Kinder gingen.
Die bogen indessen vom Wege ab, gingen über das Feld und näherten sich dem Gänserich. Als der endlich aufsah, waren sie ganz in seiner Nähe, und nun erschrak er so und war so verwirrt, daß er ganz sein Fliegen vergaß und zu laufen anfing,