Das Multikat. Urs Rauscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs Rauscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847614852
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landete ich nicht auf der Toilette, sondern in einem Raum, der nur dafür geschaffen worden war, dass Starkraucher sich hier ihrer Sucht voll und ganz hingeben konnten, bevor sie im Flugzeug für viele Stunden wieder darben mussten. Ich erstickte beinahe an so viel Rauch in meinen Atemwegen. Ich hatte selbst nie geraucht und Passivrauchen immer als besonders unangenehm empfunden. Aber was in diesen Stuben mit meiner Lunge geschah, ging weit über Passivrauchen hinaus. Ich glaube, ich atmete mehr Rauch ein als die Menschen, die dort nur an ihrer Zigarette sogen. Nach wenigen Sekunden schon stellte ich mir vor, wie ich wegen Rauchvergiftung in ein Emirate-Krankenhaus eingeliefert werden würde, wo ich, weil ich keine Zahlungsmittel dabei hatte, kein Essen und keine Behandlung bekäme, bevor man mich ins Gefängnis sperrte, weil ich ohne Devisen eingereist war. Also stürzte ich zur Tür und brach vor dem Raum hustend auf dem Boden zusammen. In der eigentlichen Toilette trank ich anschließend Wasser und spülte meinen Mundraum aus. Erst am Gate befand ich mich in Sicherheit. Gierig knabberte ich Erdnüsse, die man uns in Minipackungen zusammen mit Gratiszeitungen gereicht hatte.

      Der Flug nach Neu-Delhi glich aufgrund der Klimaanlage einer Winterreise. Der Weiterflug nach Bhutan verlief weitgehend reibungslos, nur dass eine litauische Familie neben mir saß, die mich nicht nur mit ihrer Lautstärke, sondern auch mit ihrer schrecklichen Sprache piesakte, so dass ich schon beim Landeanflug dem bhutanischen Singsang entgegen fieberte, der dagegen nichts als Balsam für meine Ohren sein würde.

      Beim Ausgang der Gepäckabholung traf ich sofort auf meinen nächsten Verbindungsmann. Er hielt ein Schild mit meinem Namen hoch, und obwohl man Stahl mit AH schreibt und nicht mit Doppel-A, ließ sich unschwer erkennen, dass er mein Mann war. Er war vielleicht Mitte vierzig. Er stellte sich als Kimpong vor. Kimpong, Dongsai, um genau zu sein, und ich wusste nicht, welcher nun sein Vorname und welcher sein Nachname war. Schließlich nannte ich ihn Kim, was mir im Zusammenhang mit Asiaten ein angebrachter Name zu sein schien.

      Interessanterweise sprach er deutsch. Als ich ihn fragte, wie dies komme, sagte er, er sei in jungen Jahren in der DDR ausgebildet worden. Seine Regierung habe ihn dorthin geschickt, damit er die demokratischen Prinzipien kennen lerne und seinen König darin unterrichte. Es habe aber ein Missverständnis gegeben, und eigentlich hätte die BRD sein Ziel sein sollen, aber da man Helmut Kohl wegen seines Aussehens für einen Kommunisten hielt, Honecker aus demselben Grund hingegen für einen lupenreinen Demokraten, habe man angenommen, die DDR sei die BRD und umgekehrt. So sei er schließlich in Karl-Marx-Stadt gelandet, wo er gelernt habe, wie man Zahnräder mit Getriebestangen verschraubt. Nach dem Jahr, das für seine Ausbildung vorgesehen war, habe er ausreisen wollen, da er in diesem Alter unbedingt zum ersten Mal heiraten wollte, man ihn aber keine deutsche Frau heiraten ließ. Das Ausreisen habe man ihm aber ebenso wenig gestattet, weil die Behörden ihn für einen Vietnamesen hielten und die vietnamesische Regierung ihm keine Freigabe erteilte. Zu diesem Zeitpunkt sei seiner Regierung noch nicht klar gewesen, dass es jenem Land an Demokratie genauso mangelte wie an brauchbaren Zahnrädern. Deshalb habe sein Land auch nichts für seine Ausreise unternommen und stattdessen sein längeres Bleiben begrüßt und der Deutschen Demokratischen Republik für ihre Gastfreundschaft gedankt. Schließlich habe er keinen anderen Weg mehr gesehen, als zu fliehen. Er habe erfahren, dass die Grenze von Soldaten strenger bewacht wurde als der Korphu-Bergpass in Tongsa vom Wetter. Deswegen habe er sich akribisch auf die Flucht vorbereitet. Monatelang sei er nach der Arbeit in sein winziges Zimmer gekommen und habe an den Details der Flucht gefeilt. Es habe mehrere vergebliche Anläufe gegeben, bei denen er beinahe erwischt worden wäre. Eines Nachts sei er jedoch, unentdeckt von Scheinwerfern und Hunden, durch die Todeszone gekrochen, habe sich einen Arm gebrochen und vom Stacheldraht die Beine aufreißen lassen, und sei bei Tagesanbruch erschöpft auf BRD-Boden liegengeblieben, nur um am selben Tag zu erfahren, dass die Grenze am Vorabend geöffnet worden war.

      Dies alles erzählte er mir in seinem Wagen, einem uralten, rostigen Taxi, auf dem Weg vom Flughafen Paro in die Hauptstadt Thimpu. Er sagte mir, er sei für die Dauer meines Aufenthalts mein Betreuer, und obwohl er in Thimpu lebe und arbeite, werde er mich in die Berge begleiten und seine Frau mitnehmen, man bezahle ihn ja so gut dafür, dass er auf's Taxifahren während der Zeit verzichten könne. Bevor es jedoch in die Berge gehen könne – ich sah nach draußen und wollte meinen, wir seien schon in den Bergen -, müssten wir noch einen Abstecher in die Hauptstadt machen. Die Gesellschaft, für die er arbeite, wolle sichergehen, dass ich auch angekommen sei und er mich unter seiner Obhut habe. Sie müsse dann dem Auftraggeber in Deutschland - meinem Arbeitgeber? -, eine Nachricht schicken, so dass dieser wisse, dass alles geklappt habe. Ich sagte, dass sei für mich alles kein Problem und ohnehin ziehe es mich nicht sofort in die Berge. Fröstelnd schaute ich hinaus auf die Bergspitzen.

      „Was mach Hea Genosse in Bhutaan?“, fragte Kim während er den Lenker herumriss.

      Ich sagte ihm, dass er mich bei meinem Namen nennen könne, und er löcherte mich weiter nach dem Grund meines Kommens.

      „Arbeiten“, sagte ich.

      „Was albeit Sie?“

      „Dies und das.“

      „Ahhh.“ Er lächelte aufrichtig. Er hatte gute weiße Zähne. Sein Haar war im Nacken sehr kurz geschnitten. Der Kragen seiner Jacke war fellgesäumt und er hatte eine Ledermütze mit einem Saum aus Lammfell auf.

      Ich lächelte vielsagend in den Rückspiegel.

      „Muss sein wichtig Albeit“, ließ er nicht locker.

      „Warum?“

      „Weil Albeitgeb so viel zahl.“

      „Ja“, sagte ich.

      „Mein Chef ist ganz flöhlich. Ganz flöhlich. Vieel Gel. Viel deutsch Gel.“

      „Ja“, sagte ich erneut. „Ich bin auch fröhlich.“

      „Ich auch!“, versicherte Kim. „Mein Flau auch.“

      „Dann ist ja gut“, meinte ich und lenkte den Blick vom Rückspiegel wieder nach draußen.

      „Albeitgeb zahl für Hea Genosse Umtauschgebüa?“

      „Dass heißt Sie, einfach nur Sie!“, sagte ich etwas ungehalten. „Was meinen Sie mit Umtauschgebühr?“

      „Sie könn mich Du nenn.“

      „Was meinst Du mit Umtauschgebühr, Kim?“

      „Sie müss imma 250 Dollaa zahl. Jed Toulis.“

      Ich machte eine wegwerfende Handbewegung: „Komm, lass es. Du kannst mich auch duzen, also du zu mir sagen.“

      Sein Gesicht hellte sich auf: „Ich dank dia, Genosse.“

      „Kein Genosse mehr! Verstanden?“

      „Ja“, sagte er geknickt.

      „Also jede Woche muss man 250 Dollar zahlen?“, nahm ich den Faden in mildem Ton wieder auf.

      „Jed Tag.“

      „Was? Jeden Tag?“

      „Ja. So komm kein alm Toulis hiahea. Der König will kein alm Toulist im Lan. Bhutaan is ein stolz Lan.“

      „Sicher“, sagte ich in Gedanken. Ich rechnete gerade die Summe aus, die mein sechsmonatiger Aufenthalt kostete.

      „In Indien, in Nepal, gib es viel alm Toulis, aba sie bring nua Ploblem und kein Gel. Du verstehs?“

      „Verstehe ich.“

      Wir fuhren nach Thimpu hinein. Die Stadt war nicht sonderlich groß, lag an einem Fluss und war ganz in einem traditionellen Stil gehalten. Die Gebäude hatten, selbst wenn sie mehrstöckig und neueren Datums waren, pagodenförmige Dächer und waren weiß oder beige getüncht. Wir kamen an Palästen und Tempeln vorbei, an Parks und Märkten. Es war so wenig los auf den Straßen, dass es keine Ampeln gab. Auch Fahrradfahrer suchte ich vergeblich. Im Zentrum der Stadt lag das Büro, das meinen Aufenthalt organisierte. Wir parkten davor, mitten auf der Straße und gingen hinein. Ich wurde Kims Chef lediglich vorgeführt. Er antwortete nicht auf meine Begrüßung, sondern