Das Multikat. Urs Rauscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs Rauscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847614852
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Kopf: „Ich glaub nicht, dass das so schnell geht.“

      „Warum? Eine Besprechung, den Vertrag unterschreiben, Vielleicht noch einen Drink, eine Nacht in der Villa und morgen bin ich wieder zurück.“

      „Er meinte, Kleidung für zwei Wochen.“ Sie zuckte mit den Schultern.

      „Davon hat er mir nichts gesagt. Soll ich das Buch bei ihm schreiben?“

      „Keine Ahnung. Ich dachte, ihr habt das besprochen.“

      Ihre letzten Worte brachten mich auf. „Du hast doch alles mit ihm besprochen!“

      „Jetzt übertreib nicht“, beschwichtigte sie und zog meinen Kopf zu sich herunter, um mich auf die Lippen zu küssen.

      Ich löste mich erzürnt, nur um mich kurz darauf zu besinnen und ihren Kuss zu erwidern. Ich küsste sie noch einmal. Und wieder. Es war, als hielte ich mich mit jeder Lippenberührung an ihr fest. Irgendetwas sagte mir, dass ich nicht fahren sollte, dass ich die Million ausschlagen und mein Leben so weiterleben sollte wie bisher. So schlimm war es schließlich gar nicht.

      Aber dann saß ich im Auto und ließ das Fenster hinunter, um Beate noch ein paar letzte Liebesbekundungen zukommen zu lassen. Vielleicht sahen wir uns nun zwei Wochen nicht – fast eine kleine, unerwartete Lesereise. „Ich hab dein Navi schon programmiert“, sagte sie mit einem Lächeln, als ich das Gerät über dem Armaturenbrett anschaltete. Ich zwang mich auch zu einem Lächeln. Ich heftete meine Augen an sie, winkte ihr zu. Erst als ich außer Sichtweite des Hauses war, ließ ich das Fenster wieder nach oben.

      Nun war ich also fast an meinem Ziel angelangt. Fünf Stunden war ich bereits gefahren und ich hatte den jungen Herbst und das Autofahren gründlich satt. Die Bourbon-Nebelschwaden in meinem Kopf wurden an Autobahnraststätten mit billigem Pappbecherkaffee vertrieben. Ich wollte klar werden, bevor ich der Großen Persönlichkeit gegenüberstand, von der Beate gesprochen hatte. Im Internet hatte ich nach einer Fotografie geschaut, war aber nur auf ein reichlich undeutliches, verschwommenes Bild gestoßen, dass aus einem Gruppenfoto ausgeschnitten und dann vergrößert worden war. Außer einer Halbglatze und einem gesichtseinnehmenden Grinsen war nicht viel zu erkennen gewesen. Aber immerhin kannte ich schon die Stimme und von dieser ließ sich bereits ein Großteil der Persönlichkeit ableiten. Und den Nachnamen. Steigbügel. Er klang so, als hätte sein Vorfahre anderen zu wichtigen Posten oder Ämtern verholfen. Vielleicht konnte er ja mir auf das hohe Ross des Reichtums helfen.

      Sicherlich war ich dem Geld nicht vollkommen abgeneigt, jedoch war es anzuhäufen nie mein primäres Ziel im Leben gewesen. Selbst Berühmtheit hatte ich nie bewusst angestrebt. Ich fand Erfüllung im Schreiben, dem Erschaffen von Sätzen und Texten, der Hingabe an die Intuition und Erfindungskraft im Detail, und da es mich ernährte, hatte ich immer damit weitergemacht, selbst wenn mir ein paar Jahre lang keine gute Idee kam. Ich ging dabei vor wie die meisten meiner Kollegen, die alle zwei bis drei Jahre ein neues Buch herausbrachten, einfach um den Erwartungen des Marktes zu genügen. Wir verkauften unsere Bücher, weil wir einmal ein recht ordentliches Werk verfasst hatten. Das war zu Beginn unserer Karriere gewesen, als die Eingebung uns geleitet hatte, als es eine gewisse Dringlichkeit gab, einer Idee Form zu verleihen, und man schließlich als Schriftsteller endete, weil man eben keine anderes Ventil gefunden hatte als ein fiktionales Buch, um das, was einem auf der Seele brannte, zum Ausdruck zu bringen. Andere Leute waren Fußballfans geworden, Politaktivisten, ewige Grantler oder große Liebhaber. Ich eben Schriftsteller. Das Buch verlieh meinen Gefühlen die richtige Stimme: Ich war nicht zornig genug, um politisch zu handeln, nicht fanatisch genug, um mit anderen herumzubrüllen, nicht frustriert genug, um anderen mit meinen Kommentaren das Leben zu vergällen, und nicht leidenschaftlich genug, um mehr als einer Frau meine Liebe und körperliche Energie zu schenken. Mein Gefühlsleben war genauso wohl temperiert wie es das der Figuren in meinen Romanen war, und vermutlich ebenso wie das meiner Leser, weswegen ich bereitwillig jene Spiegel aus Wörtern dafür erschuf, ohne mich allzu sehr verbiegen zu müssen. Also verlangte der Verlag alle paar Jahre ein Manuskript, und alle paar Jahre begab ich mich nach Erscheinen der neuen Geschichte auf eine mehrwöchige Lesereise, bei der ich mein Buch denjenigen Menschen vorlas, die ohnehin vorgehabt hatten, es zu kaufen. Viel mehr als eine Werbeveranstaltung waren diese Lesungen ein Dankeschön an die treue Leserschaft. Denn als ich einmal wegen Krankheit nicht auf Reise gehen konnte, verkaufte sich das Buch eben so gut wie jene davor und diejenigen, die ich danach imstande war mit meiner etwas schwachen Stimme zu bewerben.

      Weder passte ich meinen Stil dem Großen Geschmack der Masse an, wie es eine berühmter Literaturkritiker in abfälligem Ton genannt hatte, noch hatte ich die eine geniale Idee, die mein Werk zu Weltliteratur gemacht und somit millionenfach verkauft hätte, aber trotzdem kaum tatsächlich gelesenen werden ließ. Es gab also weder das Glück noch die Bemühung, das Große Geld zu scheffeln. Meine Frau kannte ich eigentlich auch nicht als gierig, und so war ich doch einigermaßen, wenn vielleicht nicht befremdet, dann doch verwundert über die Zielstrebigkeit, mit der sie mich dem mir unbekannten Mäzen zuführte, die Zweifellosigkeit, mit der sie von mir erwartete, dass ich zu ihm fuhr und seinem seltsamen Vorhaben zustimmte.

      Nun war ich lange auf Autobahn und Landstraße gewesen, und hatte es in das kleine Kaff geschafft, in welchem sein Anwesen stehen sollte: Daunloding. Nichts deutete darauf hin, dass hier ein Empfänger des Bundesverdienstordens und steinreicher Unternehmer seine Wohnstätte errichtet hatte. Es gab Landwirtschaftsgebäude und kleine Einfamilienhäuser und im Ortszentrum ein kümmerliches Rathaus sowie eine Kirche mit Zwiebelspitze. Außer einer alten Frau mit Hund zeigte sich bei dem Wetter keiner der Bewohner auf der Straße. Ich musste durch die Ortschaft hindurch fahren, um zu der Straße zu gelangen, in der mein Auftraggeber laut den von Beate im Internet eingeholten Informationen wohnte. Mein Navi kannte die Straße, sobald ich jedoch in diese eingebogen war, versagte es mir den Dienst, und weil die Dame mit der unfreundlichen Stimme sich im Sekundentakt wiederholte, musste ich das Gerät ausstellen und selbst auf die Suche gehen.

      Dies gestaltete sich nicht sonderlich schwer. Ich folgte einfach dem Straßenverlauf entlang einer ungemähten, feuchtschweren Wiese, über einen Bach, durch ein Wäldchen, dann eine kurvenreiche Hügelkette. Die Hausnummer lautete auf 54, aber es gab nur ein einziges Haus. Es lag am Ende der Straße und war dasjenige meines zukünftigen Gastgebers. Entweder hatte er sämtliche Grundstücke aufgekauft und sich den Scherz erlaubt, auszurechnen, wie viele andere Häuser nebeneinander an die Straße gepasst hätten, oder aber er war so korrekt, dass er einem Haus, das sich am Ende und nicht am Anfang der Straße befand, niemals die Nummer 1 gegeben hätte. Womöglich gab es aber einen anderen Grund: Die Nummer 1 hätte zu viel Aufmerksamkeit auf sein Haus gezogen. Bei Firmensitzen bedeutet sie, dass kein anderes Haus mehr an die Straße passte. Diese hier hieß auch nicht Steigbügelstraße, sondern Wäldchenweg, was Uneingeweihte sofort auf die falsche Spur bringen würde.

      Ich fuhr an einem Platz aus Schotter vorbei. Dann kam sein Grundstück. Das Haus selbst konnte ich zunächst überhaupt nicht sehen. Ich konnte lediglich erahnen, dass es sich hinter der drei Meter hohen Ligusterhecke befand, die in der Mitte durch einen Pflastersteinweg geteilt wurde. Dieser Weg wiederum wurde durch ein goldspitzenbewehrtes Eisentor versperrt und das Tor wurde flankiert von zwei Gebäuden, einstöckigen runden Türmen, die über Panzerglasfenster verfügten. Durch die dunklen Spiegelungen der Türme in den gegenüberliegenden Fenstern hindurch konnte ich inmitten der Reflektion des Herbstlichts die Gesichter zweier Wachmänner erkennen.

      Der linke Mann wies mit der Hand auf sein Gegenüber. Ich fuhr näher an den rechten Turm heran. Der Wachmann hatte einen breiten Hals unter einem breiten Kinn. Er sah mich bedrohlich an. Seine Haare waren zu einer blonden Bürste gestutzt, die Wangen gerötet. Er bedeutete mir mit einer Handbewegung, dass ich mein Seitenfenster herunterlassen solle. Ich kurbelte es herunter und sogleich hörte ich seine Stimme aus einem Lautsprecher. Es klang unangenehm, aber verstehen konnte ich es nicht, denn der Lautsprecher war auf der anderen Seite von meinem Auto. Ich gab ihm ein Handzeichen, dass er mit dem Sprechen einhalten solle, dann kletterte ich auf den Beifahrersitz und kurbelte dort das Fenster herunter. Er beendete gerade seine Informationsrede mit einem Genehmigung.

      „Was für eine Genehmigung?“, fragte ich und bat ihn,