Weihnacht von Karl May. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752215
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zu sprechen und wurde

       deshalb Cyprinus Carpio oder kurz weg Carpio genannt, weil Karpfen bekanntlich auch nicht

       gern viele Worte machen. Wir pflegten unsere beiderseitige Barschaft zwar nicht in eine

       gemeinsame Reisekasse zu verschmelzen, aber doch der eine mit den Mitteln des andern zu

       rechnen, was zur Folge hatte, daß der, welcher mehr besaß, sich stets bemühte, heimlich dafür

       zu sorgen, daß der gegenwärtig Ärmere nicht unter seinem augenblicklichen Proletariat zu

       leiden hatte. Es kamen da Beispiele von Selbstlosigkeit und Aufopferung vor, welche wirklich

       rührend waren, obgleich oder vielleicht grad weil es sich dabei um ganz geringe Beträge, um

       Groschen oder gar nur um Pfennige handelte. Das ganz natürliche Ergebnis dieses Verhaltens

       war, daß am Schlusse jeder solchen Reise bei beiden der Rest ihres Geldes genau derselbe

       war. Wenn einer unserer heutigen Finanzminister dabeigestanden und gehört oder gesehen

       hätte, mit welch einer weisen und bedachtsamen Wichtigkeit wir über die geringste Ausgabe

       verhandelten, er hätte von uns lernen können. Wir sind sogar einmal über den Fluß

       geschwommen, um zwei Kreuzer Fährgeld zu ersparen.

       Dieser prächtige Junge wollte die von mir geplante Weihnachtsreise gar zu gern mitmachen,

       glaubte aber, daß ich ihn dieses Mal nicht mitnehmen wolle, weil er nicht mehr als zwei

       Thaler zusammenbringen konnte; da war ich gegen ihn doch der reine Millionär! Ich machte

       ihn aber durch die Versicherung glücklich, daß es einem solchen Millionär ein Leichtes sei,

       einen armen Teufel mit durchzuschleppen. Er mußte mit! Wir konnten die Wanderung nicht

       gleich mit dem Beginne der Weihnachtsferien antreten, denn es verstand sich ganz von selbst,

       daß wir die Feiertage bei unseren Eltern verlebten, und als wir dann am bestimmten Orte

       zusammentrafen – denn wir hatten natürlich wie alle bedeutenden Menschen ein

       »Rendezvous« verabredet, teilte er mir strahlenden Auges mit, daß sein Vater ihm einen

       Thaler zugelegt habe. Wir standen also nicht mehr 2 sondern 3 zu 5, und er hatte sich meiner

       Million ganz bedeutend genähert.

       Und wohin sollte unsere Reise gehen?

       Gewöhnlich marschierten wir auf dem Gebirge zwischen Sachsen und Böhmen hin. Wir

       konnten uns da einbilden, die Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien oder gar den

       Himalaya zwischen Tibet und Indien zu durchwandern. Wir hatten da Städte und Dörfer,

       Berge und Thäler, Felsen und Wiesen, Flüsse und Bäche, Sonnenschein und Regen, kurz,

       alles, was unser Herz begehrte. Mehr konnten wir nicht verlangen und auch in keiner andern

       Gegend finden. Dieser Schauplatz unserer Weltreisen war uns lieb geworden, und es gehörte

       schon ein ungewöhnlicher Entschluß nach einer vorhergehenden langen Konferenz dazu,

       wenn wir einmal einen andern wählten.

       Eigentlich hatte diese treue Anhänglichkeit auch einen weniger psychischen Grund, den ich,

       nachdem wir ihn so lange geheimgehalten haben, heut doch einmal verraten will. Ich kann das

       nun ohne größere Gefahr thun, weil wir jetzt doch nicht mehr da oben herumsteigen und also

       andere, ebenso würdige Menschen von den Vorteilen unseres Geheimnisses profitieren lassen

       können.

       Es gab eine für uns sehr wichtige Ursache, welche uns stetig oder vielmehr unstet zwischen

       Österreich und Sachsen hin und her pendeln ließ. Diese Ursache hieß: Kurs, der Geldkurs

       nämlich. Man glaube ja nicht, daß nur wirkliche, faktische Millionäre sich mit den

       Geldkursen zu beschäftigen haben, o nein; je weniger man besitzt, desto wichtiger wird der

       Kurs; das haben wir beide an uns selbst erlebt. Damit soll freilich nicht etwa gesagt sein, daß

       folglich der Kurs für den am allerwichtigsten sei, der gar nichts besitzt, sondern es müssen

       zwei tüchtige Geldleute zusammentreten, welche gewisse, sichere Fonds besitzen, z.B. der

       eine drei und der andere fünf Thaler; die machen eine Reise, eine sogenannte Kursreise, von

       welcher sie, besonders wenn sie dem privilegierten Stande buntbemützter Schüler angehören,

       ganz ungeahnte Vorteile ziehen können. Aber pfiffig muß man sein, und Schüler muß man

       sein! Warum, das werde ich gleich erklären.

       Wie steht heut der Gulden? So und so! Hm! – – Wenn der gewöhnliche Sterbliche mit

       Thalern zahlt und Gulden heraushaben will, dann stehn die Thaler schlecht. Zahlt er Gulden

       und will Groschen haben, so stehen die Gulden schlecht. Und will er sich überzeugen, so ist

       kein Kurszettel zu haben. Tritt aber ein ungewöhnlicher Sterblicher, also ein Schüler herein,

       so traut man ihm kein Geld zu, obgleich er entweder drei oder gar fünf Thaler in der Tasche

       hat. Man sagt ihm ganz ehrlich, wie heut der Gulden steht, und wenn man das nicht weiß, so

       zieht er selbst einen für ihn vorteilhaften Kurszettel hervor, von welchem leider das Datum

       abgerissen ist. Er ißt und trinkt, bezahlt und geht dann fröhlich von dannen. Wohin? Ja, darin

       liegt das großartige Geheimnis. Nämlich steht der Gulden schlecht, so kehrt der Schüler auf

       sächsischer Seite ein und läßt sich für einen Thaler österreichisches Geld geben; steht der

       Gulden hoch, so kehrt er auf böhmischer Seite ein und wechselt die Kreuzer in Groschen und

       Pfennige um. Wenn der Schüler ein bedeutender Kapitalist ist und es also lange genug

       aushalten und durchführen kann, so ist es ihm nicht schwer, Gewinne von solcher Höhe

       einzustreichen, daß ein gewöhnlicher Sterblicher, wenn er dies erführe, ihn beneiden würde.

       Carpio und ich, wir also, haben bei einem Reisegelde von zusammen vier Thaler in acht

       Tagen böhmischerseits elf Kreuzer und auf der sächsischen Seite sechzehn Pfennige profitiert,

       was unserm Reiseunternehmen einen vorher ganz ungeahnten Schwung verlieh. Es gehörte

       aber auch ein gradezu großartiger Aufwand von Scharfsinn und Unternehmungsgeist dazu,

       die Kursverwickelungen zu durchschauen und jede Chance augenblicklich zu benutzen. Wir

       sind z.B. in strömendem Regen stundenweit von Sachsen hinüber nach Böhmen oder in

       umgekehrter Richtung gerannt, um uns für fünfzig Kreuzer Pfennige oder für fünfzig

       Pfennige Kreuzer geben zu lassen. Der Profit wurde in Powidl, sauren Gurken oder andern

       nahrhaften Dingen angelegt, und reichte er nicht aus, so war das Kapital ja auch nur da, um

       nach und nach verbraucht zu werden. Auf diese Weise kam man im Zickzack zwischen

       Sachsen und Böhmen herüber und hinüber immer vorwärts, hatte geistige und geschäftliche

       Anregung in Menge, triumphierte über alle Kurse der Erde und fühlte eine wahre

       Protzenseligkeit, weil man alle Tage von früh bis zum Abende mit Geld nur so um sich warf,

       was