Weihnacht von Karl May. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752215
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Dein zu respektieren weiß!«

       »Schon gut! Jetzt wissen wir, was das Paket enthalten hat; nun wollen wir den Reim lesen!«

       »Können wir nicht noch warten, lieber Sappho?«

       Dieses »lieber Sappho« klang diesmal so zuckersüß, daß es mir auffiel. Darum erkundigte ich

       mich:

       »Warum sollen wir noch warten? Hast du etwa einen besondern Grund?«

       »Einen besondern nicht, aber unsere Spannung würde größer.«

       »Ich bin kein Freund von übermäßiger Spannung. Sehen wir also nach!«

       Ich zog den Umschlag hervor und öffnete ihn. Da legte er seine Hand auf die meinige und

       fragte:

       »Sappho, du bist mein bester, mein allerbester Freund. Willst du mir einen großen, sehr

       großen Gefallen thun?«

       »Welchen?«

       »Lies den Reim heut nicht!«

       »Wann denn?«

       »Später, später, meinetwegen zu Ostern oder zu Pfingsten, nur nicht heut!«

       »Höre, Carpio, mit dir ist etwas nicht richtig; du hast kein reines Gewissen. Ich werde lesen.«

       »Da sage – ich dir – – die Freundschaft auf!«

       »Gut! Betrachten wir sie schon jetzt als vorüber, denn wenn du zu diesem verzweifelten

       Mittel greifst, muß ich erst recht wissen, was Franzl geschrieben hat.«

       Ich zog den Zettel hervor und las ihn. Oh, nun wurde mir freilich alles, alles klar. Armer

       Carpio! Ich hätte laut auflachen mögen, bezwang mich aber, zeigte meine ernsteste Miene,

       schob ihm den Reim hin und sagte:

       »Hier – – lies!«

       Er las und wurde leichenblaß dabei.

       »Das – das – – hätte er nicht – – nicht dichten sollen!« stammelte er.

       »Wer sagte denn soeben noch, daß so ein schlechter Gedanke bei ihm niemals zur Ausführung

       kommen könne? Wer behauptete, den Unterschied zwischen Mein und Dein stets zu

       respektieren? Wer hat sich verstellt, mich getäuscht, belogen und betrogen? Lies mir den

       Reim laut vor!«

       »Das – – das kann ich nicht!«

       »Lies! Zur Strafe! Dann verfahre ich vielleicht gelinder mit dir, du – – du – – du

       Quarkkuchendieb, du!«

       »Versprichst du mir wirklich, nachsichtig zu sein?« fragte er so kleinlaut wie noch nie.

       »Ja.«

       Da las er, und ich hörte ihn an, wie er sich zwingen mußte:

       »Hat Carpio mitten in der Nacht

       Einen Kuchen ganz zu Quark gemacht,

       So stöhnt er unter Angst und Bangen:

       ›Ich hab den Hunger übergangen!‹«

       »Du hast also, als ich schlief, einen ganzen Quarkkuchen aufgegessen?«

       »Ja,« gestand er mit einer wahren Armensündermiene. »Ich habe es dir doch vorhergesagt!«

       »Nein! Du hast nur gesagt, daß der Verlust schwerer zu entdecken sei, wenn man ihn ganz

       aufißt. Einen ganzen, ganzen Quarkkuchen von vier Vierteln und acht Achteln! Das bringt

       doch höchstens nur ein Elefant fertig! Wie ist es dir denn darauf geworden?«

       »Schauderhaft, sage ich dir, schauderhaft! Ich werde noch auf Jahre hinaus zittern, wenn ich

       das Wort Quark nur höre! Übriglassen durfte ich nichts, und als ich mit Ach und Weh fertig

       war, begann der hinterlistige Teig in mir aufzuquellen!«

       »Da dauerst nicht etwa du mich, sondern der edle Löwe, der elend hat ersticken müssen! Du

       konntest dir doch denken, daß die Wirtin ihre Kuchen gezählt hatte!«

       »Das dachte ich natürlich wohl; aber daß sie dann nachzählen würde, dachte ich nicht. Du

       kannst es mir glauben, lieber Sappho: Wenn du das Quadrat der längsten Hypothenuse samt

       den Quadraten ihrer beiden Katheten mit einem ganzen Topf voll Gurkensalat und saurer

       Sahne verzehrst, wird das, was du dann fühlst, gegen das, was ich empfunden habe, als

       grenzenlose Behaglichkeit bezeichnet werden müssen.«

       »Und,« fuhr er nach einer Weile fort, »der körperliche Jammer war nicht der einzige, den ich

       empfand, denn wie, wie habe ich auch geistig, seelisch leiden müssen! Dich zum Beispiele die

       herrlichen großen Klöße essen sehen zu müssen, ohne mitthun zu können, das war eine

       wahrhaft teuflische Grausamkeit, mit welcher mein Schicksal mich strafte. Dann die

       Schlittenfahrt! Deine Fröhlichkeit, deine lachenden Augen, während ich wie ein in der

       Magengegend harpuniertes Walroß dick und angeschwollen hinter dir im Schlitten hockte! Es

       war mir, als hätte ich hunderttausend Zähne verschluckt, welche alle mit Zahnschmerzen

       behaftet waren, die nun in meinem Innern zu wüten begannen. Ich gebe dir mein Wort, daß –

       –«

       »Halt ein, halt ein!« mußte ich jetzt laut auflachen. »Die Schmerzen von hunderttausend

       kariösen Zähnen! Dieser Vergleich ist so pompös, so genial und dabei doch so Mitleid

       erweckend und nach Erbarmen schreiend, daß ich, ich mag nun wollen oder nicht, dem

       armen, harpunierten Walroß meine Gnade wieder zuwenden muß.«

       »Was!« rief er da, vor Freude aufspringend. »Du wolltest – –? du wolltest wirklich – – lieber

       Sappho?«

       »Ja, ich will!«

       »Da – – da – – da könnte ich aus Liebe und lauter Dankbarkeit gleich noch – – noch – –

       noch – –?«

       »Nun, was?«

       »– – gleich noch einen Quarkkuchen essen, hätte ich beinahe gesagt, aber natürlich keinen

       gestohlenen! Armer Sappho! Auch du hast unter dem Verdacht gestanden – –«

       »Oh nein,« unterbrach ich ihn. »Franzl war pfiffig genug, deinem berühmten übergangenen

       Heißhunger sofort anzusehen, daß du allein der Schuldige warst. Du hast ihm und seiner Frau

       heimlich ungeheuern Spaß gemacht.«

       »Ich danke! Mir war es nicht sehr spaßhaft zu Mute! Also, du denkst nicht, daß sie zornig auf

       mich sind?«

       »Nein, das denke ich nicht. Trotzdem aber können wir nicht wieder hin zu ihnen. Es bleibt an

       deiner Ehre doch immer ein Stück von dem Quarke kleben, welches nicht wegzubringen ist.

       Wollen die Sache auf sich beruhen lassen und machen, daß wir von hier fortkommen!«

       »Gut, brechen wir auf! Also, du bist nicht mehr bös auf mich?«

       »Nein.«

       »Bist wieder gut, vollständig wieder gut?«

       »Vollständig!«

       Da schob er mir das Bier hin, von welchem wir noch keinen Schluck getrunken hatten, und

       forderte mich auf:

       »Trink, Sappho!«