Das Plateau auf dem Schlossberg war zu einem kleinen Park ausgebaut, nicht nur Touristen, sondern offenbar auch viele Einheimische nutzen den Ort für kleine Spaziergänge. Anstatt mit der Zahnradbahn konnte man auch auf mehreren Wegen zu Fuß nach oben gelangen, der steilste Weg führt über den Felsenstieg, über den Dächern der historischen Altstadt.
An der Station angekommen, sah er schon von weitem, dass etwas passiert sein musste. Aufgeregte Menschen rannten hektisch herum, einige schienen verletzt zu sein.
Beim Näherkommen hörte er aus der Ferne das Heulen der Sirenen von einem Wagen des Roten Kreuzes, das in Graz den Rettungsdienst versieht. Auch ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr hatte sich inzwischen die steile Serpentinenstraße hochgequält und aus den aufgeregten Gesprächen der immer zahlreicher werdenden Schaulustigen konnte Worthington entnehmen, dass eine bergaufwärts fahrende Bahn verunglückt war.
Offenbar durch eine Explosion war sie entgleist, und nur den Sicherheitseinrichtungen war es zu verdanken, dass die Bahn nicht den steilen Hang hinuntergerutscht war. Von daher war also das ungewöhnliche Geräusch gekommen, das ihn kurz zuvor hatte zusammenschrecken lassen. Aber alleine die Explosion war schon schlimm genug gewesen, denn die Rotkreuzhelfer hatten unterdessen drei sichtlich böse verletzte Fahrgäste aus einem der Waggons herausgeholt und begannen mit deren Notversorgung.
Der Vorplatz füllte sich nun immer mehr mit Einsatzwagen von Polizei und Feuerwehr und langsam kam ihm der Verdacht, dass dieser Unfall wohl nicht ganz zufällig genau zu der Zeit geschehen war, zu der er eigentlich hätte fahren müssen, um rechtzeitig zum Treffpunkt zu kommen.
Obwohl, wer um alles in der Welt sollte es ausgerechnet auf ihn abgesehen haben, ihn, dem unbekannten Touristen aus England?
Wer sollte ihn so hassen, dass er damit sogar das Leben Unschuldiger gefährdete? Er konnte es sich einfach nicht erklären. In seiner früheren Position hatte er zwar des Öfteren die Möglichkeit gehabt, seinen Einfluss geltend zu machen, um einigen Einwohnern die eine oder andere Vergünstigung zukommen zu lassen.
Doch sosehr er sich auch das Hirn zermarterte, er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, sich jemand zum Feind gemacht zu haben.
Geschweige denn, jemandem ein Motiv gegeben zu haben, solch einen schrecklichen Anschlag zu verüben.
Während er gerade überlegte, wie er denn nun zurück in die Stadt kommen sollte; die Bahn würde ja wohl nicht so schnell wieder in Betrieb genommen werden; sah er wieder diesen Mann, der ihm schon auf der Messe aufgefallen war.
Aus dem Ausdruck seines Gesichts, der von ungläubigem Erstaunen, sobald er ihn erkannt hatte, in offensichtliche Wut umschlug, folgerte Worthington, dass der Anschlag wohl tatsächlich ihm gegolten hatte und es nun bestimmt besser wäre, ganz schnell zu verschwinden. Was immer der Mann von ihm wollte, es konnte nichts Gutes sein.
Jetzt war keine Zeit, darüber nachzudenken. Eilig lief er auf die Stelle zu, an der die steile Treppe am Schlossbergfelsen entlang nach unten in die Altstadt von Graz führt. Voller Angst blickte er immer wieder zurück und hoffte, dass sich das alles doch noch als Verwechslung herausstellen würde. Aber dieser verfolgte ihn weiter.
Je näher der Mann auf ihn zukam, desto schneller wurde Worthington. Er stolperte mehr, als dass er rannte, auf der Treppe nach unten.
Mittlerweile richtig in Panik, hatte er nun verständlicherweise keinen Blick mehr für die wunderschöne Silhouette der Altstadt, die immer näher kam. Bei der Kehre in der Mitte der Treppe konnte er nicht mehr weiter laufen, ohne erst mal zu verschnaufen.
Während er noch sich selbst wegen seiner mangelnden Fitness verwünschte, blickte er hoch und sah in die hasserfüllte Fratze des Fremden. Unfähig sich zu rühren, ließ er zu, dass der Mann ihm einen heftigen Stoß versetzte, so dass er vor den Augen einiger entsetzten Touristen den Schlossbergfelsen hinunterstürzte.
Das Letzte, was er noch hörte, war der markerschütternden Schrei einer Frau, die das Ganze mitansehen musste, danach wurde ihm schwarz vor den Augen.
4.Kapitel
Durch ein seltsames Piepen wach geworden schreckte Worthington hoch und wurde augenblicklich von einem fürchterlichen Schmerz in der Schulter durchzuckt.
Rechts neben seinem entdeckte er noch ein zweites Bett, in dem ein älterer Herr schlief. Langsam dämmerte es ihm, dass er in einem Krankenhaus war, noch konnte er es sich nicht erklären, warum.
Während er so da lag, musterte er so gut es ihm trotz der Schmerzen möglich war, seine nähere Umgebung.
Zahlreiche technische Apparate waren neben und hinter seinem Bett aufgebaut, daher kam wohl auch dieses nerv tötende Piepen. An seinem Handgelenk war ein dünner Schlauch angebracht, der in einer Tropfflasche über seinem Bett mündete. Alles tat ihm weh, schnell gab er es auf, die verschiedenen schmerzenden Stellen alle zu zählen.
Vielmehr konzentrierte sich darauf, einen Punkt an seinem Körper zu finden, der nicht schmerzte.
Gott sei Dank, beide Beine waren noch dran, wie er nach dem Zurückschlagen der Bettdecke erleichtert feststellte. Allerdings war vor lauter Verbänden kaum noch etwas von ihm zu sehen.
Ich komme mir ja vor wie eine ägyptische Mumie, sinnierte er vor sich hin. Jetzt bewegte sich endlich der Vorhang, mit dem die beiden Betten notdürftig abgeschirmt waren und eine jüngere Frau in Schwesternuniform trat an sein Bett.
“Na, Herr Worthington, Sie haben ja fast eine Ewigkeit geschlafen! Wie fühlen Sie sich denn jetzt?”
fragte ihn die Krankenschwester lächelnd.
”Ich werde gleich nach dem Doktor rufen, er wartet schon sehr darauf, dass Sie endlich aus der Narkose erwachen” meinte sie eilig, ohne seine Antwort auf ihre Frage abzuwarten.
Bald darauf trat der Stationsarzt ins Zimmer und stellte sich als Doktor Walther vor. Sein Englisch war ausgezeichnet, wenn auch mit stark amerikanischem Akzent.
“Ich habe ein Jahr als Gaststudent an der Princetown University verbracht”, klärte er ihn auf. Mit dem Erklären der zahlreichen Verletzungen auf Englisch war aber dann selbst Doktor Walther etwas überfordert, doch es war immer noch verständlicher, als wenn er ihm alles auf Deutsch erklärt hätte.
Kurze Zeit später kündigte die Schwester einen Besuch an, einen Herrn Waller mit Tochter.
Bei der Nennung des Namens Waller zuckte Worthington etwas zusammen, sofort erinnerte er sich wieder an Ingrid Waller, seine Soldatenliebe in Graz. Was hatten sie doch für eine schöne Zeit miteinander verbracht, er und seine Zimmerwirtin, aus der später seine Freundin geworden war. Bis dann ihr Mann aus der Gefangenschaft zurückkehrte und die Beziehung von heute auf morgen zu Ende war.
Nachdem er am Vortag erfahren hatte, dass der Nachtportier Waller heiße, mochte er dem noch keine Bedeutung beimessen, war er doch der mysteriösen Nachricht wegen ziemlich durcheinander gewesen.
Nun tauchte aber plötzlich noch ein Mann auf mit dem gleichen Namen. Das musste zwar nicht unbedingt etwas bedeuten, denn der Name war doch bestimmt sogar in dem kleinen Graz nicht so einzigartig.
Aber alles Hoffen war vergeblich, als sein Besucher sich auch noch mit seinem Vornamen Hermann vorstellte, gab keinen Zweifel mehr. Es war der Mann, dem er seinerzeit Hörner aufgesetzt hatte. Herr Waller selbst schien jedoch von diesem pikanten Geheimnis jedoch keine Ahnung zu haben.
„Ich bin Nachtportier im Parkhotel und bringe Ihnen ihren Koffer sowie die besten Genesungswünsche unseres Direktors” begann er und fuhr fort
„Außerdem fühle ich mich auch ein bisschen mitverantwortlich an der ganzen Geschichte. Schließlich habe ich die kurze Nachricht für Sie vorgestern entgegengenommen! Es kam mir gleich etwas eigenartig vor, den Zettel hat ein kleiner Bub abgegeben, er sagte, dass ein Fremder ihn darum gebeten hätte“
Danach