Karl der Große: Heiliger Bigamist und Brudermörder. Roland Pauler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Pauler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847651321
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Fakten zu liefern. Vor allem über Karls Kindheit und Jugend kann Einhard gar nicht aus eigener Anschauung berichten. Er ist um 770 geboren, also in der Zeit der Ehescheidungen und des mörderischen Bruderstreits.

      (Zu Einhard, dem Charakter und der Aussagekraft seines Werkes siehe: Wattenbach-Levison, Geschichtsquellen 2, S. 266-278; Kerner, Karl, S. 73-80; Hartmann, Karl, S. 13-16; MCKitterick, Karl, S. 19-32; Tischler, Einhards Vita)

      Seine Eltern, Adelige aus dem Ostfrankenreich, vertrauten ihn dem Kloster Fulda an. 794 kam er zur weiteren Ausbildung an den Hof Karls des Großen. Er gehörte zu den Schülern Alkuins, des berühmten Leiters der Hofschule. Schon bald erwarb er sich das Vertrauen des Herrschers, wurde 796/797 Mitglied des Hofkreises und Tischgenosse des Königs und nach Alkuins Übersiedelung nach Tours allmählich zur beherrschenden Persönlichkeit unter den Gelehrten am Hofe und zu einem der engsten Vertrauten des Königs. Er könnte also über „exklusive“ Informationen verfügt haben.

      Umstritten ist nicht nur die Übereinstimmung seiner Darstellung mit dem Geschehenen, sondern auch die Entstehungszeit des Werkes. In den letzten Jahren stehen sich mit jeweils plausiblen Argumenten vor allem zwei Ansichten kontrovers gegenüber. Rosamond McKitterick (Karl, S. 19-32) vermutet, die Vita sei wenige Jahre nach Karls des Großen Tod entstanden, Matthias Tischler spricht sich für die Jahre 827 oder 828 aus. (Einharts Vita, Bd. 1, S.151-240) McKittericks Auffassung wird von Mayke de Jong untermauert (The Penitential State, S. 6-72), während Wilfried Hartmann von Tischlers Argumentation überzeugt scheint (Karl der Große, S. 13). Sicher beweisen lässt sich keine der Thesen. Nicht sicher widerlegt sind die von Levison/Löwe ausgesprochene Vermutung, Einhard habe das Werk erst nach 833 geschrieben (Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen 2, S. 274 f.), noch Krügers Auffassung, es sei in den frühen 20er Jahren bis spätestens 823 entstanden (Neue Beobachtungen, S. 49-61).

      Die verschiedenen Datierungsansätze ergeben sich unter anderem daraus, dass die Autoren die Abfassung der Biografie als Antwort Einhards auf das Zeitgeschehen interpretieren. Ich sympathisiere mit Tischlers These, Einhard habe durch sein Werk Kaiser Ludwig den Frommen unter anderem davon abhalten wollen, seine Nachfolgeordnung von 829 umzustoßen. Doch dazu später. Die Einordnung hängt letztlich vom Blickwinkel des Betrachters ab.

      Für unseren Zusammenhang ist vorerst wichtig, dass Einhard mit seiner hundertfach kopierten und als Quelle benützten Vita das Karlsbild bis heute geprägt hat. McKitterick geht davon aus, dass sie bewusst im gesamten Frankenreich verteilt wurde, um überall die karolingische Sicht von Vergangenheit durchzusetzen (Constructing the Past, S. 126. Hartmann, Karl, S. 16 stimmt zu) Sie fasst die Bedeutung des Werkes äußerst bezeichnend zusammen: „In gewissem Sinne kann man ihm die ‚Erfindung Karls des Großen’ zuschreiben oder zumindest die Schaffung eines außergewöhnlich einflussreichen Karlsbildes, das sich als ein Musterbild des Herrschertums schlechthin verstehen lässt.“ (Karl, S. 32)

      1 Die Reichsannalen

      Das umfangreichste zeitnahe Geschichtswerk sind die nach Jahren geordneten Reichsannalen, verfasst am Hofe Karls des Großen. In ihnen hat der Autor das überliefert, was ihm der Erinnerung wert schien. Sie reichen von 741 bis 829. Die Einträge über die frühere Zeit wurden um 790 nachgetragen, danach wurden sie jährlich oder zumindest zeitnah vorgenommen.

      (Siehe ausführlicher Hoffmann, Untersuchungen, S. 38-41;Hartmann, Karl, S. 16 f. und McKitterick, Karl, S. 42-53; Becher, Quellen, S. 106-109)

      Auch die Reichsannalen liefern keine zuverlässige Zusammenstellung der Fakten, sondern betrachten das Geschehen vom Standpunkt des Herrschers bzw. seiner Umgebung aus. Nach McKitterick wurden auch sie im ganzen Reich verteilt, um die karolingische Sicht der Vergangenheit durchzusetzen. (Constructing the Past, S. 126) Deshalb sind örtliche, meist in Klöstern entstandene Annalen, vom Geist der Reichsannalen durchzogen, bieten aber hin und wieder selbstständige, von diesen abweichende Darstellungen.

      1 Die Einhardsannalen

      Vermutlich erst nach Karls des Großen Tod, also nach 814, wurden die Reichsannalen stark überarbeitet. Die ältere Forschung vermutete, das sei Einhards Werk gewesen, doch ist man schon im 19. Jahrhundert davon abgerückt. Trotzdem nennt man sie noch Einhardsannalen, um sie beim Zitieren von den Reichsannalen zu unterscheiden. Die inhaltliche Überarbeitung liefert zusätzliche Mitteilungen, darunter sogar solche über Karls militärische Misserfolge.

      1 Cathwulfs Brief an Karl den Großen von circa 775

      Dieses Schreiben (Quelle 8) des ansonsten nicht bekannten irischen oder angelsächsischen Geistlichen wird immer wieder als Beleg für Hass und Feindschaft zwischen den Brüdern herangezogen. Er schreibt unter anderem, Gott habe Karl über alle anderen geehrt, weil er ihn (drittens) vor den Nachstellungen seines Bruders bewahrt hat, wie einst Jakob vor denen Esaus. Auch für die Vorrangstellung des Erstgeborenen wird sein Brief herangezogen, die Karlmann eifersüchtig gemacht haben soll.

      Die Frage ist nur, hat das, was er schreibt wirklich etwas mit dem Geschehenen zu tun? Hans Hubert Anton hat seinen Brief unter die Fürstenspiegel der Karolingerzeit eingereiht (Fürstenspiegel, S.75-79) und bezeichnet ihn als „eine wahre Fundgrube für den christlich heidnischen Synkretismus im Königsbild der Insularen.“ Cathwulf schafft einen idealen Herrscher und stellt deshalb Karl in die Tradition der Führergestalten des Alten Testaments, z. B. Josue, David, Jakob. Der Brief spiegelt vielleicht die Vorstellungswelt, die am Hofe Karls geherrscht haben könnte, der von seinen Höflingen David genannt wurde. Dieter Hägermann bezeichnet den Brief als „geschwätzig anbiederndes Lehrschreiben“. (Karl der Große, S. 82) Welche Bedeutung er trotzdem für die Erforschung des Bruderstreites hatte, zeigt der Eintrag in den Regesta Imperii der Karolingerzeit (Nr. 128 a).

      Das möge fürs Erste genügen. Wir werden die Quellen und deren Interpretationsvarianten im Zusammenhang mit den Fragestellungen noch ausführlich kennenlernen.

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