Max versuchte es zuerst in Mönchberg. Ein Mehrfamilienhaus im Minoritenweg zeigte unter anderem das Namensschild der Familie Unsöld/Creutzer, und er klingelte.
Eine Frau öffnete, um die Dreißig, in einem Umstandskleid, unter dem sich ein eindrucksvoller Bauch abzeichnete. Max verstand ja nicht viel davon, aber sie sah seiner Ansicht nach aus, als könne es jeden Moment losgehen. Er unterdrückte den Wunsch, den Erste-Hilfe-Kurs bezüglich Geburtshilfe zu rekapitulieren, und beschloss stattdessen, die Befragung schnell hinter sich zu bringen und über alle Berge zu sein, bevor womöglich die Wehen einsetzten.
„Sie sind Frau Unsöld?“
Die Frau nickte. „Polizei? Eigentlich habe ich schon auf Sie gewartet. Mein Mann natürlich auch, aber der ist ja jetzt in der Arbeit.“ Sie seufzte. „Aber kommen Sie doch herein!“
Max folgte ihr den schmalen Gang entlang in ein eher schlicht eingerichtetes Wohnzimmer – eine Regalwand, die Max als IKEA-Kunde sofort erkannte, gegenüber eine Sitzgruppe aus zwei sandfarbenen Sofas übereck, dazwischen und davor je ein Couchtisch (Birke), dazu zwei Sessel, einer rot und einer sandfarben mit einem roten Kissen. Hübsch, aber einfach.
Zu einfach für die Tochter eines Industriellen?
„Bitte, setzen Sie sich doch. Etwas zu trinken? Vielleicht ein Wasser?“
Max wehrte hastig ab und zückte sein Tablet.
„Schick“, lobte Tatjana Unsöld, „so eins wünsche ich mir auch. Sind Sie damit zufrieden?“
„Ja, sehr. Warum kaufen Sie sich keins?“
„Die Dinger sind ganz schön teuer“, wehrte sie ab. „Und so eine Babyausstattung ist auch nicht billig. Außerdem muss man ja nicht alles sofort kaufen, was man sich wünscht. So macht das Wünschen doch gar keinen Spaß mehr.“
„Eine vernünftige Überlegung“, lobte Max, der sich liebend gerne alles sofort gekauft hätte, wonach er sich verzehrte. Aber bei dem Gehalt?
„Wo arbeitet Ihr Mann eigentlich?“, fragte er also.
„Paul ist Ingenieur bei Welltemp. Die produzieren Klimaanlagen und Sitzheizungen und all so was. Für Autos.“
„Aha. In der MiniCity?“
„Nein, die produzieren vor Ort. Die MiniCity ist doch eher für Verwaltung gedacht. Etwas, was womöglich Abgase in die Luft bläst, wird dort nicht so gerne gesehen. Richtung Kirchfelden gibt es noch ein richtiges Industriegebiet, dort sitzt Welltemp. Dort sind auch die Fertigungsanlagen von Creutzer Electronics.“
Max nickte. „Ihr Mann wollte nicht bei CE arbeiten?“
Tatjana Unsöld lachte und wehrte ab. „Großer Gott, nein! Er und Papa mochten sich nicht so besonders. Papa fand ihn zu schwach für mich. Ich könnte in dieser Ehe ja womöglich eigene Gedanken entwickeln.“
Sie überlegte einen Moment. „Irgendwie muss er an galoppierendem Realitätsverlust gelitten haben… Er hatte doch nie eine Frau, die ihm auch nur im Geringsten gehorcht hätte – alle haben gemacht, was sie wollten, und da glaubt er, ein Ehemann könnte mich zähmen?“
„Merkwürdig, da haben Sie Recht“, stimmte Max leicht mechanisch zu und tippte das etwas verkürzt ein. „Und was machen Sie beruflich? Ich meine, wenn Sie nicht gerade -“ er verstummte verlegen.
„Sie meinen, wenn ich nicht gerade brüte?“, fragte sie zurück, eindeutig amüsiert. Also, trauern tat die ja auch nicht gerade!
„Ich habe BWL studiert, wie mein älterer Bruder, und dann in einer Werbeagentur gearbeitet, bei XAM! Kennen Sie das?“
Max überlegte. „Gehört das nicht zu XP, der Petersen-Holding?“
„Ja, genau. Tolle Firma. Wenn der Mutterschutz vorbei ist, fange ich auch wieder an. XAM! hat nämlich auch eine eigene Kinderkrippe, und unsere Kleine ist schon angemeldet. Sie sehen, wir kommen sehr gut zurecht, auch wenn Papa das nie glauben wollte. Aber wer hat sich schon für sein Gerede interessiert..."
Einen Moment lang tat ihm das Mordopfer direkt leid.
„Waren Sie öfter mal bei der Hütte draußen im Wald?“
„Nein, nie. Draußen im Wald beschreibt es recht gut, genauer könnte ich den Weg gar nicht beschreiben. Irgendwo bei Maria Blut, oder? Wir wurden nie eingeladen und das hat uns allen nicht wirklich das Herz gebrochen, glaube ich.“
„Rabenvater?“
Achselzucken. „Manche haben da ja wohl einfach kein Talent und auch kein Interesse. Wir haben uns schnell daran gewöhnt, ihn zu ignorieren – und nachdem unsere Eltern sich getrennt hatten, ist Papa ja auch eher selten in Erscheinung getreten. Also, um auf ihre Frage zurückzukommen – nein, ich war nie in dieser Hütte. Und ganz ehrlich, ich bin auch eher ein Stadtmensch. Eine Blockhütte am - sorry – am Arsch der Welt ist nicht das, wovon ich träume.“
„Woher wissen Sie, dass es eine Blockhütte ist?“, fragte Max sofort zurück, der das Bild des großzügigen Landhauses noch gut vor Augen hatte.
„Das denke ich mir halt so. Mitten im Wald, baut man da nicht so?“
Max beschloss, das nicht weiter zu vertiefen. Er erfuhr, dass Tatjana und ihr Mann den ganzen früheren Abend des Donnerstags beim Schwangerschaftspartneryoga verbracht hatten. „Und davor waren wir im San Carlo und haben uns ein gewaltiges Eis gegönnt. Statt Abendessen.“ Sie lächelte bei der Erinnerung.
Max tippte und sah dann treuherzig auf. „Sie haben ein Auto?“
„Ja, klar. Sogar zwei. Schließlich haben wir nicht in der gleichen Gegend gearbeitet. Wir haben beide einen Polo, beide gleich alt, Baujahr 2009. Noch recht gut in Schuss. Warum wollten Sie das denn wissen?“
„Ach“, wich Max aus, „das ist auch nur Routine. Wir befragen alle. Könnte ich Ihren Polo mal sehen – oder macht Ihnen das zu viel Mühe?“
„Quatsch, aus dem Sofa komme ich schon noch hoch.“ Nicht ohne Mühe allerdings. Als sie stand, lächelte sie Max zu. „Ich bin schon froh, wenn das vorbei und die Kleine endlich da ist.“
„Kann ich mir vorstellen.“
„Ach, tatsächlich?“ Jetzt grinste sie.
„Wie soll sie denn heißen?“, rettete er sich wieder auf sicheres Terrain.
„Da sind wir uns noch nicht ganz einig“, antwortete sie, während sie ihm vorausging und dabei den Schlüssel zur Garage vom Schlüsselbrett pflückte. „Ich bin für Alexandra, Paul möchte Elisabeth.“
„Kombinieren Sie die beiden Namen doch“, schlug Max salomonisch vor und half ihr im Hof, das Garagentor hochzuschwingen.
„Toll – und welche Reihenfolge?“
Mist, dann nicht. Und der rote Polo hatte schmale Sommerreifen aufgezogen, deren Profil absolut nicht zu dem Foto im Büro passte. Jetzt fiel ihm wirklich gar nichts mehr ein, also half er auch beim Abschließen und verabschiedete sich unter Dankesbeteuerungen und mit dem Hinweis, dass sie in den nächsten Tagen im Präsidium vorbeischauen sollte.
27
Kira Merten war nicht verfügbar, als Liz sich am Empfang von DE meldete.
„Das ist jetzt ungünstig“, entschuldigte sich die Empfangsdame, die mit ihrem Headset doch sehr auf der Höhe der Zeit wirkte, vielleicht kein Wunder in einem Betrieb, der sich auf Kleinelektronik spezialisiert hatte. „Frau Merten ist noch bis halb zehn in einer Marketing-Konferenz.“
„Sie weiß so genau, wann die Konferenz fertig ist?“, staunte Liz, die so etwas auch anders kannte.
Die Empfangsdame lächelte. „Sie zieht ihre Sitzungen recht zügig durch, da kommt keiner lange vom Thema ab. Um halb zehn können Sie mit ihr sprechen. Sie hat mir aber etwas aufgetragen, anscheinend hat sie schon