Heiße Tage - liebestolle Nächte. Andreas Zenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Zenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742712011
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verhängnisvollen Strudel meiner Erinnerungen zu entkommen. Ich spürte, es tat mir nicht gut, die alten Wunden immer und immer wieder aufzukratzen. Zu viel war in den verflossenen fünfzig Jahren geschehen. Ich fürchtete erneut den Schmerz durchleiden zu müssen, in den der qualvolle Tod meiner zweiten Frau mich stürzte und der mich über Jahre in einen seelenlosen Zombie verwandelte. Dafür fehlte mir der Mut und mir graute davor abermals in diesen Abgrund aus Trauer und Verzweiflung blicken zu müssen. Es kostete mich schon genug Kraft die beißenden Erinnerungen an Trennung und Tod mühsam unter Verschluss zu halten. Das Leichentuch, unter dem das Grauen lauerte, war dünn.

      War dies vielleicht der Grund warum ich so getrieben nach einer Frau suchte, mich zugleich aber scheute mich auf eine wirkliche Beziehung einzulassen? Nachts wurden meine Träume unruhig und Alpträume schüttelten mich. Ich durchlebte meinen bitteren Abgang aus dem Gymnasium, das vorläufig nicht erreichte Abitur wie einen Spuk, wirklicher als ich ihn mit neunzehn Jahren empfunden hatte. Ich spürte die vorwurfsvollen Blicke meiner Großeltern in meinem Rücken. Sie sagten nichts, doch ihr stiller Tadel stand greifbar im Raum. Sie hatten andere Pläne mit mir gehabt, die ich nicht mehr erfüllen konnte. Ich sah die kaum unterdrückten Tränen meiner Mutter. Allein in den Arm nehmen konnte sie mich nicht, dabei hätte ich ihren Trost so nötig gebraucht. Selten habe ich mich so verlassen gefühlt, so unverstanden. Ich empfand die schier unmenschlichen Anstrengungen erneut, die nötig waren um über den zweiten Bildungsweg doch noch zum Abitur zu kommen. Das Studium neben dem Job. Die Nächte im Schein der Schreibtischlampe, in denen mein Kopf schwer auf den Tisch sank und ich erschöpft über meinen Büchern einschlief. Das hat mich hart gemacht, unnachgiebig. Meine Frau beklagte sich oft darüber. Heute ist das alles Geschichte, muss Erinnerung sein und bleiben, mehr nicht. Schluss mit dem aufwühlenden Gedankenkarussell. Ich strich mir mit der flachen Hand über die Stirn, wie um mich aus diesem bösen, nicht enden wollenden Alptraum zu befreien. Ich kam mir vor wie ein in Todesangst zappelnder Schmetterling im Netz einer riesigen Spinne. Vergeblich suchte ich die klebrigen Fäden meiner Lebensbahn abzustreifen. Aber kann ein Mensch das überhaupt schaffen? Ist er nicht gerade wegen seiner brennenden Wunden ein unverwechselbares Lebewesen?

      Die Sonne streichelte warm meinen Rücken. Plötzlich erkannte ich die im Sand spielenden Kinder wieder, hörte das Tschilpen der Spatzen, die um die Tische des Kaffees Wintergarten hüpften. Sah wie einige besonders dreiste Vögel über die Tische flatterten, die Kuchenkrümel aufpickten. Ich nahm staunend das satte Grün im milden Licht der Nachmittagssonne wahr und schnupperte den würzigen Duft, der vom nahen Käsestandl herüberzog.

      Das Leben hat mich wieder. Glaubte ich. Mit all seiner Tristesse, dem täglichen Trott in der Kanzlei, den nervenden Mandanten mit ihren ständig gleichen Sorgen, ihrer Angst um das bisschen Habe. Sie kamen mir so belanglos vor und zweimal im Monat der gefühlskalte Sex mit Erika. Die Jagd an den Wochenenden, die mich zu nachtschlafender Zeit aus dem Haus trieb. Die öden Abende vor der Flimmerkiste mit Bier und Chips. Mit einem Achselzucken erhob ich mich, packte meine Mappe und schlurfte in Richtung Nordendstraße. Ein winziges Bedauern nahm ich mit, hieß mein Entschluss doch, mit dem Trugbild einer aufregenden Affäre Schluss zu machen. Wenigstens träumen wollte ich von einem Wiedersehen, auch wenn mir mein Verstand zuflüsterte, diese Wunschvorstellung würde niemals Wirklichkeit werden. Die Hoffnung jedoch aufzugeben noch ein wenig guten Sex abzubekommen, dafür fühlte ich mich noch zu jung, trotz meiner grauen Haare. Die Gelegenheiten mich auszuleben wurden spärlicher. Allein noch kam mir das Eingeständnis nicht über die Lippen, dass die Jahre der Fülle endgültig vorbei waren. Aber hatte es diesen Überfluss jemals gegeben? Log ich mir nicht etwas vor, während die eisige Wahrheit ganz anders aussah? Woher nahm ich die Hoffnung, ja stille Forderung, ich hätte noch etwas gut beim Leben? In meinen Augen war mein Kontoauszug mit der Buchungsnummer Liebe, sprich Sex noch lange nicht ausgeglichen. Doch das Kontobuch schien zugeschlagen und das seit langer Zeit. War es nicht mein verbrieftes Recht, nach all dem Herzschmerz, den ich durch den Tod meiner Frau erlitten hatte, auf ein bescheidenes Glück zu hoffen? Das Leben ist nicht gerecht, war es nie. Oder vielleicht doch? Wer kann das wissen bevor nicht der letzte Akkord von jemand Höherem angestimmt wird.

      Allein, wie so oft im Leben, in dem Augenblick in dem man jegliche Hoffnung fahren lässt, geschieht das Unglaubliche. Wunder werden wahr, wenn man sie nicht mehr erzwingen will.

      Ein Wagen der Straßenbahnlinie 27 rauschte heran, bremste mit schrillem Quietschen vor der Schauburg und heraus hüpfte sie. Die Zeichenmappe unter den Arm geklemmt. Sie trug einen dieser ausgeleierten Pullover, der knapp über den Po reichte, karmesinrot. Dazu eine graue Strumpfhose und speckige Wildlederstiefel. Ihre Haare wippten im Takt ihrer Schritte. Ich erkannte sie sofort. Bei Tageslicht erschien sie mir noch begehrenswerter als im schummrigen Neonlicht der Kneipe. Mein Herz hüpfte vor Freude. Vergessen die schwermütigen Gedanken, die Vorsätze zu denen ich mich mühsam durchgerungen hatte. Ich stürmte über die Straße, ohne auf die heranbrausenden Autos zu achten, stellte mich ihr in den Weg. Sie sah mich mit einem fragenden Blick an. In ihrem Gesicht arbeitete es. Sie versuchte sich an mich zu erinnern.

      „Hey“, krächzte ich, heiser vor Aufregung, „kennst du mich noch? Vega im letzten Monat. Du hattest dieses monströse Bild bei dir.“

      Langsam dämmerte es ihr.

      „Der Herr Anwalt! Sorry, aber ich sehe jeden Abend so viele Gesichter. Da kann ich mich nicht immer erinnern.“

      „Was machst du so?“

      „Ich komme aus dem Malkurs“, sagte sie und zeigte auf ihre bunt marmorierte Mappe.

      „Und, schon ein neues Bild gemalt?“ Ich hasse Smalltalk. Aber bei diesem für mich so unerwartetem Aufeinandertreffen fiel mir nichts Besseres ein.

      „Einige, aber ich bin nicht zufrieden.“ Sie seufzte. „Es ist schwerer als ich dachte. Du hattest wohl recht.“

      „Ein Künstler, der mit sich zufrieden ist, ist kein Künstler mehr.“ Blöder Allgemeinplatz, dachte ich. Das fängt ja gut an. Ich nahm mein zitterndes Herz in beide Hände, fragte.

      „Hast du Zeit für eine Tasse Kaffee?“

      Sie senkte zustimmend den Kopf, schien zu überlegen.

      „Ich trinke nur Tee.“

      „Das trifft sich wunderbar, da haben wir etwas gemeinsam“, freute ich mich und entschuldigend fuhr ich fort.

      „Ich spreche sonst keine jungen, hübschen Frauen auf der Straße an. Nicht das du denkst, dass sei meine Masche.“ Ganz ehrlich war ich nicht.

      „Selbst wenn. Wäre auch ziemlich einfallslos. Zumindest bist du nicht so anzüglich, wie die meisten Jungs, die nichts anderes im Sinn haben als mich auf kürzestem Weg ins Bett zu quatschen“, lachte sie verschmitzt.

      Ich fühlte mich durchschaut.

      „Weißt du, wo wir hier einen guten Tee bekommen? Es ist schon eine halbe Ewigkeit her, dass ich mich in Schwabing herumgetrieben habe.“

      „Im Sobio gibt es den besten Chai in ganz Schwabing. Du magst doch Chai-Tee?“

      Ich nickte brav, obwohl ich noch nie in meinem Leben einen Chai getrunken hatte. Jetzt nur keinen Fehler machen. Wir schlenderten nebeneinander her, die Nordendstraße zurück. Sie wirkte nicht so als sei ihr mein Überfall unangenehm.

      „Was suchst du hier?“, wollte sie wissen.

      „Ich folge den Spuren meiner Jugend“, erklärte ich leichthin und das war nicht gelogen, aber eben nur die halbe Wahrheit.

      „Und hast du gefunden, wonach du gesucht hast?“

      „Nein! Um ehrlich zu sein, im Stillen hatte ich auch gehofft dich wiederzusehen. Aber ohne einen Namen, ohne eine Adresse ist das fast aussichtslos.“

      „Rührend“, sie sah mich prüfend von der Seite an. „Ich bin fast jeden Abend in der Bar. Dort hättest du mich treffen können.“

      „Habe ich mich nicht getraut. Außerdem so unter Beobachtung. Das wollte ich nicht.“

      Sie warf mir einen verblüfften Blick zu.

      „Schüchtern? So siehst du gar