Mrs. Commingdale 4 - Zwei auf einen Streich. Jutta Wölk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jutta Wölk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847631941
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so gar nicht.

      Später am Abend wälzte sie sich im Bett hin und her. Ihre Synapsen liefen auf Hochtouren. Wo fange ich nur an? Gibt es Reiseführer, in denen die Kaffeestuben aufgelistet sind? Arbeitet sie vormittags, nachmittags, in Schichten? Wie lange werde ich brauchen, um den richtigen Laden aufzustöbern? Und wie soll ich sie bestrafen, wenn sie schuldig ist, wovon ich ausgehe? Ihre Gedanken kreisten in Endlosschleifen um diese neue Aufgabe und raubten ihr den Schlaf.

      Es gab nämlich für sie äußerst wichtige Kriterien, die es strikt zu beachten galt. In den letzten zweieinhalb Jahren waren drei Menschen in ihrem Umfeld verunglückt. Manch Abergläubischer hielt sie vielleicht für einen Unglücksboten. Kluge Köpfe sahen eventuell Zusammenhänge, was ihr das Genick brechen könnte. Sie durfte keine Spuren hinterlassen. Niemand sollte sich an sie erinnern, wenn ihre Mission beendet war.

      Inzwischen war Margret fast schon ein Profi geworden, der wusste, worauf es ankam. Dennoch überschätzte sie sich nicht und war stets auf der Hut. Scotland Yard deckte zwar viele Verbrechen auf, war ihr bisher aber nicht auf die Schliche gekommen.

      Außerdem sah sie sich nicht als Mörderin, sondern als eine Art Racheengel, der Gutes vollbrachte, die Menschheit vom Bösen befreite. Und damit sie auch in Zukunft nicht in den Fokus der Ermittler rückte, brauchte sie dieses Mal eine äußerliche Veränderung.

      Bei dem Gedanken an die künftige Verkleidung wurde sie ruhiger, eine Hürde war genommen. Als sie sich in dieser Maskerade vor ihrem geistigen Augen sah, grinste sie. Diese Vorstellung gefiel ihr. Sie gähnte und war kurz darauf eingeschlafen.

       2

      Am folgenden Morgen zermarterte Margret sich wieder das Gehirn, bis ihr eine Idee kam. Wofür hat man Söhne, wenn die einem nicht einmal zur Hand gingen? Sie würde ihren Jüngsten, Paul, am Sonntag bitten, für sie nach den bekanntesten Kaffeestuben in London zu recherchieren. In der Gewissheit, sich damit nicht mehr befassen zu müssen, atmete sie erleichtert auf.

      Da sie bis zum wöchentlichen Treffen genug Zeit hatte, konnte sie sich bis dahin einen Schlachtplan zurechtzulegen. Eine sorgfältige Planung war von immenser Wichtigkeit, wenn sie weiterhin perfekt sein wollte. Und Margret war gut im Planen, sehr gut sogar. Eine Perücke, ein neuer Mantel und ein Schal reichen höchstwahrscheinlich aus. Dazu ... Eine Brille!, kam ihr ein Geistesblitz. Begeistert über den Einfall, klatschte sie in die Hände. Mit dieser Aufmachung erkennt mich kein Mensch.

      Weder ihr Ältester noch die beiden jüngeren Söhne trugen den Vornamen Mortimer, obwohl es damals üblich war, den Erstgeborenen nach dem Vater zu benennen. Margret hatte befürchtet, ihrem Stammhalter ein zu schweres Erbe aufzubürden, wenn sie ihn nach dem alten Schwerenöter benannte. Das war allerdings vergebliche Liebesmüh gewesen. Wie sich herausstellen sollte, kam Henry in Sachen Treue ganz nach dem Erzeuger.

      Der Mittlere und der Jüngste trugen zum Glück ihre Gene in sich. Während Brian äußerlich nach seinem alten Herrn kam, sah Paul, ihr Kleiner, wie sie ihn liebevoll nannte, ihr am ähnlichsten. Er besaß ihre Gesichtszüge und die strahlenden blauen Augen, die auch sie einstmals gehabt hatte. Jetzt hatten sie ihren Glanz jedoch verloren. Dem Himmel sei Dank, dass er nicht so kurz geraten war wie seine Mutter! Er überragte sie mit seinen 1,75 m um zwanzig Zentimeter.

      Im Gegensatz zu ihr legte er viel Wert auf seine Kleidung. Sie hatte sich in ihrer lieblosen Ehe einen unmodernen Stil zugelegt, in dem sie nach wie vor auftrat. Die altmodische, überwiegend in grauen Farben gehaltene Garderobe gehörte zur Tarnung. Zuvor hatte sie nur dem Zweck gedient, den untreuen Gemahl zu triezen.

      Mortimer! Sie schnaubte. Hast dich gekleidet wie ein Mann von Welt, obwohl du nur ein einfacher Gärtner warst. Und wie hast du dich für mich geschämt!

      Die Haare färbte Margret noch immer nicht, sondern frisierte sie weiterhin streng am Hinterkopf zu einem Dutt. Obgleich sie nach Mortimers Tod diese unzeitgemäße Aufmachung hätte ablegen können, hielt sie daran fest. Dieser Stil gehörte wie die Krücken, die sie eigentlich nicht mehr brauchte, zur Scharade. Wer traute schon einer winzigen, dürren und gehbehinderten Frau ein Verbrechen zu? Niemand! Und im Grunde waren es ja auch keine Straftaten.

      Paul, sinnierte Margret, plötzlich schwermütig geworden. Durfte sie ihren Kleinen in diese Sache hineinziehen, ihn zum Komplizen machen? Ist er das, bloß weil er mir zur Hand geht? Diese Fragen beunruhigten sie. Aber, wenn das so wäre, müsste ja ein großer Teil der Londoner Bevölkerung aus Mittätern bestehen. »Nein!«, sprach sie zu sich selbst. »So schnell wird keiner zum Kollaborateur.«

       3

      Am darauffolgenden Sonntag empfing Margret wie üblich ihre drei Söhne zum Tee. Diese eine Stunde kam sozusagen einem Brauch gleich, seit Mortimer die Gänseblümchen von unten betrachtete. Selbstverständlich wussten ihre Kinder nicht, dass ihre Mutter nachgeholfen hatte. Anfangs hatten sie sie mit ihren wöchentlichen Besuchen trösten und ihr beistehen wollen. Inzwischen waren sie sich jedoch einig, dass eine lieb gewonnene Gewohnheit daraus geworden war. Dann sprachen sie über allerlei Themen und Probleme, die sie gemeinsam zu lösen versuchten. Und weil sie – bis auf Henry, der wieder geschieden war –, ein Singleleben vorzogen, gab es keine Komplikationen mit nörgelnden Ehefrauen. Margret wunderte es zwar, aber sie dachte bei sich, dass es wohl heutzutage modern war, unverheiratet zu sein. Und schließlich hielten die meisten Ehen eh kaum noch lange.

      Dass ihre Kinder einmal in der Woche zu ihr kamen, hatte ihrer Vermutung nach allerdings nicht ausschließlich mit Mutterliebe zu tun. Zumindest bei Henry hegte sie den Verdacht, dass er weiterhin auf ihr Eigentum beziehungsweise den Erlös bei einem Verkauf spekulierte.

      Als sich Margret vor einigen Monaten zum Probewohnen in einem Pflegeheim einquartiert hatte, wollte er das Haus schon zum Kauf anbieten. Wie hätten er oder seine Brüder auch ahnen können, was der wahre Grund für diese Entscheidung gewesen war, nämlich die Bewohner von Schwester Rabiata zu befreien, einer boshaften Pflegerin. Bestimmt ärgerte Henry sich nach wie vor über deren Unfall, der ihm einen Strich durch die Rechnung machte.

      Nachdem es sich ihre Söhne im Wohnzimmer bequem gemacht hatten, präsentierte Margret ihnen die wundersame Heilung. »Jungs ...«, begann sie strahlend, legte die Gehhilfen beiseite und lief ein paar Schritte umher. »Seht euch das an.« Erwartungsvoll sah sie in die Runde. »Ich übe seit einigen Tagen. Jetzt geht es ohne, ich brauche die Krücken nicht länger. Ist das nicht wunderbar?«

      Henry sah sie skeptisch an. Sowohl Paul als auch Brian sprangen von ihren Plätzen auf, gingen auf ihre Mutter zu und umarmten sie.

      Margret herzte sie ergriffen. »Endlich kann ich auf diese Dinger verzichten.« Nebenbei richtete sich ihr Blick auf den Ältesten, der sitzen geblieben war. Perplex starrte er sie an. Diese Reaktion war typisch für ihn. Vielleicht hoffte er immer noch, dass sie ins Altenheim zog. Pech gehabt, mein Lieber, dachte sie belustigt. Gleichzeitig wurde ihr das Herz schwer. Sie liebte ihn, wie jedes ihrer Kinder, aber er war Mortimer so ähnlich.

      Über ein Jahr lang war Margret nach der Operation an Krücken gehumpelt. Anfangs, weil es nicht anders ging, später, um die Täuschung aufrechtzuerhalten. Sie hatte sich jetzt entschlossen, damit aufzuhören. Wenn sie daran festhielte, könnte sie als Simulantin erscheinen, da sich die meisten Hüftoperierten recht zügig erholten. Dann fiel sie auf, was sie unbedingt vermeiden musste. Immerhin –, sie war eine so unscheinbare Person und hatte sich im Laufe der Zeit eine so graue Fassade aufgebaut, dass es auch ohne Krücken gehen würde.

      »Und nun möchte ich meine wiedererlangte Bewegungsfreiheit auskosten. Ich werde ausgehen, so oft wie möglich. Als Erstes unternehme ich einen Stadtbummel in London. Um mich nicht zu überanstrengen, fange ich klein an und ruhe mich zwischendurch in einem Coffeeshop aus. Ich wollte mir schon immer die bekanntesten Kaffeehäuser in der City ansehen. Aber euer Vater hatte ja kein Interesse daran.« Drei Augenpaare sahen sie verdutzt und besorgt zugleich an.

      »Mutter«, ergriff Henry das Wort. »Denkst du nicht, dass das etwas