Das Laufen ist eines der einzigen Sportarten, die du als Sehbehinderter Mensch legal und auf höchstem Niveau ausüben kannst. Du kannst dich „normal“ fühlen, deine Behinderung tritt in den Hintergrund. Ich bin nun 30 Jahre alt und somit für das Marathonlaufen nicht zu alt, zudem in guter körperlicher Verfassung. Außerdem zugegeben, Marathon laufen ist eine Sache, die kann nicht jeder. Hat man mich als Kind oft „Blinde Sau“ genannt, so weiß ich heute das ich diese Art Menschen in Grund und Boden laufen würde, ich bin ihnen psychisch und geistig, sowie physisch überlegen. Das war ich damals schon und daher wurden mir diese Wörter oft aus Neid hinterher gerufen. Ich mache das aber nicht um Ihnen da draußen oder meiner Familie und meinen Freunden was zu beweisen. Ehrlich gesagt liebe ich Herausforderungen und vorallem diese, die nicht jeder schafft. Das macht mich stark und es verschafft mir Anerkennung. Ich liebe das wenn die einen sagen du bist wahnsinnig, die anderen sagen ich zieh den Hut vor dir und auch die, welche dir einfach gratullieren. Das gibt mir so ein Gefühl zurück was ich als Jugendlicher nicht haben durfte. Ich war nie jemand der besonders viele Frauen in seinem Leben hatte, ein tolles Auto fuhr, oder irgendwie großartiges Ansehen in seiner Jugend genoss. Ich war eher das Gegenteil von all dem. Selbst als ich mit Anfang 20 versuchte ein guter Gewichtheber zu werden, gelang mir das nicht wirklich, weil ich für diesen Sport nicht geboren bin. Ich habe auch keinen Job der den Mädels ein "Oh" entlocken würde, es ist nicht mal ein Job, der mich wirklich sonderlich glücklich macht. Das einzige gute an ihm ist, ich kann mein Geld damit verrdienen und mir somit mein Leben schön gestalten, kann mit meiner Freizeit machen was ich will. Denn das ist eine gute Seite an meinem Job, er lässt mir Freizeit übrig. Ein großer Boxer zu werden, wovon ich als kleiner Junge immer träumte ist unrealistisch, wobei man das vielleicht gar nicht ganz so sagen kann. Es gibt Meister im Kung Fu, die können blind kämpfen, es gibt sicher genug andere Sehbehinderte, Blinde, oder Leute mit noch schlimmeren Behinderungen die das geglaubte Unmögliche möglich machen. Dann hätte aber meine Jugend anders verlaufen müssen, ich hätte in solch einer Hinsicht gefördert werden mussen. Jemand der blind kämpfen kann ist zum einen nicht blind, er kämpft mit verbundenen Augen und vor allem ist er darauf jahrelang trainiert worden. Das kann man genauso wenig mal eben aus einer Laune heraus machen, als einen Marathon zu bewältigen. Ich versuchte es auch mit Skaten und konnte natürlich nicht die heißen Sprünge wie andere Jungs durchführen, die die Mädels dafür bewundert haben. Es ging einfach aufgrund der Behinderung nicht, es war zu riskant. Und sind Sie doch mal ehrlich, jeder Mensch sucht nach Anerkennung, jeder will geliebt werden, jeder liebt es wenn er bewundert wird oder? Der eine braucht das mehr, der andere eben weniger. Und dann gibt es noch die Sorte Mensch, die das nie öffentlich zugeben würden, dass dem so ist. Schauen Sie sich doch nur mal unsere heutigen Jugendlichen an. Viele von Ihnen machen doch nur deshalb Blödsinn auf den Straßen, weil sie keine Perspektive in ihrem Leben sehen. In unserem Boxgym des PSV-Frankfurt nehmen wir solche jungen Menschen auf und zwar nicht um ihnen beizubringen wie man sich auf der Straße richtig prügelt, sondern um ihnen beizubringen was es heißt, ein Team zu sein, miteinander zu reden, zu trainieren, gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten. Den meisten von ihnen hilft das, schwarze Schafe gibt es ja immer und überall. Die Jugendlichen sehen wieder einen Sinn im Leben und wenn dieser erstmal darin besteht, pünktlich und zwei bis dreimal die Woche zum Boxen zu erscheinen, wo aufgenommen zu sein wo jeder gleich behandelt wird, egal welche Nationalität, welches Geschlecht, welche Hautfarbe, ja sogar welche Behinderung du hast. Und dann kann jeder für sich herausfinden wo seine persönliche Grenze liegt und diese stetig erhöhen oder eben bis dahin zu trainieren. Jeder bekommt in unserem Boxgym das Gefühl jemand zu sein, etwas Wert zu sein, nicht der Looser der Nation zu sein. Und das ist doch für einen jungen Menschen in der heutigen Zeit so wahnsinnig wichtig, wo es schwierig ist einen Job zu finden und man sich in der schnelllebigen Gesellschaft schwer tut, seinen Weg zu finden.
Was mich absolut nervt ist, wenn Sie heute jemandem erzählen, dass Sie am Frankfurter Marathon als Staffelläufer teilgenommen haben kommt meist die Antwort: "Ach nur Staffel, okey." Leute die so etwas von sich geben haben in der Regel überhaupt keine Ahnung davon was es heißt, eine bestimmte Strecke zu laufen. Sie haben auch kein Distanzgefühl. Wenn ich beispielsweise heute meiner Frau erzähle, dass ich 12,5 Kilometer in einer Stunde gelaufen bin, kriege ich, wenn überhaupt die Antwort, ist doch schön! Sie hat keine Vorstellung davon was das bedeutet. Zwar kann man sich dann ausrechnen, dass dafür 12 Kilometer pro Stunde eine Stunde lang gelaufen werden müssen aber dass das erstmal gemacht werden muss, ist den Leuten unbewußt. Wer selbst läuft oder es ausprobiert hat ob es für ihn das Richtige ist und wenn man sich dazu noch ein Meßgerät wie den Forerunner 305 holt auf dem man ablesen kann wie schnell man läuft, dann kann man sich vorstellen was es heißt ein gewisses Tempo über einen längeren Zeitraum durchzuhalten. Wenn Sie aber heute jemandem erzählen das Sie einen Marathon gemeistert haben und zwar im Alleingang, dann kommt meist ein "Oh!" oder "Respekt!" Merkwürdig, aber das scheint in den Köpfen der Menschen fest verankert zu sein, dass ein Marathon etwas ganz großes ist. Mit einem Halbmarathon kannst du auch noch punkten aber darunter erregst du nicht viel Aufsehen. Aber eines sollte jedem bewußt sein: Auch wenn Sie "nur" eine Strecke von 10 Kilometer laufen können, so ist das für Sie in erster Linie eine Leistung, die erstmal gemacht werden muss. Denn auch 10 Kilometer läuft in Ihrer Umgebung unter Ihren Freunden, Kollegen, Bekannten, mit Sicherheit nicht jeder. Nun wie dem auch sei, das ist ebenfalls ein Ansporn für mich, die Gesamtdistanz allein zu laufen. Dieses "Nur Staffelläufer" macht mich irgendwie kampfeslustig. Das weckt ein Gefühl in mir, ich will es nicht als Trotz bezeichnen, aber eine Herausforderung an mich selbst. Als ich am Staffellauf teilnahm wollte ich unbedingt weitermachen. Ich gab mein Staffelbändchen ab und schaute den anderen respektvoll, traurig und dann auch wieder lustvoll nach - ich wäre gern weiter mitgelaufen. 1 Kilometer vor dem Ende des Frankfurter Marathon 2010, fingen wir Sonja, die die letzten 14 Kilometer lief ab, um mit ihr den letzten Kilometer gemeinsam ins Ziel zu laufen. Wir wollten so zu sagen als ein Team auf dem roten Teppich auflaufen. Als ich die Ziellinie mit meinen Mitläuferinnen überschritten hatte, wurde das Gefühl in mir, das nächste mal alleine hier anzukommen, noch intensiver. Ich war stolz mein Ziel erreicht zu haben, doch ist es schwer in Worte zu fassen, was ich dabei empfinde, wenn ich mir klar mache, dass ich den Frankfurter Marathon 2011 alleine meistern will. Ich werde weder als nur ein Staffelläufer, noch als einer bezeichnet, der nur halbe Sachen macht. Für viele mag das jetzt überheblich klingen aber jeder Mensch hat halt so seine Eigenschaften und Eigenheiten. Klar kann ich auch verlieren und es ist mir ebenfalls klar, dass ich 2011 scheitern könnte. Mir ist aber ebenfalls klar, dass ich es 2012 erneut versuchen würde und erneut und erneut und zwar genauso lange, bis ich mein Ziel erreicht habe und wenn ich durch's Ziel kriechen muss. Und selbst dann wäre mein nächstes Ziel zu sagen: "Das nächste mal kriechst du nicht, du läufst!" Und das ist aber auch genau diese Eigenschaft die mich antreibt und motiviert. Ich habe ein Ziel klar vor Augen und ich will dieses Ziel erreichen und ich gebe mein Bestes um mir dies zu ermöglichen. Wenn's vorbei ist, dann bin ich glücklich darüber und es wird ein neues Ziel geben. Das ist für mich ein Teil des Lebens, sich Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Ich hatte das vorhin schon mal mit dem Beispiel der Jugendlichen in unserem Boxcamp dargestellt. Wer kein Ziel mehr hat, der lebt nicht mehr. Dabei ist es völlig egal ob das Ziel ein Marathon, eine abgeschlossene Ausbildung, ein Instrument zu lernen oder etwas anderes ist. Für viele von uns ist es sogar so, dass sie in erster Linie nur ein Ziel haben -zu überleben.
Der Beginn eines langen, erschwerlichen und schönen Weges, meinem Weg zum Ziel
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