Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Witzani
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783746739502
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bei der holländischen Regierung, Dauthendeys Ausreise zu ermöglichen, waren fehlgeschlagen.

      Im Februar 1915 verlässt Dauthendey Sumatra und siedelt nach Java über. Er lebt nun in Goroet nahe Bandung auf halber Stecke zwischen Jakarta und Yogyakarta. Sein körperliches Befinden beginnt sich zu verschlechtern. Dauthendey bekommt Malaria, schwitzt, friert leidet, kommt wieder zu Kräften und bekommt erneut Malaria. Er nimmt so stark ab, dass Bekannte aus der deutschen Gesellschaft in Sumatra erschrecken, als sie ihm nach einer gewissen Zeit wieder begegnen. „Nun muss ich alle meine Anzüge enger machen lassen“, schreibt Dauthendey am 12.2.15. „Sie hängen an mir wie leere Säcke.“

      Doch Dauthendey wehrt sich und begegnet der aufkeimenden Anomie mit Artifizierung, das heißt, er versucht, seinen Kummer sprachlich zu gestalten. Dabei gelingen ihm bemerkenswerte, nicht unwitzige Passagen, aus denen er Trost schöpft. „Gäbe es ein Kreuz erster Klasse für Liebe und Treue“, schreibt er am 21. März 1915 an seine Frau, „müssten du und ich es doch sicher zuerst bekommen. Ich bin so keusch wie ein reiner Mönch. Mein Gesicht im Spiegel sieht mich ganz vergeistigt an. Ich habe asketische Schatten unter den Augen. Schatten der Gedanken an dich, Schatten der Sehnsucht, die mich täglich mit übersinnlichem Licht durchleuchtet. Ich glaube, bald leuchte ich im Dunkeln wie der sehnsüchtige Mond.“ Jeder, der einmal mit Kummer im Herzen versucht hat, sich selbst durch die sprachliche Darstellung dieses Kummers Linderung zu verschaffen, spürt in diesen Zeilen Dauthendeys Kampf gegen den Schmerz mit den Mitteln der Literarisierung. Und er setzt gleich noch einen drauf, in dem er fortfährt: „Ich bin aber doch stolz auf diese Ausdauer, die mir ganz selbstverständlich vorkommt, die ich gar nicht erzwinge, weil ich dich liebe. Man sagt, dass Leichnahme von Heiligen wohlriechend sind. Wenn ich jetzt sterben würde, müsste ich einen solchen Blumenduft verbreiten, dass du es über den Äquator bis hin zur Eiszone in Stockholm riechen müsstest.“ Das hat was und macht noch aus dem Abstand von einhundert Jahren schmunzeln, selbst wenn man den Schmerz ahnt, der hinter diesen Worten steckt. Ganz ähnlich ergeht es dem Leser mit Dauthendeys humoristischen Betrachtungen über die „Menschenfresser“. Am 20.4.1915 schreibt Dauthendey in einem Brief an Wilhelm Panzerbieter: „Die Menschenfresser erzählen sich auch, dass die Handfläche der Menschen, wenn diese älter sind, am besten schmeckt. Am besten schmeckt die linke Handfläche, weil der Battakermann damit zeitlebens das Gemüse isst. Mit der rechten isst er den Reis. Vom Gemüseangreifen wird nun die linke Handfläche mit der Zeit würzig und schmeckt besser als die fade rechte Hand.“ Ein Leidender als sprachlicher Impressario seiner selbst.

      Bald aber werden diese Artifizierungen seltener, Dauthendeys Klagen verlieren das Dichterische und erhalten etwas Jammerndes. Die Krankheiten in der Ausländerkolonie verängstigen ihn, ein schreiendes Kind nervt ihn. Dauthendey spürt, wie der Boden unter seinen Füßen wankt, und er versucht, durch eine strenge Tageseinteilung seine persönliche Stabilität wiederzugewinnen. In einem Brief an seine Frau vom April 1915 schildert er seinen typischen Tagesablauf. Der Tag beginnt um sechs Uhr mit einem heißen Bad, danach wird kalt geduscht. Um sieben Uhr wird Frühstück gereicht, dann spaziert Dauthendey über die Hauptstraße von Garoet und versucht sich durch das Beobachten von Chinesen und Javanern abzulenken. Nach dem Mittagessen legt er sich zum Mittagsschlaf nieder, ohne allerdings schlafen zu können. Ab vier Uhr beginnt die Besucherzeit, ehe am frühen Abend das Briefeschreiben an der Reihe ist. Um halb acht zieht sich Dauthendey zum Abendessen um, das um acht Uhr gereicht wird. Spätestens um zehn geht er zu Bett.

      Aber diese Selbstdisziplinierung funktioniert immer nur eine begrenzte Zeit, dann bricht sich sein Schmerz Bahn. Immer eruptiver, immer unliterarischer lässt er seine Frau brieflich an seinem Leiden teilhaben. Als Annie Dauthendey ihren Gatten ermahnt, sich zu fassen, antwortet er am 13.7.1915 mit Sentenzen, die an die Gefühle eines verlassenen Kindes erinnern: „Was bin ich denn überhaupt ohne dich? Es fehlt mir doch mein ganzer Lebensinhalt, wenn ich ohne dich hinleben muss. Ich bin dann schwächlich, zittrig, ärmlich, unklar und unsicher in meinen Gedanken und möchte mich scheintot auf ein Bett legen und erst wieder bei dir aufwachen.“ Dann noch direkter:“ Du redest mir in deinem Brief so zu, als wäre es eine göttliche Sünde, wenn ich schwach bin und vor Liebessehnsucht leide.“ Diese Schwäche benötigt eine Erklärung, und so fährt Dauthendey fort. “Der eine Mensch ist nur warm stark, der andere ist kalt stark. Jetzt ist es Mode, kalt stark zu sein, und darum kann mich heute kein Mensch verstehen, und meine Sehnsucht ist in dieser kalten Zeit beinahe eine Beleidigung der kalten Göttin Lebensernst.“ Es folgen unverblümte Beschreibungen seines seelischen und körperlichen Verfalls: “Ich bin mager und verhärmt. Wenn ich meine Hände wasche, ist mir, als fühlte ich die Finger eines Kindes in meiner Hand, so winzig und glattschlank sind die Hände geworden. (…) Nachts lehne ich im Dunkeln fast in jeder Stunde einige Zeit am Geländer meiner Veranda und gehe mit dem Auge um den indischen Sternenhimmel herum. Ich kann so wenig schlafen. Und nachmittags schlafe ich auch nicht mehr.“ Das Reiten habe er auch aufgegeben, „weil alles, was man allein tut, nicht schmeckt“

      Im nächsten Brief heißt es: „Ich gehe eines Tages an einem Herz- oder Hirnschlag hier zugrunde vor ewiger innerer Aufregung. Ich ertrage es keinen Winter mehr, glaube ich.“ Wenige Zeilen später: „Ich halte den Druck nicht mehr aus. Es ist zu lange Zeit. Ich bin nicht nur von dir, sondern auch von meinem Klima, meiner Sprache, von meiner Heimat, von allen Erinnerungen, die ein Dichter braucht, und auch von meinen Gräbern getrennt.“

      Im September 1915 erreicht die Klage ihren Höhepunkt: „Herz, ein Hund darf schreien, wenn es dunkel wird, siehst du, und ich, ich darf es nicht“, jammert Dauthendey „Meine Brust ist so gepresst vor Heimweh. Es ist jetzt abends halb zehn Uhr, und ich bin wie immer, wie jeden Abend, auf meiner Veranda so allein, so allein.(…) Annie, alle Glieder schmerzen mir in dieser Abendstunde vor Sehnsucht. Es ist ein richtiger Blutschmerz im ganzen Oberkörper. Ich fühle meine Brust so gespannt, als ob sie zerreißen wollte.“

      Es folgen Briefe, in denen er sich an seiner eigenen Treue berauscht „Ich will, dass du meine Treue zu dir auch im klaren Licht sehen sollst“, schreibt er seiner Frau am 28.2. 1916. Eigentlich aber sei es ja keine richtige Treue, weil Annie sein „Apfel“ sei, dem demgegenüber die kümmerlichen weiblichen „Kirschen“ vor Ort keinerlei Reiz ausübten. Im Dezember 1915 schildert er seiner Frau in allen Einzelheiten wie er den Avancen einer in ihn verliebten „Frau K.“ widersteht.

      Inzwischen scheiterten weiterhin alle Versuche, Java zu verlassen. Einmal befand sich Dauthendey bereits zehn Stunden an Bord eines Dampfers, der ihn nach Amerika bringen sollte, doch dann musste er doch wieder herunter, am 23.12.16 misslingt ein weiterer Versuch. Die Malaria-Anfälle nehmen zu, die Entkräftung schreitet fort, ebenso die seelische Verwüstung. Als im Frühjahr 1917 die USA in den Krieg eintreten und somit eine Flucht über den Pazifik unmöglich wird, erreicht seine Stimmung einen neuen Tiefpunkt. „Ich habe ein Brett vor der Brust, ein Brett im Magen, ein Brett im Kopf vor Einsamkeit, vor Qual, vor Sehnsucht.“ Auch seine intellektuelle Urteilsfähigkeit wankt. Er gibt sich ganz dem Jammern hin und verliert den kritischen Blick für das, was er schreibt. Er verfasst in einer Art „Schaffensrausch“ „Das Lied vom inneren Auge“ und urteilt: „Es ist glaube ich, das größte Lied, das seit langer Zeit für die Menschheit geschrieben wurde (8.4.17).

      Mittlerweile ist sein körperlicher Zustand besorgniserregend. An seine Frau schreibt er am 8.4. 1917: „Der Arzt sagte mir, bei jeder leichten Erkältung und jeder Überanstrengung, bei jeder seelischen Aufregung bricht die Malaria aus, wenn sie einmal einen Bazillenherd im Körper gebildet hat. Die Herde sind Entzündungen der Milz, die sich dann durchs Blut fortpflanzen und Fieber erzeugen.“ Fast mit einem letzten Schuss Galgenhumor fügt er hinzu. „Aber mach dir keine Sorge, es ist ganz gleich, ich leide nicht mehr, ob ich krank bin oder gesund bin, ich leide immer gleichmäßig an Heimweh. Das ist ein viel stärkeres Leid als die stärkste Malaria.“

      Liest man diesen Briefwechsel nicht ohne Bewegung, wundert man sich, dass es nicht schon früher geschah, aber dann ist es soweit. Am 30.6.1917 überkommt den Freigeist Max Dauthendey im Zenit seiner Heimwehagonie ein persönliches Gotteserlebnis. „Es ist ein großes Wunder geschehen“ notiert er am 30.6.1917. „Ich habe erkannt, dass es einen persönlichen Gott gibt. Die Erkenntnis kam mir, nachdem ich in den letzten Tagen öfter die Psalmen gelesen. Heute las ich den fünfzigsten und den sechzigsten Psalm in meiner Bibel. Und auf