Kinderwunsch-Tage. Sonia Rossi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sonia Rossi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783844279696
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schauten sich im Büro YouTube-Videos an. „Was hast du? Du siehst traurig aus. Alles in Ordnung?“, fragte mich Hannes, mein Lieblingskollege. Ich nickte und schlurfte zurück zu meinem Schreibtisch. Was hätte ich sagen sollen? Hannes hatte mit Ende zwanzig seine langjährige Freundin geheiratet und mit ihr zwei Kinder bekommen, ein Mädchen und einen Jungen. Zu ihrem Jahrestag nahm er jedes Jahr Urlaub. Er baute gerade ein Haus und plante ein drittes Kind. Jeden Sommer fuhren sie drei Wochen mit dem Wohnwagen durch Europa. Er hätte mich nicht verstanden.

      Im folgenden Monat veränderte eine Begegnung meine Perspektive. Auf einem Spielplatz am Mauerpark traf ich Miriam, eine Mutter, die ich von Fynns ehemaliger Krabbelgruppe kannte und in den letzten Monaten aus den Augen verloren hatte. Sie hatte mich zuletzt gesehen, als ich frisch verliebt war. Stundenlang redete ich damals über Malte. Sie war aber keineswegs überrascht, als ich ihr von unseren Konflikten erzählte und davon, dass er mich in den Wahnsinn trieb, weil er in puncto Kinder keine Entscheidung treffen konnte. Ich weiß auch nicht, warum ich mich ihr anvertraute, denn sie zählte nicht zum Kreis meiner engen Freundinnen, sondern zu den Sandkastenbekanntschaften. Womöglich erhoffte ich mir einen Ratschlag, doch sie hatte - wie alle anderen - auch keinen. „Mein Mann hätte sich freiwillig auch nie für Kinder entschieden“, erzählte sie nachdenklich. Ich verdrehte die Augen. Ich hatte ihn nur zweimal gesehen, doch er hatte auf mich wie der Musterfamilienvater aus der Nutella-Werbung gewirkt. Ein stämmiger, sanfter Bär, der nie nein sagen konnte, auch wenn er schon seit einer Stunde Fangen gespielt hatte und langsam aus der Puste kam. „Nein, nein, Sven war ganz schön wild früher“, lächelte Miriam.

       „Wäre ich nicht aus Versehen schwanger geworden, hätten wir immer noch keine Kinder.“

       „Aus Versehen?“

       „Ich hatte damals eine Pillenpause verordnet bekommen, weil ich dauernd Migräne hatte. Wir haben dann mit der Methode der natürlichen Familienplanung verhütet. Ich habe auf Eisprunganzeichen geachtet und meine Temperatur gemessen. Hat auch gut funktioniert - eigentlich. Nur muss sich einmal der Eisprung verschoben haben. Und so ist Jakob entstanden.“

       „Und dann?“

       Sie schaute in die Ferne, als ob sie von einer weit entfernte Vergangenheit erzählen würde.

       „Sven war schockiert, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Er hat auch gesagt, dass er nicht wisse, ob er dazu bereit wäre. Ich hätte aber niemals abgetrieben. Spätestens nach dem ersten Ultraschall, als er das kleine Wesen winken sah, waren dann alle Zweifel wie weggefegt.“

       Ich lächelte, überlegte jedoch insgeheim, ob die Pillenpause tatsächlich notwendig oder eine willkommene Ausrede gewesen war, nicht mehr zu verhüten und es dem Zufall zu überlassen. Ich fragte mich, wie viele Kinder, die trotz natürlicher Familienplanung entstanden waren, durch die Welt liefen. Ich wollte meinen Freund nach wie vor nicht hintergehen. Ich hatte nicht mal Angst, dass er sich aus dem Staub machen würde, sondern eher davor, ihm nicht mehr in die Augen schauen zu können. Betrügen hat mit Liebe wenig zu tun. Aber vielleicht konnte ich Malte vorschlagen, ebenfalls natürlich zu verhüten. Sollte ich doch schwanger werden, konnte er mir nicht vorwerfen, es darauf angelegt zu haben. Wie verzwickt und verzweifelt diese Idee war, hätte mir klar sein sollen. Aber einen Plan B gab es nicht. Es blieb zwar immer noch der Funke Hoffnung, dass er mir irgendwann verkünden würde, er sei bereit für Kinder, aber darauf vertraute ich nicht mehr.

      Am gleichen Abend schmiss ich die Pillenpackung weg. Als ich meinem Freund mitteilte, dass ich keine Hormone mehr schlucken wollte, zuckte er zusammen.

      „Hauptsache, du wirst nicht schwanger“, sagte er perplex. Ich konnte ihn davon überzeugen, dass das nicht so schnell passierte. Eine Frau war nur an wenigen Tagen im Monat fruchtbar, und nur in dieser Zeit galt es, ein Kondom zu benutzen oder auf Sex zu verzichten.

      Fortan achtete ich tatsächlich darauf, nur an den unfruchtbaren Tagen Sex zu haben. Wie ich mich noch aus dem Biologieunterricht in der Schule erinnerte, fand der Eisprung meist um die vierzehn Tage nach dem ersten Tag der Periode statt. Da Spermien höchstens fünf Tage und eine reife Eizelle nur einen Tag überleben konnten, waren die Tage neun bis fünfzehn die gefährlichen, danach konnte so gut wie nichts mehr passieren.

      In den kommenden Monaten befand ich mich, zumindest oberflächlich gesehen, in einer wohligen Ruhe. Beruflich konnte ich bei meinem Chef durch zwei gelungene Projekte punkten, mein Sohn kam zu den großen Kindergartenkindern, und ich fing sogar an, an einem Abend in der Woche Salsa-Unterricht zu nehmen. Malte brach seinen bisherigen Bühnenrekord, indem er fast permanent Auftritte hatte, und ich fieberte dem Erscheinen meines zweiten Buchs entgegen. Das Verhüten funktionierte auch ohne Pille wunderbar, ich bekam jeden Monat pünktlich meine Regel – wie ich verwundert feststellte, glich mein Körper einer Schweizer Uhr. Nur wenn ich die ersten Bluttropfen sah, verkrampfte sich jedes Mal für einen Augenblick mein Herz. Ich wusste, wie unwahrscheinlich es war, schwanger zu werden, wenn man gerade die fruchtbaren Tage ausließ. Das war ja auch der Sinn der ganzen Sache. Und rational betrachtet war es albern, sich an die Möglichkeit eines Unfalls zu klammern. Außerdem hatte ich noch genug Zeit für ein zweites Kind. Das sagte ich mir Monat für Monat, goss mir dabei ein Glas Rotwein ein und paffte eine Zigarette auf dem Balkon, obwohl ich offiziell nicht mehr rauchte. Ich nannte sie meine Regelfrustzigarette.

      Manchmal konnte ich es nicht lassen, Malte nach einem eventuellen Vaterwunsch zu fragen. Er wunderte sich nicht mehr über meine Frage, war aber auch nicht genervt. Es sei ganz nett, einmal Kinder zu haben, irgendwann bestimmt. Sicherlich vor seinem vierzigsten Geburtstag. Er war mittlerweile fast siebenunddreißig.

      Erst Ende des Jahres kam die gleichzeitig ersehnte und gefürchtete Überraschung: Meine Regel blieb aus. Die Länge meines Zyklus betrug immer dreißig bis einunddreißig Tage, eine Ausnahme hatte es nie gegeben. Als ich am Tag zweiunddreißig keine roten Tropfen sah und auch nicht die üblichen Anzeichen wie Unterleibsziehen und Unruhe verspürte, war ich mir sicher: Es hatte geklappt. Im Büro konnte ich mich den ganzen Vormittag über nicht konzentrieren, die Zahlen tanzten auf dem Bildschirm und ergaben keinen Sinn, mein Kopf drehte sich wie ein Kreisel. Schließlich stand ich eine halbe Stunde vor der Mittagspause mit der Ausrede auf, mich nicht wohl zu fühlen und frische Luft schnappen zu müssen, verließ das Gebäude und rannte zur nächsten Drogerie, um mir einen Schwangerschaftstest zu holen.

      Mein Herz hämmerte wie ein Presslufthammer, und ich bekam kaum Luft. Ich hatte mir immer vorgestellt, wie es wäre, von Malte schwanger zu sein, und in meinen Träumen war der Augenblick, in dem ich ihm die Nachricht verkündete, von Magie umgeben. Er würde mich umarmen und feuchte Augen bekommen, wir würden Pläne schmieden und eine Liste mit unseren Lieblingsvornamen anlegen. Der Gedanke an das wahre Leben war ernüchternd. Ich konnte mir seine Enttäuschung bildlich vorstellen. Er rechnete für das kommende Jahr mit einem Engagement in Stuttgart. Er würde mir die Schuld geben, dass ich nicht aufgepasst hatte. Mein Herz schrumpfte auf die Größe einer Erdnuss.

      Mit zitternden Händen bezahlte ich zwei Frühtests, kehrte ins Büro zurück und schloss mich in der Toilette ein. In Lichtgeschwindigkeit riss ich die Packung auf, zog meinen Slip herunter, pinkelte auf den Test und legte ihn behutsam auf den Klodeckel. Ich schloss die Augen und sah mich einen Kinderwagen durch den Park schieben, Malte lief stolz neben mir her. Als ich die Augen wieder aufmachte, war mir schwindelig. Langsam drehte ich den Kopf Richtung Test und atmete auf - es war nur ein Balken zu sehen. Ich nahm den Teststreifen in die Hände und hielt ihn in verschiedenen Winkeln gegen das Licht. Kein zweiter Balken, nicht mal ein Schatten, ausgeschlossen. Nicht schwanger. Ich seufzte, kehrte zurück zu meinem Rechner und starrte ein paar Minuten den Bildschirm an. Besser so, dachte ich mir. Ich nahm mir vor, ab dem nächsten Monat wieder die Pille zu nehmen. Ich wusste, dass es die richtige Lösung war. Und dennoch fühlte ich mich wie jemand, der geglaubt hatte, im Lotto gewonnen zu haben, um beim zweiten Blick auf den Schein festzustellen, dass die letzte Ziffer doch nicht mit der Gewinnzahl übereinstimmte.

      Als ich am nächsten Tag mit Morgenurin und dem zweiten Streifen ebenfalls negativ testete und immer noch keine Spur von meiner Regel sah, vereinbarte ich einen Termin beim Frauenarzt. Ich hasste es, wenn mein Körper nicht so funktionierte, wie ich es erwartete, und bekam dazu panische Angst. Ich hatte ein Kind. Unfruchtbar konnte ich also nicht sein. Und doch schlich sich in jenem Augenblick die Angst