Die Toten am Kleistgrab. Harro Pischon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harro Pischon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737502290
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Drama habe ich soeben in Thun fertiggestellt, an weiteren Ideen und Projekten möchte ich arbeiten.“

      „Vom Bauer zum Schriftsteller, das ist ein weiter Weg, Herr von Kleist.“

      „Ich möchte in meinem Leben, dass mir drei Dinge gelingen: ein Kind, ein schön Gedicht und eine große Tat. Vielleicht kann ich die letzten beiden vereinigen.“

       Gatschet gab keinen Kommentar ab. Er ging zum Fenster und sah hinaus.

      „Und wie gefällt Ihnen Thun, Herr von Kleist, obwohl es ja Winter ist?“

      „Die Natur, Herr Landvogt, sieht unter den Schneeflocken aus wie eine 80-jährige Frau, aber man sieht ihr doch an, dass sie in ihrer Jugend schön gewesen sein mag.“ Kleist liebte diese Formulierung, er hatte sie schon in mehreren Briefen angebracht. Sie tat ihre Wirkung auch bei Gatschet, der nun sicher war, einen angehenden Schriftsteller vor sich zu haben.

       Sie vereinbarten einen wohlfeilen Mietpreis, Kleist erhielt den Schlüssel und erwähnte das Angebot einer Haushaltshilfe durch die Fischerstochter. Gatschet beglückwünschte ihn: „Das Mädeli ist tüchtig und sehr angenehm im Umgang. Viel Glück und Erfolg, Herr von Kleist.“

      6 Dienstag

      Menzel parkte seinen Dienstwagen in der Dorotheenstraße, auf der Rückseite des Anton-Tschechow-Theaters. Hier parkte er oft, wenn er eine Aufführung besuchte, es sei denn, er riskierte die Fahrt mit der S-Bahn und nahm ausfallende Züge, gesperrte Teilstrecken und Verspätungen in Kauf.

      Im Gegensatz zu seiner Chefin war Menzel häufiger Theaterbesucher. Die Czerny hatte er als Käthchen von Heilbronn gesehen, auch wenn er mit ihrer bedingungslosen Zuneigung nichts anfangen konnte. Er war realistisch genug, solche Gefühle von keiner Frau zu erwarten. Aber die Figur der Czerny war mehr gewesen als ein naives Kleinstadtmädchen, das den strahlenden Ritter bewundert. Sie liebte ernsthaft.

      Wie kam sie an die Seite von Dehmel – als Tote?

      Menzel ging am Festungsgraben die Treppe hinauf bis zum Vorzimmer und durch die geöffnete Tür. Lässig lehnte die rothaarige Sekretärin in ihrem Stuhl und lachte sympathisch ins Telefon. Er zückte seinen Dienstausweis, sie hob die Augenbrauen und brach das Gespräch ab. „Oh, der Herr Kommissar.“ Sie griff nach dem Ausweis.

      „Herr Menzel, richtig?“

      „In der Tat, und mit wem habe ich das Vergnügen?“

      „Sind Sie zum Flirten gekommen, oder wollen Sie zu Herrn Preuß?“

      „Zuerst zu Herrn Preuß, bitte.“

      „Gehen Sie nur rein, er erwartet Sie. Bis später dann.“

      Aufgeräumt und mit leicht gerötetem Gesicht betrat Menzel das Zimmer des Intendanten und schloss die Tür hinter sich.

      „Na, hat Flirte-Dörte bei Ihnen zugeschlagen?“

      „Äh, nein, keineswegs, Herr Preuß. Sie wissen, weshalb ich hier bin?“

      „Ja, die arme Katharina. Ich kann es noch gar nicht fassen. Es ist so rätselhaft, wie sie auf einmal am Kleistgrab landen konnte. Der Presse habe ich entnommen, dass es kein Doppelselbstmord gewesen sein soll?“

      „Wir haben begründete Zweifel. Können Sie mir sagen, ob Sie von einer Verbindung Frau Czernys mit Herrn Dehmel wissen?“

      Der Intendant legte sein Gesicht in Falten.

      „Also von einer Verbindung weiß ich nichts, aber sie kannten sich zweifellos.“

      „Würden Sie mir diese Bekanntschaft beschreiben? Seit wann kannten sie sich?“

      „Nun, es war, wenn ich mich recht erinnere, bei der Premierenfeier zum „Käthchen“. Wir saßen alle in der Kantine, das Team, Presseleute, ein paar VIPs und auch Dehmel vom KGB. Von der Kleist-Gesellschaft-Berlin“, ergänzte Preuß schmunzelnd, als er das verblüffte Gesicht Menzels sah.

      „Dehmel war ja Spezialist für die Dramen Kleists. So ließ er sich die Premiere des „Käthchens“ natürlich nicht entgehen. Ja, und dann sah ich ihn neben Katharina sitzen und angeregt mit ihr plaudern.“

      „Das war alles?“

      „Nicht ganz. Später verlagerte sich die Feier auch nach draußen. Und da saßen sie dann plötzlich alleine und dicht beieinander.“

      „Wie ging das weiter?“

      „Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß nur von der Premierenfeier.“

      „Was wissen Sie über das Privatleben von Frau Czerny?“

      „Herr Kommissar, ich bin Intendant und kein Beichtvater. Was meine Schauspieler privat machen, interessiert mich nicht. Sie sollen spielen und ein gutes Team bilden. Katharina war keine Diva. Sie war beliebt, selbstbewusst und konnte Menschen für sich einnehmen.“

      „Also keine Feinde oder Rivalinnen?“

      „Nein, wir hatten keine Kampfbesetzungen in der letzten Zeit.“

      Menzel spürte, dass Preuß ihm nicht mehr sagen konnte oder wollte. Aber er gab noch nicht auf.

      „Gibt es denn jemand, der sie näher kannte oder häufig mit ihr gespielt hat, sodass er vielleicht mehr weiß?“

      Der Intendant breitete theatralisch die Arme aus.

      „Aus der letzten Zeit fällt mir als Erster natürlich der Graf ein.“

      „Graf Wetter vom Strahl – wer hat den noch einmal gespielt?“

      „Ein Connaisseur, sieh an! Das ist Heiko Harmsen. Moment, der müsste im Augenblick beim Proben sein.“

      Er ging zur Tür: „Dörte, kannst du mal anrufen, ob Heiko eben hochkommen kann? - Wollen Sie solange etwas trinken, Herr Kommissar?“

      „Ja gerne, einen Kaffee.“

      „Und mach doch dem netten Kommissar einen Kaffee, Dörte, aber nicht zu heiß!“

      Kuez darauf kam die Sekretärin mit dem Kaffee und kündigte den Schauspieler an, der gerade Pause hatte. Sie schüttelte ihre rote Mähne und lächelte Menzel zu. Der dachte schon an später, wie er sie um eine Verabredung bitten könnte.

      Ein feingliedriger, großgewachsener Mann betrat das Zimmer. Er hatte lange, blonde Haare, die ihm in die Stirn fielen und von der Probe noch schweißnass waren. Zwei energische Falten von den Mundwinkeln zur Nase prägten sein Gesicht. Seine klaren Augen blickten fragend.

      „Heiko, der Kommissar untersucht den Tod von Katharina und wollte dich etwas fragen. Setz dich doch.“

      „Bitte, was kann ich für Sie tun?“

      „Herr Harmsen, Herr Preuß hat mir von der Premierenfeier berichtet, dass sich dort Frau Czerny und Herr Dehmel kennengelernt hätten.“

      „Ob sie sich dort kennengelernt haben, weiß ich nicht. Aber sie sprachen sehr intensiv miteinander an diesem Abend.“

      „Was heißt sehr intensiv? Haben sie diskutiert, geplaudert, geflirtet oder gar mehr?“

      „Ich habe ja nicht zugehört, aber das war schon mehr als plaudern, dazu waren sie zu dicht aneinander.“

      „Haben Sie die beiden auch später noch einmal zusammen gesehen?“

      „Doch, ja, manchmal nach Vorstellungen saßen die beiden in der Kantine oder im Garten.“

      Menzel versuchte einen Überraschungsangriff, da das Gespräch auch mit dem Schauspieler recht vage blieb.

      „Herr Harmsen, waren Sie eifersüchtig auf Herrn Dehmel?“

      Harmsen schaute Menzel verdutzt an. Wollte er Zeit gewinnen? Dann prustete er laut los.

      „Ich?