EINE REISE DURCH DEUTSCHLAND. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844272376
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die Sansibar-Fans auf den digitalen Kaufbutton klicken, dann spüren sie vielleicht noch die raue Brandung der Insel und die salzige Luft.

      Doch der Fortschritt geht auch an der Urlaubsinsel Sylt nicht spurlos vorbei. Die nächste Generation von Unternehmern steht bereits in den Startlöchern. Eine von ihnen ist Kirstin Dobrot, die seit zehn Jahren ihr eigenes Modelabel "Inselkind" in Westerland führt. Statt auf aggressives Branding setzt sie auf Understatement. Ihr Logo ziert eine weiße Möwe, aber nicht die Sylt-Silhouette. "Das käme zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg nicht so gut an", sagt die Designerin. Ihre Zielgruppe sind die Naturverbundenen, die jungen trendigen Familien. Dobrot trägt ein Sweatshirt aus der eigenen Kollektion, der friesische Spruch "Rüm Hart - Klaar Kiming" (Reines Herz - Klare Sicht) steht darauf. Ihr Lebensmotto, wie es scheint.

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      Sylt und seine Fans: Früher hieß es im Volksmund liebevoll: Wenn im Sommer alle Urlaubsgäste angekommen sind, senkt sich die Insel um fünf Zentimeter nach unten. Tatsächlich ist die Zahl der Urlaubsgäste bis heute um ein Vielfaches höher als die Einwohnerzahl. Knapp 20 000 Sylter leben auf der Insel, und rund 850 000 Gäste machen dort jährlich Urlaub. Derzeit gibt es ein Potenzial von 58 500 Gästebetten, die zumeist von kleineren Pensionen und Hotels angeboten werden. Tagsüber finden die Urlauber Unterschlupf in schneeweißen Strandkörben, deren Gesamtzahl sich auf 12 000 beläuft.

      Größe: Sylt ist nicht nur ein Schwergewicht in Sachen Markenführung, sondern beeindruckt auch durch die schiere Größe. Mit einer Fläche von 99 Quadratkilometern ist es die größte deutsche Nordseeinsel und - nach Rügen, Usedom und Fehmarn - die viertgrößte deutsche Insel. Der Sandstrand auf der Westseite der Insel reicht vom nördlichsten Ort List bis zum südlichsten Ort Hörnum - die gesamte Länge beträgt knapp 40 Kilometer. Ein elf Kilometer langer Damm, der Hindenburgdamm, verbindet die Insel mit dem Festland. Pro Jahr passieren etwa 900 000 Fahrzeuge den Damm in beide Richtungen.

      Naturschutz: Eines der wichtigsten Merkmale der Marke Sylt ist die naturbelassene Landschaft. Fast ein Drittel der Insel ist mit Dünen bedeckt. Der größte Teil der Dünenidylle steht unter Naturschutz. Außerdem: Die Sylter Heide stellt mit einer Fläche von rund 2 900 Hektar fast die Hälfte aller Heidegebiete in Schleswig-Holstein dar.

      Chiemgau

      Die Währungsrebellen

      Im idyllischen Chiemgau ganz im Süden der Republik hat sich die erfolgreichste deutsche Regionalwährung etabliert.

      Die Euro-Krise ist gerade weit weg, ganz weit weg. In Prien legt die "Berta" am Dampfersteg an, eine Schulklasse kommt von einem Ausflug zum Schloss Herrenchiemsee zurück. Im Hintergrund blitzt das mächtige Gipfelkreuz auf der Kampenwand im Sonnenlicht.

      Am Ortsrand steht Julia Kollmansberger bestens gelaunt hinter der Ladentheke ihres "Regional- und Biomarktes", ein lichtes Holzhaus, und begrüßt ihre Stammkundin Helga Würmser. Etwas Bio-Lammfleisch möchte diese. Kein Problem, 21 Chiemgauer kostet das Kilo Koteletts. Die Kundin zahlt mit Karte in Chiemgauern - die Euro-Scheine kann sie hier stecken lassen.

      Während in Brüssel und anderswo um die Rettung des Euros gerungen wird, floriert hier in einer der schönsten Ecken Bayerns seit zehn Jahren eine Parallelwährung: der Chiemgauer. Was als Projekt der nahe dem See gelegenen Waldorfschule begann, ist heute eine breite Initiative zur Förderung der regionalen Wirtschaft. 6,5 Millionen Euro setzten Hotels und Handwerksbetriebe, Supermärkte und Rechtsanwälte 2012 in Chiemgauern um.

      "Mia san koa Payback-System", sagt Geschäftsfrau Kollmansberger in gepflegtem Bayerisch. Die Nutzer des Chiemgauers unterstützten die örtlichen Betriebe und Vereine. "Immer mehr Leute kriegen den Hintern hoch und zahlen damit."

      Es war Christian Gelleri, der die kleine Währungsrevolution einst anzettelte. Der bedächtige Intellektuelle sitzt im Büro der "Regios eG", die das System betreibt, in einem Rosenheimer Gewerbegebiet und erinnert sich, wie alles begann. Schon während des Studiums in München begeisterte sich der Ökonom für Geldpolitik und Währungen. Er fragte sich: "Wie kann man ein nachhaltiges Geldsystem schaffen, das ohne große Schwankungen und Blasen funktioniert?" Seine Antwort: Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, nicht nur die Geldmenge, sei entscheidend. Ähnlich habe das schon John Maynard Keynes gesehen. Nur zog der andere Schlüsse daraus.

      Gelleri sah den Königsweg in einer regionalen Parallelwährung. Viele dachten damals über eine solche Alternative nach, in Bremen gab es bereits einen ersten Versuch. Als Gelleri, Lehrer der Priener Waldorfschule, seinen Schülern ein entsprechendes Pilotprojekt vorstellte, waren die sofort Feuer und Flamme.

      Der Chiemgau war als Versuchsregion nicht schlecht gewählt. Vor der Alpenkette breiten sich sanfte grüne Kuppen und Hügel aus, an schönen Tagen formen die Segelboote bunte Muster auf dem 80 Quadratkilometer großen Chiemsee. Die Bewohner hier - ob Zugereiste oder Einheimische - sind stolz auf diesen Flecken Erde. "Wir leben, wo andere Urlaub machen", sagt Geschäftsfrau Kollmansberger, und ihre Augen blitzen auf. Da sei auch die Bereitschaft größer, gemeinsam etwas anzupacken und die Region zu unterstützen.

      Zudem sind Experimentierbereitschaft und Toleranz in der Gegend ausgeprägt. Hier haben sich schon immer Zugereiste, Künstler und Exoten niedergelassen. Auch auf esoterische Ansätze treffe man hier oft, sagt der Wissenschaftler und Lehrer Gelleri.

      Anfangs wurde das Projekt dennoch belächelt. Von der "Waldorf-Währung" sprachen sie in Prien, als sich die Schüler aufmachten und die ersten Mitstreiter suchten. Doch die vielen Kontakte der Schule halfen, die Währung rasch in der Region zu verbreiten. Der große Edeka in Frasdorf ist heute ebenso dabei wie der kleine Geschenkeladen "Herzibopperl" gegenüber der Kirche in Prien oder das Haarstudio "Schnipp-Schnapp" in Traunstein. An dem Schild "Wir nehmen Chiemgauer an" an der Ladentür sind die Mitmacher zu erkennen.

      Die Grundidee der Regionalwährung: Die Kunden werden motiviert, im Verhältnis 1:1 eingetauschte Chiemgauer rasch auszugeben - Gelleri will ja die Umlaufgeschwindigkeit hoch halten. Das Geld soll Tauschmittel sein, nicht gehortet werden. Ist das Geld - offiziell sind es Gutscheine - nicht ausgegeben, wird daher nach zwei Monaten eine Gebühr von zwei Prozent fällig, die der Besitzer spendet. Für die Gewerbetreibenden wiederum ist es günstiger, die eingenommenen Chiemgauer für eigene Besorgungen einzusetzen und sie nicht gleich in Euro zu tauschen - denn dabei wird eine Gebühr von fünf Prozent fällig.

      Der Effekt: Die Kunden suchen bevorzugt Läden und Handwerker auf, die Chiemgauer akzeptieren. Diese wiederum kaufen dann mit diesem Geld ebenfalls bevorzugt in der Region ein, zum Beispiel bei Zulieferern. So bezieht Kollmansberger vom Priener Regional- und Biomarkt ihren Schafskäse beim Anderlbauer im benachbarten Frasdorf, auch er ein Chiemgauer-Partner. 75 Prozent der umgesetzten Chiemgauer verbleiben so im System und werden nicht zurückgetauscht.

      Die Idee verbreitet sich vor allem über die Vereine. Denn drei Prozent des Umsatzes gehen an einen Verein, jeder Kunde kann selbst entscheiden, an welchen. An die Waldorfschule flossen so im Laufe der Jahre mehr als 40 000 Euro, auch ein Waldkindergarten, Pfadfinder, Musikschulen und Trachtenvereine profitieren regelmäßig.

      Die fünf Prozent, die sie beim Rücktausch in Euro zahlen muss, sind für Ladenbesitzerin Kollmansberger kein Problem. "Das verbuche ich als günstige Werbeausgabe", sagt sie. Denn die Regionalwährung beschert ihr neue Stammkunden. "Ich gehe in keinen Supermarkt mehr", erklärt Kundin Würmser, die gerade ihren Wocheneinkauf erledigt.

      Als die Bäuerin Kollmansberger vor zehn Jahren einen Bioladen mit regionalen Produkten und Bewirtung eröffnete und als Gelleri im selben Jahr die Regionalwährung auf den Weg brachte, waren beide noch Exoten. Inzwischen gibt es in vielen Lebensbereichen eine Rückbesinnung auf die Heimatregion, die auch eine Reaktion auf die unüberschaubare Globalisierung ist. Von diesem Trend profitiert nicht nur der Bioladen in Prien. "Die Leute wollen heute nicht mehr Hummer, sondern den besten Käse aus dem Allgäu", sagte Edelgastronom Michael Käfer.

      Auch in der Kulturszene ist der Trend zu beobachten. Die Band LaBrassBanda aus dem Chiemgau, die Blasmusik