Der Ruf aus Kanada. Rudolf Obrea. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Obrea
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783847620402
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„Kanada besteht hauptsächlich aus entlegenen, weiträumigen Gebieten. Wenn du uns kennen lernen willst, musst du uns nicht nur in Toronto oder Montreal besuchen, sondern auch die Vorzüge des Landlebens genießen können. Meine Frau offeriert uns jetzt einen kleinen Vorgeschmack mit ihrem Abendessen, das sie uns nach einem Rezept ihrer Freundin servieren wird, die in Timmins, im Norden von Ontario, lebt.“

      Arne hatte damit nicht zu viel versprochen. Der Hammelbraten, den sie „Roast mutton, Helenstyle“ nannte, schmeckte hervorragend und zeigte, dass Rita als echte Kanadierin genau wie ihr Mann nicht nur in der Großstadt zu Hause war, sondern auch die Gastfreundschaft zu demonstrieren wusste, die Sven später als einen der von Arne angedeuteten Vorzüge seiner in der Abgeschiedenheit der Wälder lebenden neuen Freunde und Bekannte kennen und schätzen lernen sollte. Der kanadische Neuling erlebte einen Abend in freundschaftlicher, aufgeschlossener Atmosphäre und erhielt dadurch neuen Mut, um die bei Ron in Bancroft beobachteten, lokal bedingten und für ihn als Ausländer besonders kritischen Kontakt- schwierigkeiten an seinem zukünftigen Arbeitsort erfolgreich auszuräumen. Außerdem durfte er auf eine persönliche Beziehung zu Arne hoffen, der ihm bei den sicherlich noch zu bestehenden ungewohnten Erlebnissen die hilfreiche Unterstützung nicht versagen würde.

      2.1

      Zwei Tage nach dem Abend bei Arne Erikson kam Max Weber zu dem bei ihrem Treffen in der Bar des Segelclubs angekündigten Besuch in Svens Büro. Er trug jetzt die Kleidung eines englischen Geschäftsmannes mit dunkelblauer Clubjacke und dazu passender, grauer Hose. Sein weißes Hemd zierte eine rot-blau gestreifte Krawatte, die scheinbar ein besonderes Merkmal von anerkannten Vertretern der hiesigen Geschäftswelt zu sein schien. Sven, der im Stil seines Kollegen Jim nur mit Jeans und dunkelgrauem Pullover aufwarten konnte, fühlte sich zunächst etwas deplatziert, erholte sich aber schnell, als er von seinem, in dieser neuen Umgebung selten gewordenen Landsmann nach gewohnter Art freundschaftlich begrüßt wurde. Auch die bei diesen Begegnungen übliche erste Frage nach dem jeweiligen deutschen Herkunftsort konnten beide gleichlautend mit Hamburg beantworten und damit zumindest beim Geschäftsgespräch schnell eine Verständigung bei der damit verbundenen Denkweise erzielen.

      Obwohl Max bereits seit einem Jahr in Toronto tätig war, bemerkte Sven, dessen Aufenthalt sich erst auf einen Monat beschränkte, im Laufe der Unterhaltung bald einen gravierenden Unterschied in der Beurteilung ihrer Umgebung. Als er Max von den Verzögerungen in Bancroft erzählte, bekam er von diesem die etwas verblüffende, aber trotzdem eindeutige Antwort: „Was erwartest du von diesen Holzfällern, die selbst hier in Toronto als untaugliche „Lumberjacks“ bezeichnet werden. Besonders in der langen Winterzeit sitzen sie in ihren Hütten und treiben bei reichlich Alkoholkonsum ihre nutzlosen, groben Späße, haben dafür wenig Gefallen an einer ganzjährigen, täglichen Arbeit in deiner Fabrik.“ Obwohl diese Feststellung sicherlich bei den gegebenen Umständen nicht ganz von der Hand zu weisen war, betrachtete sie Sven dennoch als wenig hilfreiche Kritik eines Außenseiters. Er sehnte sich nach dem Zuspruch seiner neuen kanadischen Freunde, Jim Shaw und Arne Erikson, um den Sprung in den dunklen Teich der ungewissen Fremde zu wagen und. nach dem Auftauchen mit dem festen Grund des anderen Ufers und zusammen mit seinen ein-heimischen Mitarbeitern eine erfolgreiche, neue Marschrichtung einzuschlagen. Da sich ihr Gespräch bei diesen unterschiedlichen Vorstellungen festzufahren drohte und diese Differenzen wegen der fehlenden, praktischen Erfahrungen auch kaum zu überwinden waren, versuchten sie bei einem anschließenden Abendessen im Restaurant des nahegelegenen Hotels sich bei der damit verbundenen, gelockerten Atmosphäre doch etwas näher kennen zu lernen und so wenigstens das für die weitere Zusammenarbeit notwendige, gegenseitige Verständnis zu gewährleisten. Mit Bezug auf ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort erzählte Max aus seiner Vergangenheit die folgende, spannende Geschichte:

      „Mein Aufenthalt in Toronto gefällt mir wieder recht gut. Die Stadt bietet alle Annehmlich-keiten und besonders für mich eine gesicherte, abwechslungsreiche Zukunft, die mir vorher ziemlich abrupt und tiefgreifend verloren ging. Ich hatte über mehrere Jahre die Vertretung meiner Firma in Teheran. Auf einer Hochebene am Fuße des Elbursgebirge gelegen, herrscht dort ein angenehmes Klima und der Blick auf den 5600 m hohen, oft schneebedeckten Demawend ersetzte die Aussicht auf die Elbe in Hamburg oder den Ontario See hier in Toronto.

      Zusammen mit meiner Frau und zwei Töchtern bewohnten wir einen Bungalow mit Garten und Swimmingpool, umgeben von zahlreichen deutschen Freunden aus der Nachbarschaft. Das Geschäft lief auch sehr gut, da ich im Laufe der Zeit viele Kontakte bekam und mit meiner Firma technische Produkte anbot, die im Iran als qualitativ hochwertig sehr geschätzt wurden. Das Bemühen um neue Kunden fiel dadurch nicht schwer und konzentrierte sich hauptsächlich auf Begegnungen mit einflussreichen Leuten, die ich auf den verschiedenen Partys im Tennisclub und bei den häufigen Privateinladungen traf. Die Wochenenden gehörten meist der Familie. Wir verbrachten sie entweder zusammen mit Freunden im Garten beim Barbecue oder fuhren im Sommer über das Gebirge zum Baden ans Kaspische Meer und im Winter zu den Skigebieten am Demawend. Selbst Ausflüge ohne Kinder bereiteten keine Schwierigkeiten, da sie vom Hauspersonal selbst über längere Zeit gut versorgt und betreut wurden. Später schickten wir sie auf ein Internat nach Deutschland, um ihnen eine deutsche Schulbildung zu ermöglichen.

      Diese Kurzbeschreibung demonstriert eigentlich bereits recht deutlich den sorglosen Luxus, den wir damals genießen durften. Wir gewöhnten uns im Laufe der Jahre so daran, dass wir die Anzeichen einer bevorstehenden Veränderung weder bemerkten noch deren Konsequenzen richtig einzuschätzen wussten. Erst die Vertreibung des Shahs, verbunden mit dem durch Ajatolah Komeini eingeführten neuen Regime führte zu einer Wende, die uns als unvorhergesehener Einschnitt umso heftiger traf. Die mit meinem geschäftlichen Erfolg verknüpfte Industrialisierung des Landes verlor schlagartig ihre Bedeutung. Meine Aufträge wurden storniert und neue kaum noch erteilt. Nach zwei Monaten gab die Firma die Vertretung auf. Meine Frau und ich packten einen Container mit den wertvollsten Sachen und flogen anschließend zurück nach Hamburg, um dort eine vorläufige Bleibe zu suchen.“

      Sven erinnerte sich bei dieser Erzählung an die Bemerkung von Jim, die dieser bei ihrer Heimfahrt von ihrem Bootsausflug über das von Max praktizierte, althergebrachte Geschäfts- gebaren des Aufbaus eines Beziehungsgeflechtes gemacht hatte. Dieses schien in Teheran tatsächlich gut funktioniert zu haben und dort, ähnlich wie in Europa, aber noch im verstärkten Maße, die Geheimwaffe gewesen zu sein, um möglichst im exklusiven Zirkel agierend, unter Mitnahme aller damit verbundenen Annehmlichkeiten ein sorgenfreies Leben zu genießen. Da weder Jim noch Sven im Einsatz dieser Geheimwaffe besonders geschult waren, setzten beide in erster Linie darauf, die Kunden im freien Wettbewerb durch ihre fachliche Kompetenz zu überzeugen. Offensichtlich erzielte Jim im amerikanischen Markt auf diese Weise gute Ergebnisse, was Sven seinerseits die Hoffnung gab, die amerikanische unvoreingenommene, eigenwillige Entscheidungsfreiheit ohne alteingesessene Beziehungsnetzwerke auch seinerseits für sein eigenes Fortkommen in Anspruch zu nehmen. Momentan wollte er jedoch diesen Unterschied zwischen beiden Geschäftspraktiken nicht weiter vertiefen, zumal er selbst noch keine eigenen Resultate vorweisen konnte. Er bestellte stattdessen noch eine Flasche Wein, um so noch mehr über die besonderen Fähigkeiten seines Gastes zu erfahren. Dazu bekundete er seine Anteilnahme mit der Bemerkung: „Eine tolle Geschichte! Schade, dass sie mit der plötzlichen Vertreibung aus dem Paradies endet. Andererseits bist du mit dem hiesigen Start noch einmal glimpflich davongekommen.“

      „Hier ja, antwortete Max. Dafür musste ich zu Hause erst noch einmal büßen. Meine Frau konnte sich einfach nicht mehr an das Leben in Deutschland gewöhnen. Nachdem wir zunächst bei ihrer Mutter untergekommen waren, mietete ich bald danach ein Reihenhaus in Wedel, nicht weit vom Elbufer auf einer Anhöhe gelegen, um bei kleinen Spaziergängen wieder eine attraktive Aussicht zu bieten. Die Räumlichkeiten in dem Haus beschränkten sich allerdings auf drei kleinere Zimmer und eine Mansarde und boten damit nicht mehr den vorher gewohnten Komfort. Hinzu kam, dass ich hauptsächlich bei meiner Firma in Bonn arbeiten musste, die Töchter weiter im Internat bleiben wollten und das vorher für Abwechslung sorgende Dienstpersonal wegfiel. Die Nachbarn waren ebenfalls keine Freunde mehr, sondern hauptsächlich ortsansässige Kleinbürger, die meine Frau als fremdes Wesen mieden