Friedhelm Richter hatte sich nach dem Krieg in einigen Betrieben als Angestellter nützlich gemacht und bald erkannt, dass in der schnell wieder auf die Beine kommenden Wirtschaft mehr drin sein könnte, als ein schmaler monatlicher Lohn. Der junge Mann war zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen tatkräftig. Deutschland war schon immer führend im Werkzeugmaschinebau gewesen und Richter schlussfolgerte, dass dieser traditionsreiche Industriezweig das Wachstum noch weiter anfeuern würde. 1954 hatte er etwas zusammengespart (Geld konnte ihm niemand leihen, da Richter durch die Kriegsereignisse Vollwaise war) und gründete die „F. Richter Export-Import GbR“. Der einzige Angestellte zu diesem Zeitpunkt war er selbst.
In einem mit Aktenschränken vollgestopftem Büro hing Richter fast den ganzen Tag am Telefon und klapperte die Unternehmen nach Nachfragewünschen in Bezug auf Maschinenteile ab. Die Bestellungen notierte er fein säuberlich auf einer jeden Tag neu anzulegenden Karteikarte. Richter hatte stets zugesagt, die gewünschten Teile beschaffen zu können, obwohl das damals ein schwieriger Akt war. Während er durch seine Telefonate auf der einen Seite Nachfrage generierte, musste er diese auf der anderen Seite aber auch durch Lieferung befriedigen. Also rief er bei in Frage kommenden Unternehmen an. Hatte er ein Geschäft soweit vorbereiten können, schaltete er Horst Bachmann ein.
Bachmann war ein knorriger Mann von schätzungsweisen 45 Jahren und hatte im Krieg einen Unterschenkel eingebüßt, weswegen er schlecht zu Fuß war. So lag es für ihn nahe, sich mit Maschinenkraft zu bewegen. Bachmann war zudem gelernter Maschinenschlosser und hatte sich bald nach Kriegsende aus verschiedensten Teilen erst einen, und dann noch einen zweiten kleinen Laster zusammengebaut. Das war nicht einfach gewesen, aber Bachmann besaß derartig gute Improvisationsfähigkeiten, dass er Teile verschiedenster Herkunft kombinieren konnte. Der Tank seines ersten Lasters stammte beispielsweise von einem zerschossenen Wehrmachtskrad, das Lenkrad aus einer demolierten Zugmaschine. Das größte Problem waren damals die Reifen gewesen, aber irgendwie hatte sie Bachmann dann doch noch auftreiben können. Er hatte noch einen alten Kriegskameraden angeheuert und die beiden transportierten dann alles Mögliche, konnten sich aber mehr schlecht als recht über Wasser halten, weil die Nachfrage nur sporadisch war.
Das änderte sich, als Richter eines Tages einen Auftrag an Bachmann vergab. Das Teilebeschaffungsgeschäft lief immer besser an und Richter hatte zwei Leute einstellen müssen, um die Transaktionen bewältigen zu können. Da er emsig war und für sich selbst und seine Leute die Devise ausgegeben hatte, auch das Unmöglichste möglich zu machen, hatte es sich schnell rumgesprochen, dass auf Richters Firma Verlass war. Er musste demzufolge bald eine größere Bürofläche anmieten und abermals Leute einstellen. Auch Bachmann profitierte von diesem Aufschwung und konnte dann auch den ersten von ihm selbst zusammengebastelten Laster verschrotten und einen neuen kaufen.
Friedhelm Richter war bald klar geworden, dass er immer ein kleiner Krauter bleiben und eventuell von größeren Konkurrenten geschluckt werden würde, wenn er seinen Radius nur auf die Großstadt und deren Umland beschränken würde. Momentan war das zwar noch ausreichend, aber der Mann dachte weiter. 1963 stellte er zwei neue Leute ein. Paul Yates war nach dem Krieg in Deutschland hängengeblieben und nicht wie seine Offizierskameraden nach England zurückgekehrt. Dafür hatte er zwei Gründe gehabt. Das ständig miese Wetter auf der Insel und Helga Bräuer. Ähnlich war es Jean Travidue gegangen, den es aus irgendwelchen Gründen, über die er aber nie sprach, nicht mehr nach Frankreich zurückgezogen hatte. Yates sprach naturgemäß perfekt Englisch, Travidue neben Französisch noch Spanisch und Portugiesisch und konnte auch ganz gut Italienisch parlieren. Die „KME Export-Import GmbH“ streckte ihre Finger somit also schon damals vorsichtig in andere Länder aus.
Zu dieser Zeit bestand die nunmehr in eine GmbH umgewandelte Firma aus immerhin schon fünfzehn Mitarbeitern. Richter war der ganze finanzielle Kram mittlerweile über den Kopf gewachsen, so dass Katrin Beyer in das Unternehmen kam, um sich um die Buchhaltung zu kümmern. Die Bilanzsumme betrug zu diesem Zeitpunkt knapp drei Millionen D- Mark. Forderungen und Verbindlichkeiten hielten sich in etwa die Waage, so dass die Liquidität nie in Gefahr war.
Richters Leute hatten bald eine gewisse Routine bei der Auftragsabwicklung erreicht, so dass sie zwar ganz ordentlich zu tun hatten, aber sich keiner so richtig den Arsch aufreißen musste. Es wurde noch entspannter, als gegen Ende der siebziger Jahre die ersten Computer Einzug in die Bürowelt hielten.
Der Gigolo
Hubertus Kriegel kam 1958 als Kind einer alleinstehenden Mutter zur Welt und hatte erwartungsgemäß nicht unbedingt eine leichte und sorgenfreie Kindheit durchleben können. Geld war fortlaufend mehr als knapp, und somit wurde er auch kurzerhand in schon abgetragene Sachen gesteckt, die ihm eine Bekannte seiner Mutter dann zusteckte, wenn die eigenen Kinder aus diesen herausgewachsen waren. Kriegel kannte es gar nicht anders, als in bunt zusammen gewürfelten Arrangements herumzulaufen. Seine Mutter kam nur über die Runden, weil ihr ihre Eltern ab und an einmal einen Schein zusteckten. Später in der Schule wurde der Junge dann natürlich wegen seinem eigenartigen Bekleidungsstil gehänselt. Bereits in dieser Zeit wurde ihm klar, dass man, wenn man Geld hatte, besser wegkam. Das war zu diesem Zeitpunkt nur ein kindliches Bauchgefühl gewesen, aber als er älter wurde merkte er an vielen kleinen Begebenheiten, dass es leider tatsächlich so war.
Hubertus Kriegel war keine Geistesleuchte und ging bereits mit der 8. Klasse aus der Schule ab. Da er nicht vorhatte, sich die Hände in irgendeiner Klitsche schmutzig zu machen, schlug er eine Lehre als Schneider ein. Es kam wie es kommen musste. Kriegel war wegen seiner nur rudimentär vorhandenen mathematischen Fähigkeiten vollkommen unfähig, Teile eines Kleidungsstückes richtig auszumessen. Dazu kam noch ein fehlendes räumliches Vorstellungsvermögen. Sein Lehrmeister gab ihm nach drei Monaten entnervt den Rat, sich doch besser etwas anderes zu suchen, er könnte den vielen Verschnitt jetzt nicht mehr vor dem Chef rechtfertigen. Tatsächlich hatte Kriegel in der vergangenen Lehrzeit kein einziges Werk komplett fertigstellen können. Dennoch fühlte er sich irgendwie zur Mode hingezogen und fand dann eine Ausbildungsstelle als Verkäufer für Damenmode in einem kleinen Laden.
Dort machte er sich gut, denn was er nicht im Kopf hatte, glich er mit einem überwältigenden Charme aus. Dazu kam, dass der junge Mann ganz hervorragend aussah. In der letzten Zeit hatte er sich auf 1 Meter 85 Zentimeter gestreckt und ein schwarzer Bartschatten rahmte sein ebenmäßiges Gesicht ein. Man schrieb das Jahr 1975 und Hubertus Kriegel war wie viele andere junge Leute von der auf einer Erfolgswelle schwimmenden Band Led Zeppelin begeistert. Wie es der Zufall so wollte hatte er lange blonde Haare, die ihm wie dem Sänger Robert Plant lockig bis auf die Schultern fielen. Kriegel eignete sich den Slang der Verkäufer schnell an, denn rhetorisch war er gut. Dass er viel hohles Gewäsch von sich gab fiel den Kundinnen nicht auf, denn sie hatten eigentlich mehr Augen für den Mann, als für die auf den Kleiderbügeln hängende Ware.
Nach zwei Jahren hatte Hubertus Kriegel seine Lehre abgeschlossen und fühlte sich nunmehr zu Höherem berufen. Er wechselte sehr zum Leidwesen der Inhaberin des kleinen Ladens in ein größeres Geschäft in Innenstadtlage. Der junge Mann kam dort so gut an, dass sich die Kundinnen um ihn rissen. Wenn ein Einkauf besonders üppig ausfiel konnte Kriegel das Fahrzeug des Ladens nutzen und die Käuferin mitsamt der Sachen am Vormittag nach Hause fahren. Es handelte sich bei den gelangweilten Gattinnen von Ingenieuren oder vermögenden Handwerkern überwiegend um schon etwas ältere Jahrgänge (jedenfalls aus Kriegels Sicht, dabei waren die Frauen gerade so um die Vierzig), aber der junge Mann war auch reiferem Fleisch nicht abgeneigt. Den Beischlaf mit den Kundinnen betrachtete er sozusagen als eigenes Vergnügen während der Arbeitszeit, und zudem noch als Service des Hauses. Außerdem waren seine Bemühungen immer mit einem üppigen Salär verbunden gewesen. Da Kriegel diskret war und jeder der Kundinnen das Gefühl gab er sei nur an ihr interessiert, tanzte er auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig, ohne dass es auffiel. So langsam fühlte er sich in der Rolle des Verkäufers unterfordert und war zu der Auffassung gelangt, dass sein Betätigungsfeld eher im Bereich des Modedesign liegen würde. Also studierte er die einschlägigen Journale und fertigte zu Hause Skizzen von Entwürfen für Jacken, Hosen und Blusen an. Diese schickte er diversen Firmen zu, aber kassierte nur Absagen oder erhielt