519 Park Avenue. Peter Stockfisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Stockfisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783745091854
Скачать книгу
aus der Jackettasche genommen und scrollte. “Die Indizes haben sich aber in dieser Woche wieder ganz gut erholt. Und beim Öl ist viel Spekulation.” Er steckte den Blackberry wieder weg und lehnte sich zurück. “Vielleicht bringt ja auch das Stimulus Package der Regierung etwas, und in der nächsten Woche, denke ich, wird die Fed Funds Rate nochmals um einen viertel Punkt auf 2 % gesenkt. Bernanke ist jetzt auf der richtigen Schiene, scheint mir.”

      “Andererseits fürchte ich, dass uns noch Einiges bevorsteht. Der Immobiliencrash und seine Folgen sind noch nicht ausgestanden. Mit den Abschreibungen von Morgan Stanley, UBS, Merril Lynch, Citigroup und den anderen Großen sowie der Bear Stearns-Pleite ist es meines Erachtens noch nicht getan. Der ganze Finanzsektor hat den Keller noch voller Leichen”, bremste Lars den Optimismus seines Partners. “Übrigens, auch die Deutschen,” fügte er noch hinzu.

      Bergstraesser verließ sich zwar in strategischen Fragen ganz auf Thomas und mischte sich auch wenig in das operative Geschäft seiner erstklassigen Leute ein. Im Laufe der Jahre hatte er sich aber durch das Studium der einschlägigen Wirtschafts- und Finanzmedien und natürlich durch regelmäßige Gespräche mit Investmentbankern und Analysten ein ökonomisches Grundwissen angeeignet, das es ihm erlaubte, sich zu den Marktentwicklungen ein Urteil zu bilden und mitzureden.

      “Nein danke, nicht für mich”, sagte Thomas und hielt eine Hand über sein Glas, als der Ober sein Weinglas auffüllen wollte. Der Hauptgang wurde serviert. Thomas hatte sich wie immer für den gegrillten Lachs entschieden und Lars für das Rib-Eye Steak.

      Es war erstaunlich: Trotz der zigtausend Restaurants in New York mit all der ethnischen Vielfalt gab es neben den Spezialitäten überall die gleichen vier Standardgerichte – Steak, Lachs, Hähnchen und eine aufgemotzte Pasta. Sie unterschieden sich natürlich durch die Qualität der Ingredienzen, die Zubereitung und die Beilagen und natürlich durch die zum Teil recht phantasievolle Namensgebung. Aber ansonsten: American Standard.

      Für einen Moment genossen beide schweigend ihr Essen.

      “Wie gesagt, vielleicht liegt hier aber auch eine Chance für uns,” nahm Thomas den Faden wieder auf. “Die großen Institute haben wahrscheinlich abgewinkt. Die haben im Moment mit ihren Sub-primes andere Probleme. Und da ist CALO auf uns gekommen. Wir können hier eine Menge Geld verdienen, was wir gut gebrauchen können. Unsere Anleger sind im letzten Jahr nicht sonderlich von uns verwöhnt worden, und auch das Brokerage-Geschäft ist deutlich zurückgegangen”.

      “Im nächsten Jahr könnte es mit einer neuen Regierung neuen Schwung geben – egal ob Hillary oder Obama. Mit Obama, der wohl die Nase vorn hat, könnte es wieder aufwärts gehen,” stimmte Lars zu. “Lasst uns in der nächsten Woche mit unseren Anwälten reden”.

      Bergstraessers Telefon vibrierte und klingelte leise. Sie waren fertig. “Hallo ! Hallo ! Wer ist da ? Wer ?” Lars nahm einen tiefen Atemzug, stand auf und ging in Richtung Toiletten. Als er zurückkam, war er leichenblass und seine Hand zitterte. Thomas hatte ihn noch nie so gesehen.

      “Is’ was ? Bist du okay ?” Lars antwortete nicht und bewegte sich Richtung Ausgang. Thomas legte einen Zwanziger und einen Zehner als Trinkgeld auf den Tisch - die Rechnung wurde immer ins Büro geschickt - und eilte hinterher.

      7.

      Der Verkehr nahm jetzt rapide zu. Vor einer halben Stunde hatte Saidi seine Spätschicht angetreten. In den nächsten sechs Stunden würde er das meiste Geld machen.

      Gerade hatte er zwei Damen bei Bergdorf & Goodman aussteigen lassen, als bereits ein neuer Fahrgast die noch offene Wagentür hinter sich schloss.

      “West Broadway und Grand Street, bitte”.

      So würde es jetzt immer weiter gehen bis etwa elf, halb zwölf, wenn im Theater District und im Lincoln Center die Vorstellungen zu Ende waren. Danach würde es ein wenig ruhiger werden. Jetzt bloß keine Tour nach JFK oder La Guardia. Das ist ein fester Preis und kann um diese Zeit bis zu zwei Stunden dauern. Seine pausenlosen 10 - bis 12- Dollar-Touren waren weit lukrativer. Einige seiner Kollegen fuhren manchmal einfach an Leuten mit Koffern vorbei oder schalteten das “OFF”-Licht ein. Dies konnte allerdings böse Folgen haben, wenn die TLC, die Taxi&Limousine Commission, davon Wind bekam.

      Saidi liebte seinen Job. Er war auch ein bisschen stolz auf das, was er in den vergangenen Jahren erreicht hatte. Die erste Hürde, die er seinerzeit nehmen musste, um die Taxifahrerlizenz zu erhalten, war der Sprachtest. Die TLC, die Bewerbungen von Menschen aus der ganzen Welt erhält, wachte darüber, dass die angehenden Taxifahrer in der Lage waren, Englisch zu lesen, zu sprechen und zu verstehen. Die zahlreichen Bewerber aus Pakistan und Bangladesch waren hier im Vorteil, da Englisch in ihren Heimatländern eine zweite Amtssprache war. Allerdings wurden sie selber wegen ihrer eigenwilligen Aussprache nicht immer von ihren Fahrgästen verstanden. Das war aber auch keine TLC-Voraussetzung. Saidi nahm die Sprachhürde ohne große Probleme. Er war als junger Mann von Mosambik nach Amerika gekommen und hatte am Anfang in diversen Jobs gearbeitet. Dabei hatte er die neue Sprache schnell aufgeschnappt. Nach Fitnesstest und polizeilichem Unbedenklichkeitstestat stand seiner Zulassung zur Taxischule nichts mehr im Wege.

      Heute hatte er sein eigenes Taxi, einen neuen Ford Escape Hybrid, bereits ausgestattet mit einem Terminal für Kreditkarten, die in diesem Jahr für alle New Yorker Taxen eingeführt worden waren. Und er verdiente gut. Ein Medallion, die Lizenz für ein Taxi, besaß er allerdings nicht. Die kostete bereits über 100.000 Dollar, als er als Taxifahrer anfing. Das war unerschwinglich. Auch wenn er sich mit einem oder zwei Kollegen zusammen getan hätte. Und heute war der Preis auf mehrere hunderttausend Dollar geklettert. Daher musste er sich, wie viele seiner Kollegen, die Lizenz von einem Medallionbesitzer mieten.

      Saidi Calhoun konnte mit seinem Leben zufrieden sein. Seit 14 Jahren war er mit Elvira verheiratet, einer Puerto Ricanerin. Sie arbeitete als Krankenschwester im Lenox Hill Hospital. Mit ihren zwei Kindern, Jazmin und Roy wohnten sie in Queens, im Stadtteil Astoria. Obwohl beide Schichtarbeiter waren, hatten sie sich so organisiert, dass sie wenigstens an zwei Tagen in der Woche ein normales Familienleben führten mit gemeinsamen Mahlzeiten, Einkäufen und Freizeitgestaltung. Jazmin, inzwischen 13 Jahre alt, hatte jetzt als Teenager schon ihren eigenen Zeitplan und verbrachte mehr Zeit mit ihren Freundinnen als mit Eltern und Bruder. Elvira, eine typische latinische Madre , legte jedoch Wert darauf, möglichst viel Zeit mit ihrer heranwachsenden Tochter zu verbringen und als Gesprächspartnerin immer für sie da zu sein.

      Roy war nur anderthalb Jahre jünger, aber noch recht kindlich. Er freute sich immer riesig, wenn sein Vater ihn an Wochenenden zu lokalen Baseballspielen mitnahm oder – seltener - gar zu Ligaspielen der Mets. Manchmal kickten sie auch selber im nahegelegenen Astoria Park.

      Saidi war heute unkonzentriert. Zu aufgewühlt war er noch nach dem, was er gestern erlebt hatte. Es war wie ein Alptraum. Es schien, als würde sein Leben erneut an einem Wendepunkt stehen.

      Was war geschehen.

      Er hatte gegen Abend gerade Fahrgäste am Hilton in der Avenue of the Americas abgeliefert und fädelte sich in den Verkehr Richtung Norden ein. An der Ecke 56. Straße auf der rechten Seite standen zwei Herren, die in ihren dunklen Anzügen und Krawatte ohne Mantel wie Geschäftsleute aussahen. Es konnten auch Banker oder Anwälte sein. Der eine von ihnen winkte mit der einen Hand sein Taxi zum Halten, mit der anderen zeigte er in die 56. Straße, um die gewünschte Fahrtrichtung anzuzeigen. Saidi kreuzte drei Fahrspuren nach rechts, was trotz Blinker ziemlich riskant war. Da aber jeder in New York mit solchen erratischen Manövern rechnet – insbesondere bei Taxis – passiert kaum etwas.

      “Pine Street, bitte !” Thomas Kirsten schaute auf die Uhr.

      “Lars, wir sind spät dran, aber auf unsere Limousine hätten wir bestimmt noch eine Viertelstunde warten müssen.”

      “Übernimm du bitte die Gesprächsführung am Anfang, ich melde mich, wenn es zu den Knackpunkten kommt”.

      Saidi bog gerade in die Fifth Avenue Richtung downtown ein, als es ihn wie ein Keulenschlag traf. Das Blut wich aus seinem Kopf. Er fühlte sich plötzlich hundeelend. Die Stimme kannte er doch ! Sie gehörte zu dem Mann, den der andere