Streiten öffnet das Herz und andere Teile der Anatomie
Streit in der Partnerschaft muss Sex nicht verhindern. Sexualtherapeut David Schnarch demonstriert, wie Streit Freiräume schafft, die Intimität ermöglichen.
VON WENKE HUSMANN
Sex fühlt sich prima an. Streit zwischen Partnern ist nicht so prima, kommt aber ebenfalls vor. Wenn es schlecht läuft, sogar häufiger als Sex. Kurz vor einer Trennung bleibt dann oft nur der Streit. Der Spaß hat sich verflüchtigt.
Bevor es dazu kommen kann, haben die etwa hundert Männer und Frauen, die an diesem trüben Oktobertag in einem Berliner Seminarraum sitzen, Rat gesucht. Sie haben sich zum Vortrag eines bekannten Sexualtherapeuten angemeldet, des Amerikaners David Schnarch. Er spricht über Intimität und Verlangen. Dazwischen findet er Zeit für ein Gespräch unter vier Augen.
ZEIT ONLINE: Beeinflusst die Art, in der wir mit unserem Partner streiten, die Art, in der wir Sex mit ihm haben?
David Schnarch: Oh, ja! Sehr sogar. Wenn Sie erfolgreich streiten, werden Sie Ihren Partner erheblich mehr mögen. Und sich selbst und seinen Partner zu mögen, sind die beiden besten Aphrodisiaka der Welt. Wenn Sie hingegen sehen, dass sich Ihr Partner nicht auf Sie einlässt, schafft das Feindseligkeit und Abneigung. Das hat natürlich einen Einfluss darauf, ob Sie Lust auf Sex haben, und auf die Art des Sex, den Sie haben werden – falls Sie welchen haben werden.
ZEIT ONLINE: Was heißt denn erfolgreich streiten? Dass wir das Problem lösen, bevor wir Sex haben können?
Schnarch: Es ist nicht entscheidend, dass Sie eine endgültige Lösung gefunden haben. Es ist wichtig, dass Sie und Ihr Partner die Bereitschaft zeigen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, und den Willen haben, schwierige Themen anzugehen. Das bringt viele Menschen dazu, ihr Herz zu öffnen – und andere Teile ihrer Anatomie.
Reizvoll am Ansatz des Sexualforschers aus Colorado ist, dass er es für völlig normal hält, sich in einer Beziehung zu streiten. Das nimmt den Druck von all jenen, die stets befürchten, die einzigen Scheusale dieser Welt zu sein. Nein, sagt Schnarch, sie sind Legion. Er zählt sich selbst dazu. Allerdings hält er sich (und die meisten anderen Scheusale) für lernfähig.
Was den Paaren fehlt, die ihn aufsuchen, ist eine sinnvolle Erklärung dafür, warum sie streiten, sagt der Therapeut. Die meisten seien frustriert, weil sie die falsche Vorstellung haben, sie müssten immer miteinander klarkommen. Schließlich ist es genau das, was die meisten zu Beginn ihrer Beziehung erlebt haben: Man stimmt in allem mit dem neuen Partner überein und kostet diese Übereinstimmung weidlich aus. Das sind jene Paare, die sich in einem Restaurant ununterbrochen in die Augen schauen, miteinander sprechen, sich berühren. Wenn es zu ersten Auseinandersetzungen kommt, verzichten sie leichter auf eigene Ansprüche und Bedürfnisse. Später, wenn eine persönliche Grenze erreicht ist oder sich einer zu einseitig dem anderen angepasst hat, wird es zu einem Konflikt kommen. Sie streiten sich. Das muss übrigens keineswegs bedeuten, dass sie miteinander sprechen. Es gibt Paare, die streiten, indem sie sich anschweigen. Manche schweigen sich sogar ziemlich laut an. Jetzt kommt es darauf an, aus der Situation herauszufinden. Das geht nach Schnarch nur, wenn sich beide bewegen. Zugespitzt könnte man über die Schnarch’sche Therapie sagen: Lasst uns streiten! Aber richtig.
ZEIT ONLINE: Welche Regeln sollte man also beherzigen?
Schnarch: Ganz wichtig ist es, zu streiten, um auf den kritischen Punkt zu kommen, statt zu streiten, um den kritischen Punkt zu vermeiden. Sie sollten beim Thema und klar bleiben. Behalten Sie das Ziel im Auge – nicht ihre Gefühle.
Während seines Vortrags nennt Schnarch vier Eigenschaften, die für richtigen Streit wichtig sind. Die ersten drei: ein zugleich solides und flexibles Selbst, innere Ausgeglichenheit und kontrolliertes Verhalten. Er widerspricht aufs Schönste dem psychologischen Tipp, Gefühle stets an- und auszusprechen, indem er sagt: "Die Ehe verbessert sich durch die zwei oder drei Dinge, die Sie sich jeden Tag nicht sagen." Auch von den vielbeschworenen Ich-Botschaften hält er nicht viel: Was zum Kuckuck, schnaubt Schnarch, sei denn an dem Satz "Ich denke, du spinnst!" besser als an dem Satz "Du spinnst!" Verletzt fühle man sich nach beiden.
Als Viertes nennt er so etwas Altmodisches wie Aushalten. Dabei geht es ihm nicht darum, Dinge zu ignorieren, sondern darum, sie bewusst in Kauf zu nehmen. Warum, will er im Zwiegespräch gleich vorführen.
Schnarch: Denken Sie sich bitte ein Paar aus und ein Thema, über das es streitet.
ZEIT ONLINE: Okay, ich lass es über die Aufteilung der Hausarbeit streiten: Er ist unordentlicher als sie und sie wirft ihm vor, immer alles herumliegen zu lassen und nie aufzuräumen. Dafür will er öfter Sex als sie.
Schnarch: Großartig, dass ist nicht sonderlich originell und daher als Beispiel bestens geeignet. Ich kenne übrigens eine Menge Männer, die zu Hause alles machen. Da könnte die Frau, selbst wenn ihr Leben davon abhinge, nicht mal eine Socke stopfen. Was ich sagen will: Wenn wir ein so stereotypes Beispiel nehmen, sollten wir nie vergessen, dass die Rollen in einem Streit geschlechterunabhängig funktionieren.
Aber nun los: Streiten wir! Sie sind der ordentlichere Partner?
ZEIT ONLINE: Oh nein, lassen Sie uns das Stereotyp umdrehen. Ich möchte die Schlampe sein.
Schnarch: Und Sie übernehmen dann auch den Part dessen, der öfter Sex will?
Ein Gespräch mit einem Sexualtherapeuten erfordert ein gewisses Maß an Offenheit. Als die zwei sympathischen Paare, die während des Seminartages neben und hinter mir sitzen, mitbekommen, dass ich Journalistin bin, beschränken sie sich auf freundliche Konversation. Verständlich. Mir fällt es schon im Einzelgespräch schwer, die unordentliche Frau auf der Suche nach Sex zu geben. Schnarch eröffnet.
Schnarch: "Ich bin nicht glücklich damit, wie wir uns die Hausarbeit aufteilen. Ich bin wütend auf dich, weil du erwartest, dass ich alles mache."
ZEIT ONLINE: "Ich erwarte gar nicht von dir, dass du alles machst. Tu es doch einfach nicht. Für mich wäre das in Ordnung."
Schnarch: "Aber ich hasse es, in einem Saustall zu leben."
ZEIT ONLINE: "Das ist kein Saustall. Wir haben unterschiedliche Maßstäbe."
Schnarch: Kommt Ihnen so ein Streit bekannt vor?
ZEIT ONLINE: Vage.
Schnarch: Und ich sage: "Das sehe ich auch so, dass wir unterschiedliche Maßstäbe haben. Wir brauchen eine Lösung, in der meine Werte ebenfalls zählen. Es kann nicht sein, dass ich alles erledige, nur weil ich andere Werte habe."
ZEIT ONLINE: "Das ist dein Problem. Entspann dich!"
Schnarch: "Ich bin nicht verspannt. Wir haben lediglich unterschiedliche Maßstäbe – das hast du selbst gesagt. Wir haben auch unterschiedliche Maßstäbe, was die Häufigkeit von Sex angeht. Und wenn du jetzt ausspielen willst, dass wir einfach nur unterschiedliche Maßstäbe haben, dann hoffe ich mal, dass du Spaß am Masturbieren hast."
Immer wieder demonstriert Schnarch an diesem Tag, was es bedeutet, dass nach seiner Auffassung stets derjenige Partner die Situation kontrolliert, der das schwächere Verlangen hat: Wem etwas weniger wichtig ist, kann allein dadurch die Situation bestimmen, dass er kein Problem damit hat, etwas nicht zu tun – sei es aufräumen oder Sex haben. In einer guten Beziehung ändert sich das. Irgendwann kann auch derjenige mal Maßstäbe setzen, der die größeren Ansprüche hat. Wie ficht man das aus?
Schnarch: Dann werde ich damit leben, dass das Haus nicht so ordentlich aussieht, als wenn ich alleine darin wohnen würde, aber ich werde Mindestanforderungen aushandeln: "Ich möchte wenigstens, dass du deine Unterwäsche nicht auf dem Boden herumliegen lässt, die Wäsche aus dem Trockner räumst und hin und wieder das Bett machst."
ZEIT