Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman). H. G. Wells. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H. G. Wells
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746744445
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Aber eine schöne nackte Frau ist immer und überall schön, besonders wenn man in der nötigen Stimmung ist, und ich sehe nicht ein, warum ein armer kleiner Händler, der auf der Straße unzüchtige Bilder feilbietet, eingesteckt werden soll: er verkauft doch nur just das, was hier jedermann betrachten kann! Und nicht nur betrachten kann man’s, man kann sich im Vestibül auch Photographien davon kaufen. Ich habe nichts gegen die Kunst, ich kann es nur nicht leiden, wenn sie gar so groß tut. Es ist, als ob sie zum Diner im Buckingham Palace eingeladen worden wäre und sich nun nicht mehr mit ihren armen Verwandten sehen lassen wollte. Die aber ebenso viel Existenzberechtigung haben wie sie.«

      Mr. Parham ging mit einem Gesichtsausdruck weiter, der andeuten sollte, daß die Diskussion auf üble Abwege geraten sei.

      »Ob wir Zeit haben, auch noch in die Tate Gallery zu gehen?« erwog er. »Dort werden Sie die britische Schule finden und den wilden Nachwuchs, der sich noch nicht ganz durchgesetzt hat.« Er vermochte ein feines, kaum merkbares Hohnlächeln nicht zu unterdrücken. »Die Bilder dort sind neuer. Vielleicht werden sie Ihnen deshalb besser gefallen.«

      Sie besuchten tatsächlich auch noch die Tate Gallery. Sir Bussy hatte dort zwar keine weiteren Einwände gegen die Kunst vorzubringen, konnte sich aber auch nicht mit ihr aussöhnen. Sein wesentlichstes Urteil ging dahin, daß Augustus John »Courage« habe. Als er und Mr. Parham das Gebäude verließen, schien er in Nachdenken versunken; dann äußerte er, was offenbar die nunmehr in seinem Innern ausgereifte Antwort auf die Frage war, die er sich für jenen Nachmittag gestellt hatte.

      »Ich glaube nicht, daß die Malerei einen irgendwohin führt. Oder aus irgend etwas herausreißt. Sie bedeutet weder eine Entdeckung noch eine Befreiung. Die Leute reden so von ihr, als ob sie uns den Weg in eine bessere Welt zeigte. Sagen Sie ehrlich: tut sie das?«

      »Sie hat das Leben ungezählter still beobachtender Menschen bereichert und verschönt.«

      »Das kann das Cricketspiel auch«, meinte Sir Bussy.

      Mr. Parham wußte auf eine solche Bemerkung keine Antwort zu geben. Einige kurze Augenblicke lang schien es ihm, als ob der Nachmittag durchaus verfehlt wäre. Er hatte sein Bestes getan, doch dieser Sir Bussy war verstockt und schwer zu beeinflussen; es war ihm, das fühlte er, nicht im geringsten gelungen, dem Mann die Idee der Kunst zu übermitteln. Stillschweigend standen sie im Licht des Abendrots nebeneinander und warteten, bis Sir Bussys Chauffeur merkte, daß sie aufgetaucht waren. Dieser Plutokrat, dachte Mr. Parham, wird mich nie verstehen, wird niemals begreifen, welches die Ziele der wahren Zivilisation sind, und niemals die Zeitschrift finanzieren, die ich brauche. Ich muß höflich und gelassen freundlich bleiben, wie es einem gebildeten Menschen geziemt, aber ich habe Zeit und Hoffnung an ihn verschwendet.

      Im Wagen zeigte sich Sir Bussy jedoch ganz unerwartet dankbar, und Mr. Parham erkannte, daß sein Pessimismus verfrüht gewesen sei.

      »Ich habe diesen Nachmittag sehr genossen«, sagte Sir Bussy. »Es waren schöne Stunden. Sie haben mein Interesse erweckt. Vieles von all dem, was Sie mir über die Kunst gesagt haben, werde ich mir gut merken. Und wir waren sehr fleißig. Ein Bild nach dem andern haben wir aufmerksam betrachtet. Ich glaube, ich habe Ihre Ansicht begriffen – ja, das glaube ich wirklich. Neulich abends sagte ich mir: ›Ich muß der Ansicht dieses Mannes auf den Grund kommen. Er ist erstaunlich.‹ Ich hoffe, daß ich noch oft das Vergnügen haben werde, mit Ihnen zusammen zu sein und Ihre Ansichten näher kennen zu lernen … Liegt Ihnen an hübschen Frauen?«

      »Hm?« machte Mr. Parham.

      »Liegt Ihnen an hübschen Frauen?«

      »Der Mensch ist sterblich«, sagte Mr. Parham im Tone eines Beichtenden.

      »Es würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie an einer Abendgesellschaft teilnehmen wollten, die ich im Hotel Savoy gebe. Nächsten Donnerstag. Es wird die ganze Nacht hindurch gegessen, getrunken und getanzt. Alles, was es auf den Londoner Bühnen Hübsches gibt, wird da sein und sich im besten Lichte zeigen.«

      »Ich bin kein Tänzer, müssen Sie wissen.«

      »Ich auch nicht. Sie aber sollten Stunden nehmen. Sie haben die langen Beine, die ein guter Tänzer braucht. Doch können wir jedenfalls miteinander in einer gemütlichen Ecke sitzen, und Sie erzählen mir dann etwas über die Frauen. So wie Sie mich über die Kunst belehrt haben. Ich bin immer viel zu sehr beschäftigt gewesen, möchte aber seit jeher etwas über die Frauen wissen. Und so oft es Ihnen langweilig wird, können Sie sich eine Dame aussuchen und mit ihr in den Speisesaal gehen, um etwas zu essen oder zu trinken. Es sind immer ihrer genug da, die sich gern in den Speisesaal führen lassen. Auch wird mit Essen und Trinken nicht geknausert.«

      3

      Mr. Parham unter den flott lebenden Reichen

      Es war Mr. Parham nicht ganz klar, ob er seine Zeitung bekommen würde; doch merkte er, daß er Aussichten hatte, etwas wie ein Mentor des Sir Bussy zu werden. Was für eine Art von Mentor, ließ sich noch nicht voraussehen. Wenn man sich Sokrates als groß und gut gewachsen vorstellt, Alkibiades hingegen als klein und energisch, sich überdies jene unheilvolle Expedition nach Syrakus unter besseren Umständen inmitten einer machtvollen Konsolidierung Griechenlands wiederholt denkt – wenn man mit einem Wort den Vergleich so weit zurechtstutzt, daß gerade noch eine Spur von Ähnlichkeit bestehen bleibt, beginnt man zu erkennen, wie die Erwartungen Mr. Parhams beschaffen waren. Vielleicht sind übrigens Aristoteles und Alexander besser für unseren Zweck geeignet. Es ist einer der zahllosen Vorteile einer guten klassischen Bildung, daß man eine menschliche Beziehung niemals in ihrer ganz gewöhnlichen Einfachheit zu sehen braucht, noch sehen kann; sie wird stets durch den Vergleich mit Vergangenem bereichert. Man verliert allen Sinn für die Geschehnisse der Gegenwart; es ist einem, als ob sich die geschichtlichen Ereignisse mit denen man vollgepfropft wurde, immerfort wiederholten.

      Bei der Abendgesellschaft im Hotel Savoy bekam Mr. Parham zum erstenmal einen Begriff von dem Aufwand in der Lebensführung Sir Bussys. Ein gewöhnlicherer Geist wäre von dem Eindruck überwältigt gewesen. Selbst Mr. Parham ertappte sich dabei, daß er insgeheim nachrechnete, was bloß dieser eine Abend seinen neuen Bekannten kosten mochte. Die Summe würde der Schätzung Mr. Parhams nach genügt haben, ein Wochenblatt allerersten Ranges für mindestens drei Jahre zu finanzieren.

      Mr. Parham legte Wert darauf, sich für jeden gesellschaftlichen Anlaß richtig und gut zu kleiden. Er war ein Gegner der unter Gelehrten und intellektuell hochstehenden Menschen verbreiteten Meinung, daß man in großer Gesellschaft einen niedrigen Kragen und bei einer Tanzunterhaltung einen veralteten Smoking tragen könne. Seiner Ansicht nach mußte man vielmehr den Leuten zeigen, daß ein Philosoph durchaus imstande ist, gelegentlich als Mann von Welt aufzutreten. Seine schlanke Größe gestattete ihm eine elegant nachlässige Körperhaltung, die ein wenig an Lord Balfour gemahnte, und er wußte, daß er mit seinen feinen und blasierten Gesichtszügen im ganzen recht gut aussah. Sein für unser liederliches Zeitalter ein wenig altmodischer Klapphut hielt seine unruhigen langen Finger in Zaum, und seine schöne goldene Uhrkette war offensichtlich ein Familienerbstück.

      Das ganze Hotel Savoy hatte sich Sir Bussy zur Verfügung gestellt. Das gesamte Personal des Hauses war an dem Abend seine Dienerschaft. In ihren Kniehosen aus grauem Plüsch und ihren gelben Westen sahen die Leute wie Bediente einer altadeligen Familie aus. In der Garderobe traf Mr. Parham Sir Titus Knowles mit der mächtigen Stirn, der sich eben eines außerordentlich kleinen steifen Hutes und eines riesigen Abendmantels entledigte.

      »Hallo!« sagte Sir Titus. »Sie hier?«

      Mr. Parham nahm den Ausruf weiter nicht übel. »Wie man sieht«, antwortete er.

      »Ah!« sagte Sir Titus.

      »Marke ist nicht nötig, Sir Titus«, sagte der Garderobier. »Wir kennen Sie ja.«

      Sir Titus verschwand mit lächelndem Gesicht.

      Mr. Parham jedoch erhielt eine Marke für seinen Überrock.

      Er schob sich durch die Herren, die auf ihre Damen warteten, und befand sich alsbald inmitten einer blendenden Menge von lieblichen und außerordentlich teuer aussehenden Frauen mit schimmernden Armen,