Der Kampf der Balinen. Kathrin-Silvia Kunze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin-Silvia Kunze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738002126
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wasserscheu, wenn es darum ging, zu baden. Trismon lachte und griff extra noch einmal in den See, um Neminn noch ein paar Tropfen hinterherzuschicken. „Hier wird nicht rumgealbert“, lachte Gleah, „schließlich sind wir in einer wichtigen Angelegenheit unterwegs!“. Trismon richtete sich lachend auf und lies seinen Blick über die Lichtung hinweg, zu den Baumkronen und von dort aus zum Horizont gleiten. Es lag noch ein weiter Weg vor ihnen. Wenn Trismon sich nicht irrte, würden die Wälder in Richtung Süden immer weniger werden. Endloses Grasland würde sich dann wieder vor ihnen auftun und davor graute Trismon schon jetzt. Ewig weite Grasflächen, nur abgelöst durch Moor oder Sumpf, was dann wiederum gefährlich sein konnte. Weiter nach Süden kannte Trismon sich nicht aus. Dort war er noch nicht gewesen. Deshalb würde er dafür auf das alte überlieferte Wissen der Balinen zurückgreifen müssen. Es wurde von Generation zu Generation unter den Gebietserkundern weitergegeben und umfasste in alle Himmelsrichtungen den belebten und unbelebten Grund. Immer wieder wurde es durch neue Erkundungen aufgefrischt und erweitert. Und Trismon wusste, dass er sich darauf verlassen konnte. Darauf und natürlich auf seine eigenen Fähigkeiten sich in der Natur durchzuschlagen und zu orientieren, wie er es auf seinen bisherigen Reisen schon zu genüge getan hatte. Ein lautes Summen drang an Trismons Ohr und riss ihn aus seinen Gedanken. Er wand den Blick wieder zum See und sah dort eine Ansammlung bunter, kleiner Insekten, die sich scheinbar über der Wasseroberfläche zu einem wilden Tanz verabredet hatten. Einige jagten mit großer Schnelligkeit von einer Seite des Sees zur anderen. Die meisten jedoch schwebten in einer kleinen bunten Wolke in der Mitte des Sees summend und sirrend auf und ab. Sie zunehmende Wärme der Sonne, die nun von einem nahezu wolkenlosen Himmel herab schien, hatte scheinbar auf die Insekten eine anregende Wirkung, denn ihr Tanz wurde immer ausgelassener und schneller und ihr Gesang immer höher und lauter. Trismon war ganz gefangen von diesem Anblick. Plötzlich jedoch tauchte aus dem Wasser ein großer Vogel auf, öffnete seinen langen Schnabel und schnappte sich eine große Menge der bunten Tänzer, bevor er sich zurück in den See fallen lies! Das Wasser klatschte so hoch, dass es bis ans Ufer spritzte und dabei Neminn nass machte. Dieser drehte sich unvermittelt um und warf Trismon einen bösen Blick zu. Trismon jedoch achtete gar nicht darauf, denn er war zu begeistert von dem, was er eben hatte mit ansehen dürfen. „Ein Seevogel!“, rief er etwas verspätet, aber freudig aus. Er hatte diese schlanken Tiere, die unter Wasser lebten und nur zum Atmen hin und wieder auftauchten, bisher nur einmal gesehen. Als er auf einer seiner Reisen in einem großen See gebadet hatte. Doch da hatte er das Tier nur kurz unter der Wasseroberfläche an ihm vorbeijagen sehen. Wie ein Blitz war es durch das Wasser geeilt. Ebenso schnell und ebenso blendend hell, denn die Sonne hatte seinen weißen, glatten, feuchten Federleib beschienen. Wie gerne würde er einmal ihre großen Verwandten, die Meervögel sehen! Es hieß, dass sie noch größer seien als ein Limtaan! Doch leider blieb Trismon keine Zeit weiter davon zu träumen. Denn Gleah rief: „Kommst du jetzt weiter mit oder ist das weiche Moos doch zu verlockend und du schläfst gleich hier an Ort und Stelle im Stehen ein?“ Gleah hatte bereits aufgesessen und fuhr mahnend fort: „Wir müssen noch ein großes Stück Weg schaffen und dann bei Dämmerung einen geeigneten Platz zum Schlafen finden.“ Sie verlagerte ihr Gewicht, woraufhin ihr Reittier seinen mächtigen Körper behäbig nach links wand. Als ob ich das nicht selber wüsste, dachte Trismon belustigt. Doch er wollte ihr gerade zustimmen, denn in der Kürze der Zeit hatte er bereits erkannt, dass es einfach das Beste war, Gleah immer zuzustimmen, denn sie schien es einfach zu genießen, anzuführen und zu kommandieren. Aber Trismon kam nicht mehr dazu. In dem Moment, als er Neminn gerade bestiegen hatte, brach eine Gruppe von Tieren, die Trismon noch nie gesehen hatte, mit merkwürdig langen Köpfen und glattem, kurzem, braunen, glänzendem Fell, aus dem Unterholz hervor und eilte mit großer Schnelligkeit gefährlich nah an ihnen vorbei. Sie stürmten auf den See zu, doch als sie Gleah und Trismon sahen, stoppten sie abrupt ihren wilden Lauf, machten kehrt und stürmten über die Lichtung zurück, in den schattigen Schutz des Waldes. „Pferde!“, sagte Gleah knapp, während Trismon ihnen noch völlig verblüfft hinterher starrte. „Wild, wendig und durch ihre langen Beine auch sehr schnell!“ Trismon blickte interessiert zu Gleah hinüber. „Ich hab mal auf so einem gesessen.“, grinste Gleah und sonnte sich dabei in Trismons bewunderndem Blick. „Allerdings nicht sehr lange.“, räumte sie ein und zuckte mit den Schultern, als sie wenig begeistert erklärte: „Auch als Reittiere geeignet, aber nicht so bequem wie Limtaane!“ Dann gaben die zwei Freunde ihren Tieren Schenkeldruck und verließen die schöne Lichtung. Wehmütig blickte Trismon noch einmal zurück, bevor sie wieder eintauchten in die dunklen, geheimnisvollen Schatten des Waldes. Doch es blieb ihnen keine Zeit zu verweilen, denn der ferne Horizont war ihr Ziel und die Ungewissheit ihr Begleiter.

      23. Kapitel

      Der Abend hatte sich über Melan herniedergesenkt. Die Frühlingsluft wurde nun schnell wieder kälter, war aber eher erfrischend als unangenehm. Im Westen war die Sonne schon lange hinter den endlos weiten Grasebenen versunken. Sie sandte zum Abschied ihre Strahlen hinauf zum klaren Himmelsrund, das noch ein letztes Mal in hellem rot aufleuchtete, um dann zu verlöschen. Dunkelheit senkte sich über den Festplatz vor der Stadt. Das Licht war gegangen und machte Platz für neues Licht. Die Sterne erwachten im tiefdunklen Blau und begannen, noch ganz verschlafen, zaghaft zu glimmen. Verwundert rieben sie sich die Augen und blinzelten neugierig hinab, als die den prachtvoll geschmückten Festplatz dort unten sahen. Denn heute wurde das wichtigste Fest der Balinen begangen. Das Fest des neu beginnenden Kreises. Dem Symbol der Balinen für den immer währenden Kreislauf des Lebens, aus Werden und Vergehen. Es war der Balinen liebstes Fest und jeder hatte bei den Vorbereitungen mitgeholfen, von den Kindern bis zu den Alten, jeder hatte sich bemüht! Die Holztische waren mit weißem Leinen überdeckt und so zusammengestellt, dass sie viele kleine, völlig geschlossene Kreise bildeten. Auf den Tischen verliefen in der Mitte bunte Blumengirlanden, deren Anfang und Ende miteinander verbunden waren. Wenn man erst einmal darauf gekommen war, so fiel auf, dass sich überall auf dem Festplatz die Form des Kreises wiederfinden lies. So war etwas das Brot in großen, runden Laiben gebacken worden und der Kuchen in verschlungenen, runden Zöpfen. Die Tische bogen sich unter den vielen guten Speisen. Es gab Töpfe voll sonnengelber Butter oder aufgetürmter, schneeweißer Sahne. Schalen bis zum Rand gefüllt mit süßem duftendem Honig oder angefüllt mit gedörrtem oder eingelegtem Obst. Auf großen Platten lag gedünstetes und ein gebackenes Gemüse. Neben den Trinkbechern aus Ton standen Krüge voll mit frischer Milch oder gepressten Obstsäften. Überall waren Holzhaufen aufgeschichtet worden. Ein besonders großer lag genau in der Mitte des Festes. Die Übrigen verliefen in einigem Abstand voneinander rings um den Außenrand des Platzes herum und bildeten damit ebenfalls einen großen Kreis. Und kaum war die Dunkelheit hereingebrochen, da wurde auch schon das Hauptfeuer in der Mitte entzündet. Seine blaugelben Flammen schossen empor und überfluteten den Platz mit einer Welle aus Licht und Wärme. In seinem lodernden, wilden Glanz, strahlte es selbst wie ein heller Stern. Und den Balinen galt dieses Feuer auch als eine Entsprechung der Himmelslichter. Als ein Symbol für die immerwährende Verbindung zwischen Himmel und erdigem Grund. Mit diesem Akt hatte das Fest begonnen. Die Balinen standen einzeln oder in kleinen Gruppen über den gesamten Platz verteilt. Überall hörte man angeregte Gespräche und fröhliches Lachen. Alle freuten sich über die Rückkehr des Frühlings, die sie heute feiern wollten. Seline stand unmittelbar neben dem Hauptfeuer, dass sie soeben entzündet hatte. Sie trug ein schlichtes, bodenlanges, weißes Leinenkleid und ihre Füße waren nackt, direkt verbunden mit dem taufrischen Gras und dem erdigen Grund. Ihr rotes Haar hatte sie mit einem dicken, weißen Band in vielen verschlungenen Knoten hoch gebunden. Um den Hals trug sie eine Kette aus in Baumharz kristallisierten bunten Frühlingsblumen. Ihre großen grünen Raubtieraugen glitzerten im Schein des Feuers. Die übergroße Aufregung, die sie bis eben noch gespürt hatte, weil dieses das erste große Fest war, das sie leitete, war völlig verflogen. Denn sie nahm die Freude der Anwesenden in sich auf. Sie atmete die kühle, klare Frühlingsluft, die der Abendwind zu ihr hinüberwehte, spürte die Wärme des Feuers auf ihrer Haut und roch den würzigen Geruch von brennendem Holz. Das alles gehörte zusammen, dachte sie. Alles war immer und zu jeder Zeit miteinander verbunden. Das Leben und der Tod. Der Baum, der als Sprössling geboren wurde und dessen Holz nun im Feuer brannte für das Leben anderer. Die Dunkelheit um sie her, überall durchwirkt vom Licht. Seline verspürte nun in sich tiefe Ruhe und Frieden. Damit war sie geistig frei, um den Allliebenden Muttervater