„Zwoa Pinten und zwoa Glas und dann no drei Cola!“
Michael und Kai mussten schmunzeln, als sie hörten, dass der Vogel seinen bayerischen Dialekt nicht einmal in der fremden Sprache ablegen konnte. Allerdings war ihnen nicht ganz klar, was er mit Pinten und Glas gemeint hatte. Die Erwachsenen begannen eine Unterhaltung und die Kinder sahen sich in der Bar um. Sophie entdeckte eine Tür, die zu einem Nebenraum führen mochte, und fragte sich, ob dort der erwähnte Billardtisch aufgestellt sei.
Nach einer Weile meldete der Barkeeper, dass die Getränke fertig seien. Hans zückte seinen Geldbeutel und drückte ihn Michael in die Hand, nachdem dieser der Bar am nächsten saß.
„Hol uns amal bittschön die Getränke.“
Unsicher nahm Michael den Geldbeutel entgegen und ging hinüber zur Bar. Er reichte dem Mann hinter dem Tresen einen Zwanziger, dann wartete er ab, bis er das Wechselgeld erhalten hatte. Er steckte die Börse in seine Hosentasche und griff nach den beiden größeren Biergläsern. Als er sich umdrehte und gerade auf den Tisch zugehen wollte, rief ihn der Barkeeper zurück. Gleichzeitig erhob sich der Vogel.
„Na, de darfst net hoin, de san ja no gar net fertig!“
Michael lief rot an. Er verstand nicht, brachte die beiden Gläser aber dennoch artig zur Theke zurück.
„Bring erst amal die Cola.“
So schnappte sich Michael zwei Cola-Gläser, brachte sie Sophie und Kai und holte sich dann sein eigenes Glas. Zurück am Tisch reichte er Hans den Geldbeutel.
„Des kannst natürlich net wissen. A Guinness braucht a Zeit. Da wird erst a Teil eingschenkt, na muaßt as steh lassen. Und nacha Zeit, wenn’s reif is, kommt da Schaum om drauf. So, jetzt setz di hie, des Bier hoi ma späta!“
Nachdem ihm der Vogel spitzbübisch zulächelte, fühlte sich Michael wieder etwas besser. Sophie grinste, dann nahm sie einen Schluck von ihrer Cola.
„Was waren das eigentlich für seltsame Menschen da draußen...?“, wandte sich Frau Wagner fragend an ihre Gastgeber.
„Des san Tinker!“
Der Vogel machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Tinker?“
„Jo mei, Zigeina hoit!“
„Die Tinker sind ein fahrendes Volk“, ergänzte Louise. „So ähnlich wie die Zigeuner auf dem Kontinent. Allerdings mit einem großen Unterschied: Es sind Iren!“
„Und das heißt?“
„Mit Zigeunern bezeichnet man üblicherweise Angehörige der Roma und Sinti. Das sind eigene Völker, dunkelhäutigen Typs. Mit denen haben unsere Tinker nichts gemein. Das sind eigentlich Iren wie alle anderen auch. Nur dass sie eine ganz eigene Lebensweise haben. Sie haben meist keinen festen Wohnsitz. Deshalb auch diese Campingbusse.“
„Und arbeitsschei san’s a!“
„Na, na, Hans! Das kannst du so wirklich nicht verallgemeinern.”
„Klar kann i! Logisch! Oder hast du je ein von dene Tinker bei a ehrlichn Arbeit dawischt?“
Louise seufzte hörbar auf. Ihr wurde es anscheinend zu mühselig, ihrem Mann ständig zu widersprechen. Herr Wagner, der es bemerkte, lenkte daher ab und brachte ein anderes Thema zur Sprache. Wenig später wurden sie von einem Ruf des Barkeepers unterbrochen.
„Jetz kemm mas Bier hoin!“
„Das macht jetzt aber der Kai“, brauste Michael auf, der sich kein zweites Mal blamieren wollte. Kai hingegen machte es nichts aus. Er sah ja, dass die Biergläser randvoll gefüllt waren. Die beiden größeren Gläser stellte er Michaels Vater und Hans hin, dann holte er die Kleineren.
„So, des san jetz die Pinten. Des is mehr wia a hoiba Lita. Des is für die Mannsbilda!”
Als Kai die anderen Gläser der Mutter und Louise servierte, ergänzte Hans noch:
„Und des nennt ma Gläser, für die Weiberleit! Also, Slontscha!“
Mit diesem Wort erhob der Vogel sein Glas. Die anderen taten es ihm nach, sahen ihn aber gleichzeitig fragend an.
„Slontscha is gälisch, des heißt Prost! Kannst dir übrigens leicht merka. Des klingt wie s’langt scho auf bayerisch!“
Er lachte herzhaft auf, dann setzte er das Glas an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Die anderen taten es ihm nach und die Kinder tranken von ihrer Cola.
„Und? Schmeckt’s eich?“
Der Vater nickte wohlwollend, während seine Frau ein wenig das Gesicht verzog. Hans lachte noch einmal.
„Jo, des is hoit a ganz anders Bier als mia in Bayern hom!“
Damit setzte er gleich zu einem weiteren tiefen Zug an. Als er das Glas abgestellt hatte, meinte Kai, es sei der richtige Augenblick, nach dem Billardtisch zu fragen. Hans deutete auf die zweite Tür des Raumes:
„Glei dahinta find’st den Billardtisch. Vui Spaß!“
„Ist das okay, Mama?“
Michael hatte sich schon erhoben.
„Ist schon in Ordnung. Geht nur.“
Sophie trank nur rasch ihre Cola aus, dann folgte sie den beiden Jungen.
„Wartet auf mich!“
Die Kinder traten in einen großen, karg eingerichteten Raum, der von Neonröhren unangenehm grell beleuchtet wurde. Abgesehen von einer alten, mit Leder bezogenen Bank stand in dem Raum einzig ein großer Billardtisch. Michael und Kai, die in München schon einige Male Billard gespielt hatten, griffen gleich nach den Kugeln, um die Startstellung aufzubauen. Sophie hingegen ließ ihren Blick schweifen und entdeckte dabei eine weitere Tür.
„Ich muss mal...“, raunte sie ihrem Bruder zu, der sich herzlich wenig für seine Schwester interessierte. Dann verschwand sie.
Sophie fand sich in einem engen Gang wieder. Zwei Türen führten eindeutig zu den Toiletten, während eine dritte Tür – so vermutete Sophie – ins Freie führen müsste. Aufgeregt legte sie ihre Hand auf die Klinke.
Hoffentlich ist nicht abgesperrt!
Sie hatte Glück. Die Tür ließ sich ohne Probleme öffnen. Tatsächlich führte sie ins Freie. Wie Sophie sogleich erkannte, befand sie sich nun auf der Rückseite des Gebäudes. Vor ihr versperrten Bäume und Büsche den Weg zum Nachbargrundstück. Doch man konnte entlang des Hauses bis zur Schmalseite gehen. So kam Sophie schließlich zur Vorderseite.
Ihr Herz raste, während sie langsam an der Wand entlang ging. Kaum hatte sie den Vorplatz erreicht, da stürmte ihr auch schon Hank entgegen. Sophie blieb stehen und begrüßte den freudig erregten Hund.
„Ist das deine Familie?“
Sophie zuckte zusammen. Ian stand direkt neben ihr. Sie nickte.
„Nicht viel los bei Gunnings. Du langweilst dich wohl?“
Sophie nickte wieder, brachte aber kein Wort heraus.
„Willst du ein bisschen Spazieren gehen?“
Ihr Herzschlag verdoppelte sich. Sie wagte nicht aufzusehen, sondern kümmerte sich noch intensiver um Hank.
„Nicht weit, keine Angst. Ich kann dir von Irland erzählen, wenn du möchtest...“
Sophie nahm ihren ganzen Mut zusammen, erhob sich und sagte:
„Okay, gehen wir.“
Sie schlenderten die Landstraße entlang. Hank rannte voraus und schnüffelte mal diesseits, mal jenseits der Straße in den Gebüschen. Dann kehrte er wieder zurück, umrundete sein Herrchen, ließ sich von Sophie kraulen und spurtete wieder davon.
Ian