GMO. Andreas Zenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Zenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847606734
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meinte der Dicke wieder. „Die öffentliche Meinung zu GMO-Saaten ist zurzeit nicht günstig. Weltweit gibt es Proteste, denken sie nur an die Pleite mit der Monsanto BT-Baumwolle in Indien und jetzt auch bei uns.“

      Die Männer der Gruppe nickten zustimmend.

      „Es hat schon wütende Demonstrationen der Baumwollfarmer vor dem Landwirtschaftsministerium gegeben. Wir konnten die Leute nur beruhigen, indem wir ihnen großzügige Subventionen zugesagt haben.“

      „Aber“, meinte Dick Rippley, „das ist bei unserem Mais eine ganz andere Sache. Er wächst wie jede andere Maissorte, er ist nicht resistent gegen Schädlinge wie Monsantos MON 810. Wer sollte auf die Idee kommen, wir könnten damit...“

      Die letzten Worte verstand Cielo nicht, sie gingen im allgemeinen Gemurmel unter.

      „Stellen Sie sich vor, die mexikanische Regierung erführe von unseren Versuchen“, posaunte der Dicke laut heraus, „ein handfester politischer Skandal wäre die unausweichliche Folge.“

      „Wir müssen uns darauf verlassen, dass kein Sterbenswörtchen nach außen dringt“, mischte sich ein drahtiger jüngerer Mann mit Bürstenhaarschnitt ein. Sonst müssten wir von uns aus tätig werden.“

      „Selbstverständlich“, versicherte Cielos oberster Chef, „nicht einmal unsere Mitarbeiter wissen, woran wir in Wirklichkeit forschen. Die meisten glauben, wir hätten eine besonders schädlingsresistente Sorte Mais entwickelt.“

      Die Männer lachten, als hätte Rippley einen besonders guten Witz zum Besten gegeben.

      „Im weitesten Sinne ist es auch so“, grinste der Staatssekretär. Beifälliges Lachen.

      „Erinnern Sie sich, was die stellvertretende Landwirtschaftsministerin Catherine Bertini 1996 vor der UNO gesagt hat: ‚Nahrung ist Macht! Wir setzen sie ein, um Verhalten zu ändern. Manche mögen das Bestechung nennen. Wir entschuldigen uns nicht‘“, zitierte ein Glatzköpfiger mit Stiernacken. „An dieser Doktrin hat sich nichts geändert.“

      „Nur die Methoden wurden verfeinert“, lachte der Laborleiter. Die Herren nickten zustimmend.

      „Wir sind stolz darauf, an diesem drängendsten Problem der Menschheit mitarbeiten zu dürfen“, verkündete Rippley mit stolzgeschwellter Brust.

      Es ist eine Frage der Verteilung“, meinte ein aalglatter Grauhaariger. „Wir könnten in kurzer Zeit genügend Maissamen herstellen, um die wichtigsten Länder damit zu beliefern.“

      „Damit müssen wir warten, bis wir das OK von ganz oben bekommen“, meinte der Dicke.

      „Schade, dass die Russen so wenig Mais essen“, grinste ein weiterer Besucher, der sich mit der Hand über die schwitzende Stirn fuhr.

      „Darf ich die Herren zu einem kleinen Imbiss einladen?“, fragte Rippley.

      „Eine glänzende Idee“, pflichtete der Staatssekretär bei, „vor allem muss ich etwas trinken, diese Hitze ist mörderisch. Dabei können wir uns in aller Ruhe über die weitere Förderung des Projektes unterhalten.“

      „Vielleicht sollten wir in dieser Sache mit dem Verteidigungsministerium Kontakt aufnehmen“, gab einer der Beamten zu bedenken. „Ich könnte mir vorstellen, dass das biologische Forschungslabor Edgewood Chemical Biological Center in Maryland ein großes Interesse an der Entwicklung dieser Maissorte hat.“

      „Eine gute Idee“, rief der Dicke aus. „Sie verfassen mir ein Memo an den Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Aber bitte streng vertraulich. Wir wollen doch diese einmalige Züchtung nicht im Vorfeld diskreditieren.“

      Die Gruppe verließ heftig diskutierend das Gewächshaus. Sie hatten Cielo nicht entdeckt, die sich hinter einem der Gevierte mit hohen Mais Stauden versteckt hielt. So intensiv beschäftigten sie sich mit ihren Gedankenspielchen. Die Sicherheitsschleuse schnappte hinter dem letzten Besucher zu. Cielo war alleine. Sie musste sich setzen, ihre Hände zitterten. Sie kam sich vor wie eine Spionin, die jeden Augenblick ertappt und zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Eine ungute Ahnung stieg in ihr hoch. War das, was sie in gutem Glauben tat vielleicht gar nicht harmlos? Was hatte es mit dem Mais auf sich, den sie sorgsam hegte? Irgendein hässliches Geheimnis verbarg sich in den unschuldig wirkenden Maisstauden. Allein sie hatte sich verpflichtet zu schweigen, durfte mit niemandem darüber reden. Und selbst wenn es erlaubt gewesen wäre, wer würde ihr glauben. Über eines war sie sich im Klaren, sollte sie jemandem davon erzählen und es käme heraus, ihren Job wäre sie mit Sicherheit los. Was hätte sie vorbringen können? Etwa: „Necosar züchtet eine Maissorte, die möglicherweise eine militärische Bedeutung hat.“ Welche konnte das sein? Die entscheidenden Worte hatte sie nicht verstanden. Was bewirkte dieser Mais? Fragen über Fragen. In Cielos Hirn wirbelten die Gedanken durcheinander wie welke Blätter im Herbststurm. Der Laborleiter Dr. Ose schien ein netter Mensch zu sein, kaum zu glauben, dass er in eine schmutzige Sache verwickelt war. Cielo beschloss, den Mund zu halten. Ohne eindeutige Fakten könnte sie nichts ausrichten. Aber sie wollte die Augen offen halten und vorsichtig versuchen mehr über das geheimnisvolle Forschungsprojekt in Erfahrung zu bringen. Das Halbwissen lastete schwer auf ihrer Seele. Alle Mitarbeiter hatten sich schriftlich verpflichten müssen, über die Vorgänge im Labor absolutes Stillschweigen zu bewahren. Trotz ihrer Heirat mit Heinrich fühlte sich Cielo im Grunde ihres Herzens als Mexikanerin. Sie teilte die Ängste vieler ihrer Landsleute, fühlte sich in den Vereinigten Staaten nur geduldet. Zumal sie in den USA auf eine völlig andere Mentalität gestoßen war, die meilenweit von ihrer Kultur entfernt war. Sicher würde man sie ausgeweisen, wenn man sie nicht sogar vor Gericht stellte würde. In welch einen Albtraum war Cielo da unversehens hineingeraten.

      Den Rest des Arbeitstages verbrachte sie in sich gekehrt. Jedes plötzliche Geräusch, wie das Aufschwingen der Schleuse, erschreckte sie. Es fiel ihr schwer sich auf die einfachsten Handgriffe zu konzentrieren. Früher hatte sie sich über ihre Arbeit keine Gedanken gemacht. Warum auch, es war ein Job wie jeder andere, so schien es jedenfalls. Sie wirkte sogar manchmal zufrieden mit dem was sie tat.

      Um 5:00 Uhr wartete Heinrich wie versprochen vor dem Hauptportal der Firma. Er erzählte begeistert über seine neuen Entwürfe und berichtete weitschweifig von den baulichen Details seiner Planung. Ihm fiel nicht auf, das Cielo heute verschlossener als sonst neben ihm saß. Sie hörte ihm nur halb zu, musste sich zwingen nachzufragen, was er mit stillem Vorwurf enttäuscht zur Kenntnis nahm.

      „Entschuldige“, meinte Cielo, „ich hatte einen anstrengenden Tag.“ Gekränkt verstummte er eine Weile.

      „Möchtest du reden?“, fragte er schließlich.

      „Nicht jetzt, lass mir Zeit.“

      Sie dachte an ihre Verschwiegenheitspflicht und es schien ihr riskant, Heinrich ins Vertrauen zu ziehen. Außerdem, was wusste sie schon. Vielleicht war alles viel harmloser, als sie vermutete, beruhigte sie ihr schlechtes Gewissen. Das ungute Gefühl, welches sie nicht benennen konnte, blieb und peinigte sie, beherrschte ihre Gedanken.

      Als sie das Haus betraten, stolperte Heinrich über seine Reisetasche, die er achtlos in die Garderobenische geworfen hatte. Das rote Buch fiel ihm wieder ein.

      „Ich räume schnell meine Sachen weg“, sagte er beiläufig zu Cielo, die sich gleich in der Küche zu schaffen machte, um das Essen vorzubereiten. Beim Gemüse schnippeln konnte sie ihre wirren Gedanken ordnen und zur Ruhe kommen. Heinrich angelte das Päckchen aus der Tasche, legte es auf den Schreibtisch im Arbeitszimmer. Jenen Schreibtisch, an dem sein Vater gesessen hatte, nach dem Tod der Mutter mit seiner Flasche Bourbon. Das rote Buch schimmerte matt aus dem grauen Packpapier. Heinrich räumte die Wäsche in den Keller, hängte sein Sakko auf einen Bügel und suchte einen passenden Spanner für die zerknitterte Hose.

      „Soll ich dir helfen?“, rief er in Richtung Küche.

      Cielo schnitt gerade die letzte Tomate, musste nur noch die Empanadas in den Ofen schieben.

      „Zu spät, in einer halben Stunde können wir essen.“

      Heinrich zog sich ins Arbeitszimmer zurück, er ließ sich in den Schreibtischsessel fallen