Afghanistan Dragon. Norbert F. Schaaf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert F. Schaaf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844211894
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ohne sich Gedanken über das zu machen, was um sie herum vorging?

      Sie bat ihn, sich noch ein wenig zu gedulden, während sie auf die Verbindung wartete. Mit einem freundlichen Lächeln, das nicht von den Augen ausging, die hinter den dunklen Gläsern versteckt waren, sondern von den Mundwinkeln, die sich leicht verzogen. Ein Geschöpf dieser Stadt. Sollte man aus ihrem modernen Kleid den Schluss ziehen, dass sie leichtfertig war? Oder hatte sie sich einfach einer Lebensform angepasst, die in Mode gebracht worden und gleichzeitig verfemt war? Waren Kleid und Brille, das offenbar von einem geschickten Friseur gepflegte schwarze Haar und das freundliche Lächeln mehr eingeübte Routine als Ausdruck ihrer eigenen Denkweise? Man müsste länger hier leben, dachte er. Man müsste die Seele dieser Menschen erforschen, wenn es sie unter der Oberfläche von Chrom und Neon, von Chicagoer Kattun und Gesichtscreme noch gab. Ich bin sicher, es gibt sie. Doch es wird schwer sein, sie zu entdecken.

      Sechs Stockwerke über der Halle betätigte in diesem Augenblick ein etwa fünfzig Jahre alter, untersetzter US-Amerikaner, der hinter einem schweren Schreibtisch saß, einen kleinen Schalter. Auf einem der vier Bildschirme, die in die Wand eingebaut waren, erschien das Bild des Professors, im Stahlrohrsessel sitzend. Der Amerikaner betrachtete den Besucher eine Weile. Das Büro, in dem er sich befand, war von einer ausgezeichneten Klimaanlage gekühlt. Die Einrichtung bestand aus Teakholz. Neben einer Anzahl technischer Einrichtungen war das Zimmer noch mit bequemen Sesseln und einem kleinen runden Tisch ausgestattet. Fotografierte Landschaften aus den Vereinigten Staaten schmückten die Wände und verliehen dem Raum eine Nüchternheit, die durch die beiden gekreuzten Sternenbanner hinter dem Schreibtisch unterstrichen wurde.

      „Schicken Sie ihn herauf“, sagte der US-Amerikaner in die Sprechanlage. Und schaltete das Bild ab. Der Mann wirkte genau so nüchtern wie seine Umgebung. Er zog sein schwarzweißkleinkariertes Sakko, das er einem eingebauten Garderobenschrank entnahm, über das blaugestreifte Hemd mit dem Seidenschlips in rötlichen Farben. Mechanisch griff er nach einer Zigarre, doch zündete er sie nicht an, sondern trat an eines der großen Fenster und blickte durch die Scheiben auf die Straße hinunter. Die Hände auf den Rücken gelegt, wippte er leicht mit den Fußspitzen auf und ab. Eine schlechte Angewohnheit noch aus seiner Ausbildungszeit. Er war weder erregt noch verärgert, er war auch durch den Besuch nicht überrascht. Mr. Oates, leitender Resident der Central Intelligence Agency in Kabul, hatte den Herrn Professor Beat Hodler erwartet. Ein Wissenschaftler, Mediziner. Schweizer. Mitglied der internationalen Kommission für die Bekämpfung des Drogenmissbrauchs mit Sitz in New York. Keiner von den eifervollen jungen Karriereleuten. Fünfzig vielleicht. Er wirkte gelassen, soweit man das auf dem Bildschirm zu erkennen vermochte. Jedenfalls ein nicht mehr junger Mann, ohne die Illusion, Rom an einem Tag zu erbauen. Nun ja, man hatte solche Leute aus internationalen Gremien oft genug erlebt. Dieser hier würde auf die Freuden der Kabuler Badehäuser verzichten, er würde auch kaum in die Gefahr zu bringen sein, über dem Lächeln einer Barfrau im UN-Quartier sein Anliegen zu vergessen. Vermutlich würde er nicht einmal viel Zeit damit vergeuden, nach echten Antiquitäten zu suchen; ein paar Souvenirs vielleicht für die Frau oder die Töchter zu Hause. Dinge, die zwischen dem Touristenkitsch lagen und dem teuren, kunsthistorisch wertvollen Sammlerstück. Wir werden sehen.

      Der Chefagent drehte sich um, als die gepolsterte Tür mit der schlichten Aufschrift `ABRAHAM TRACY OATES´ von seiner Sekretärin geöffnet wurde. Miss Douglas war noch nicht lange in Kabul. Wie die meisten Neulinge hatte sie sich erst an das Klima gewöhnen müssen. Gegenwärtig war sie dermaßen erkältet, dass sie näselnd sprach, was nicht gerade dazu beitrug, ihre Attraktivität zu fördern. Miss Douglas war ein farbloses, molliges, großbrüstiges, kleingewachsenes Geschöpf, dessen Wert in seiner absoluten Zuverlässigkeit lag. Man war nicht einmal genötigt, ihre Liebhaber zu überprüfen, sie hatte keine. Miss Douglas verbrachte ihre Freizeit gewöhnlich mit dem Hören von Schallplatten. Klassische Musik in guten Zeiten, Gospel in schlechten.

      „Sir, dies ist Professor Beat Hodler“, flötete sie.

      Oates verkniff sich ein Lächeln. Es klingt wie eine gestopfte Trompete, dachte er. Oder wie ein Saxophon. Doch er brachte es fertig, ihr mit ernster Miene zuzunicken, bevor er Hodler die Hand entgegenstreckte. „Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.“

      Er führte den Besucher zu dem kleinen runden Tisch und ließ sich dort mit ihm nieder. Bevor er das nächste Wort sagte, öffnete er eine große silberne Zigarettendose und hielt sie Hodler hin. Als dieser ablehnte, stellte er die Dose wieder zurück, und zwar genau auf den Kontakt, der das Tonband auslöste. Kurz darauf erschien Miss Douglas mit einem Tablett, auf dem zwei Gläser Limonade standen, eine Flasche Bourbon sowie ein Eiskübel.

      Hodler blickte der Sekretärin nach, die das Zimmer umgehend verließ, und er erinnerte sich verwundert, dass die Empfangsdame in der Halle goldfarbige Härchen an ihren gebräunten Beinen gezeigt hatte. Miss Douglas trug undurchsichtige Nylonstrümpfe. Welch unterschiedliche Geschöpfe leben doch zuweilen unter einem Dach! Hodler wandte sich Oates zu, der bereits die Bourbonflasche entkorkte. „Bitte nur einen symbolischen Schluck, Mister Oates“, bat der Schweizer. „Ich bin nicht gewohnt, Alkohol zu trinken.“

      Er stieß mit Oates an, sich wieder einmal über die US-amerikanische Gewohnheit wundernd, mit Schnapsgläsern anzustoßen, und begann: „Sie sind gewiss auf meinen Besuch vorbereitet worden?“

      Oates nickte. „Ich wusste, dass Sie kommen würden.“

      „Man hat mir geraten, Sie aufzusuchen“, erklärte Hodler. „Genauer gesagt, es war der Sekretär unserer Kommission, der mir riet, Ihre Hinweise an Ort und Stelle zu hören.“

      Oates ließ ihm Zeit, zu erläutern, aus welchem Grund er nach Afghanistan gekommen war. Hodler tat es mit einer Knappheit und Präzision, die Oates überraschte. Dieser Mann war ganz sicher kein schrulliger Gelehrter. Er nahm seine Aufgabe ernst. So musste man zumindest sein Auftreten werten.

      „Sie wissen, dass sich unsere Kommission im internationalen Rahmen mit der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs beschäftigt“, legte Hodler dar. „Dabei haben wir nichts mit den Polizeimaßnahmen und der vom Zoll getragenen Fahndung zu tun. Wir analysieren die Art der Drogen, wir stellen fest, woher sie kommen und warum. Auf der Grundlage dieser Kenntnisse versuchen wir dann, über andere Institutionen Abhilfe zu schaffen. Unserer Meinung nach war bereits der Anbau der Droge ein Phänomen, das ganz konkrete, jeweils verschiedene soziale Ursachen hat. Hier setzen wir an. Wir forschen, und wir schlagen Veränderungen vor, die auf den ersten Blick oft gar nicht in Zusammenhang mit der Droge stehen, die aber doch auf lange Sicht dazu führen können, das Übel an der Wurzel zu bekämpfen.“

      Er verriet Oates damit nichts wesentlich Neues, denn der war von seiner Zentrale bestens informiert worden. Mit einer Miene, die angespanntes Interesse ausdrückte, versicherte er: „Ich werde Ihnen natürlich nach Kräften helfen, Mister Hodler. Wenn Sie mir sagen, was ich für Sie tun kann, will ich zusehen, dass Ihr Aufenthalt hier die Erkenntnisse für Sie bringt, die Sie suchen.“

      Hodler bedankte sich. „Das wird meine Arbeit sehr erleichtern. Wenn Sie gestatten, würde ich gern von Ihnen hören, wie Sie die Lage sehen. Nach unseren Informationen stammt bis zu achtzig Prozent allen Rohopiums, das später in Form von Heroin auf den illegalen Drogenmarkt gelangt, aus Anbaugebieten, die in Afghanistan liegen. Können Sie das bestätigen?“

      „Nicht ganz. Zunächst bin ich skeptisch, was die Menge betrifft. Der Anbau ist hierzulande von den Behörden stark eingeschränkt worden.“

      „Wir haben insgesamt eine Jahresmenge von etwa dreißigtausend Tonnen registriert“, warf Hodler ein. „Zusammengesetzt aus dem Teil, der als Rohopium ausgeführt wird, und dem bereits zu Heroin veredelten Endprodukt.“

      Oates schüttelte den Kopf. Er lächelte verbindlich, als er einschränkte: „Mister Hodler, bei diesen Zahlenangaben wird meist etwas übertrieben. Ich verstehe das, aber wenn Sie Ergebnisse erreichen wollen, sollten Sie sich an die von uns geprüften Fakten halten. Sie entsprechen ungefähr der tatsächlichen Lage.“

      „Sie halten die Jahresmenge, die ich nannte, für zu hoch?“

      „Entschieden“, erwiderte Oates. „Sie würden diese Menge im ganzen Land nicht vorfinden.“

      „Nun