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Eine schwierige Familie. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2016 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-6398-7
18. August 2014
„Herrlich!“ Sophie lehnte sich ein wenig weiter auf dem knarrenden Biergartenstuhl zurück und schob die Sonnenbrille etwas höher. „Kann nicht immer Sommer sein?“
„Du magst doch jede Jahreszeit“, spottete ihre Schwester und nahm einen ordentlichen Schluck Bier. „Ich hab dich schon von raschelndem Laub, knarzendem Schnee und diesem besonderen Hellgrün, wenn die Blätterknospen aufgehen, schwärmen hören.“
Sophie nahm die Brille wieder ab und feixte Fritzi an. „Stimmt ja auch. Jede Jahreszeit ist die Schönste.“"timmt ja auch. Jede Jahreszeit ist die Schönste.em Schnee und diesem besonderen Hellgrün, wenn die Blätter aufgeben höher edrüc
„Du hast wirklich ein glückliches Naturell!“ Fritzi klang fast ein bisschen neidisch, aber Sophie schob das darauf, dass sie eben erst zweiundzwanzig war. Mit zweiunddreißig war man wohl viel mehr mit sich im Reinen…
Zugegeben, nicht jeder. Man konnte bis dahin schon so viele falsche Entscheidungen getroffen haben. Irgendwelche Idioten heiraten, unüberlegt Kinder kriegen, krank werden – obwohl, das machte man ja zumeist nicht absichtlich! – den verpassten Schulabschluss, die ungenutzten Talente oder das falsche Studienfach bereuen, sich verspekuliert oder einfach nie gespart haben… und dann gab es noch alle die, die gar nichts dafür konnten – nie Geld gehabt, gesundheitlich anfällig, im falschen Milieu geboren, ohne Entschlusskraft..
Obwohl, konnte man da denn gar nicht raus, auch wenn man sich anstrengte? Sie kannte alle diese OECD-Studien auch, aber wenn sie an ihre Schulzeit zurückdachte…
Gut, die Reiche-Idioten-Dichte war schon recht hoch gewesen, vor allem bei den Waldstettenern am Leo. Sie dachte alleine schon an diesen Mathematikkurs und gluckste.
„Was ist? Willst du jetzt eine Breze?“
Sophie kehrte in die Gegenwart zurück. „Was? Nein, du weißt doch… aber einen Emmentaler und einen Radi nehme ich gerne. Oder, wenn die diesen Salat haben, den sie manchmal machen – den am liebsten.“
Fritzi schenkte ihr einen leicht genervten Blick und steuerte die Buden in der Mitte des Biergartens an.
Sophies Gedanken kehrten sofort zu diesem Mathekurs zurück - Leistungskurs auch noch! Leute hatten da drin gesessen – nett und doof, blöd und doof, nett und gescheit, die letzte Gruppe war eindeutig die kleinste gewesen. Aber bei denen gab es auch ein paar Leute, die nicht in dicken Villen wohnten, sondern zum Beispiel in der Einfachsiedlung am nördlichen Ortsrand, direkt an der Bundesstraße, die von Augsburg nach Ingolstadt (beides in weiter Ferne) führte.
Und diese Einfachsiedlung aus den frühen Sechzigern war wirklich einfach, Ofenheizung, betonierte Höfe, kein Spielplatz, kein gar nichts… und alle aus dieser Siedlung hatten ein sehr anständiges Abitur gemacht, während die rich kids sich manchmal schon härter getan hatten, auch in den späteren Jahrgängen, bei denen sie manchmal Nachhilfe gegeben hatte. Diesem Florian zum Beispiel – gut, der arme Hund war schlicht und ergreifend strunzdumm gewesen, egal, wie viel Kohle sein Vater hatte.
War Florian nicht letztes Jahr tödlich verunglückt? Und hatte sie sich nicht noch beim Zeitunglesen gedacht: Ferrari haben, aber zu dämlich zum Autofahren? Ganz schön herzlos, aber was konnte man für seine spontanen Kommentare; solange man die Zynismen nicht laut aussprach…
Außerdem hatte sich hinterher ja herausgestellt, dass Florian nichts dafür gekonnt hatte, man hatte ihn von der Straße gedrängt.
Fritzi kam zurück, unter dem Arm eine Riesenbreze, in der einen Hand eine Salatschüssel, in der anderen eine Maß Bier und zwischen den Zähnen ihren Geldbeutel. Sophie beeilte sich, ihr den Salat abzunehmen. Fritzi platzierte Maß und Breze auf dem Tisch und ließ sich aufatmend fallen.
„Puh, ich hab echt gedacht, was mach ich, wenn mir einer den Geldbeutel aus den Zähnen reißt?“
„Hosentasche?“
„Sind bloß Fake. Das sind Jeggings. Nie wieder zieh ich die im Biergarten an! Aber weißt du, wen ich am Brotzeitstand getroffen hab?“
„Sag´s mir, dann weiß ich´s“, antwortete Sophie friedlich und mäßig interessiert und angelte sich Besteck aus dem Krug auf dem Tisch.
„Den Raben!“
„Den Raben…“, wiederholte Sophie verständnislos. „Wer ist das? Ich schwanke zwischen Weißer Rabe und Horrorklassiker.“
„Dumme Nuss! Der Raben!“
„Fritzi! Spielt der irgendwo mit, legt der irgendwo auf, ist er in den Charts oder was? Hab Mitleid mit einer alten Frau und klär mich auf!“
„Der Raben macht ein echt geiles Seminar über das Drama vom Sturm und Drang bis zur Klassik.“
„Ach, ein Professor! Sag das doch gleich. Und warum führst du dich auf wie ein Groupie? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei meinen Profs früher derartig in Anbetung verfallen wäre.“
„Jaja, früher – kurz nach dem Krieg, was? Soo alt bist du jetzt auch wieder nicht. Außerdem ist Raben noch kein Prof.“
Sophie lachte, eine Gabel Salat in der Schwebe. „Ach so! Ein niedlicher Assistent also? Dürfen die nicht bloß Einführungskurse geben? Bist du aus der Phase nicht längst raus?“
„Nee, Assistent ist er auch nicht. Und niedlich – ich weiß nicht. Aber ein toller Lehrer, ehrlich. Den solltest du mal kennenlernen.“
„Wozu das denn? Ich hab mit Literaturgeschichte doch gar nicht so viel am Hut - Fritzi!!“
Zu spät. Fritzi schlängelte sich schon zwischen den Tischen hindurch und verschwand hinter der großen Kastanie. Einen Moment lang erspähte Sophie noch ihr Gestikulieren, dann war gar nichts mehr zu sehen. Resigniert schob sie ihre leere Salatschüssel beiseite und trank einen Schluck Apfelschorle. Manchmal war Fritzi wirklich zu albern…
Schließlich kam sie zurück, hinter sich einen Mann, der nicht direkt wie ein Rabe aussah. Eigentlich eher ganz normal. Groß, etwas füllig und – als er nahe genug herangekommen war – ziemlich müde.
Sophie lächelte ihn an. „Ich entschuldige mich für mein Schwesterchen. Schleppt Sie hier einfach durch die Gegend…“
„Du sollst nicht immer Schwesterchen sagen“, maulte Fritzi, „ich bin nicht mehr zehn.“
„Ach, tatsächlich?“
Sophie glaubte, ein leises Lächeln auf dem Gesicht von Fritzis Dozenten gesehen haben, und streckte ihm die Hand entgegen. „Sophie Rauch. Irgendwas hab ich falsch gemacht…“
Er ergriff die Hand mit festem Griff. „Benedikt Raben. Grüß Gott. Nein, Sie haben nichts falsch gemacht, Ihre Schwester ist eine sehr gute Studentin und eine sehr nette junge Frau. Eben etwas impulsiv – das Vorrecht der Jugend, nicht wahr?“
„Ein Gespräch wie unter Achtzigjährigen“, schimpfte Fritzi und setzte sich wieder.
„Du hast eben diese Wirkung auf deine Umgebung“, kommentierte Sophie und lud Raben ein, sich zu setzen. Fritzi sprang wieder auf: „Wer will noch ein Bier? Oder was anderes?“
Niemand, aber Fritzi eilte trotzdem davon. Was sollte das nun wieder? Sophie sah ihr noch kopfschüttelnd nach, als Raben auflachte. „Jüngere Geschwister sind schon anstrengend, nicht?“
„Wem sagen Sie das! Sie haben also auch das Vergnügen?“
Er seufzte in komischer Verzweiflung. „Vier Stück!“
„Oh. Beileid oder Glückwunsch? Wie alt?“
„Eher Beileid. Zwischen fünfunddreißig und achtundzwanzig. Das klingt harmloser, als es ist, denn drei davon wohnen immer noch bei