Sind wir nicht alle ein bisschen Plastik?
Aber nicht nur die Babys schweben aufgrund ihres Plastikkonsums und der vielen Chemikalien, die durch ihre Arterien fließen, in Lebensgefahr, warnt der Ernährungswissenschaftler Udo Erasmus: "Ein Liter Plastik nimmt der Durchschnittsbürger im Jahr auf!"
Was, so viel?
Ja. Jeder von uns ist betroffen. Wie stark, zeigt uns Familie Wagner mit ihrem Selbstversuch.
Was für ein Selbstversuch?
Familie Wagner hat es gewagt. Vier Wochen lang ohne Plastik. In der NDR-Reportage »Das Experiment — Leben ohne Plastik« zeigt uns die mutige, siebenköpfige Arzt-Familie aus Hamburg, wie schwer es heutzutage ist, ganz ohne Plastik zu leben.
Zuerst lassen sich alle Familienmitglieder von der Toxikologin Doktor Mareike Kolossa auf sämtliche Plastikschadstoffe untersuchen. Nachdem alle Urinproben abgegeben wurden, wird der Hausstaub analysiert. Dann werden sämtlich Plastikelemente aus dem Haushalt verbannt. Dabei wird der Familie das erste Mal klar, wie abhängig sie von synthetischen Kunststoffen eigentlich ist: die Zahnbürste im Bad, der Stift am Arbeitsplatz, das Spielzeug im Kinderzimmer, der Duschvorhang, alle variablen Behälter, die Brille vom Vater, die CDs, die Musikanlage, der PVC-Boden im Flur, der Lampenschirm, der Radiowecker, alle Cremes, die Zahnpastatube und allgemein sämtliche Flüssigkeiten, die sich in Plastiktuben befinden und genau wie fetthaltige Lebensmittel besonders viele der gefährlichen Weichmacher abgeben, müssen raus. Innenbeschichtungen aus Plastik stellen nämlich ähnlich wie Hausstaub eine besonders hohe Gefahr dar, weil sie unsichtbar sind, so die Toxikologin, die in den Hausstaubproben von Familie Wagner erschreckend hohe Giftstoffwerte finden konnte: "Hier sind die Giftstoffwerte besonders gut messbar", so Kolossa, die darauf hinweist, dass unsere Staubsauger wahre Plastikfänger seien.
Beim Einkaufen hat es Familie Wagner von nun an schwer. Denn "aus hygienischen Gründen dürfen Lebensmittel nicht ohne Verpackung ausgegeben werden", moniert Mama Wagner, die Probleme hat überhaupt noch etwas Essbares im Supermarkt zu finden. "Fragt man an der Ladentheke, bekommt man immer nur gesagt »geht nicht«, weil die Industrie Wert auf Werbung legt."
Aber auch Konservendosen sollte man vermeiden, so die Toxikologin, die in allen Lebensmitteln, die darin aufbewahrt wurden, Spuren von Bisphenol A finden konnte. Weil Lebensmittel in Dosen zur Konservierung extrem stark erhitzt werden, sie meistens keine schützende Schale mehr haben und ihnen vollständige die Luft entzogen wird, nehmen sie die giftigen Substanzen aus der Innenbeschichtung — genau wie der heiße Kaffee aus den To-go-Bechern —, die den Hormonhaushalt beeinflussen und unter anderem mit Fettleibigkeit in Verbindungen gebracht werden, noch wesentlich besser auf. 8
Die weiße Kunstharzschicht im Inneren von Konservendosen ist auch Doktor Eric Houdeau ein Dorn im Auge: "In dem Moment, in dem das Produkt mit dem Kunstharz in Verbindung kommt, ist die Abgabe von Bisphenol A extrem hoch und es kommt zu extrem hohen Belastungen wie zum Beispiel bei Mais" erklärt der Expertem und beschwert sich auch über das alte Recycle-Papier auf dem noch jede Menge Druckfarbe zu finden sei: "Reißen sie sie auf, so dass sie das Innere der Verpackung sehen, dann ist da eine weiße Deckschicht und darunter etwas Grau. Das ist dann das Recyclingmaterial — in diesem Fall (und er deutet mit dem Finger auf einen handelsüblich Verpackung). Das Problem an solchen Verpackungen ist die Druckfarbe, die auf den Karton aufgetragen wird. Und das andere ist, dass zur Produktion des Kartons und der Druckfarbe, beispielsweise altes Zeitungspapier und mehrere Promille an Mineralöl in solche Schachteln gebracht werden (…) Wir haben beobachtet, dass manchmal 10- aber auch manchmal 100-mal mehr von diesem Öl drin is, als toxikologisch als sicher gelten kann. Und dann ist es unser Job quasi Alarm zu schlagen: Hallo das kann so nicht gehen!" 9 "Ich schätze, dass es vielleicht 100.000 Substanzen sind, die von allen möglichen Verpackungen in die Lebensmittel migrieren, in Mengen, die durchaus relevant sein könnten", verdeutlicht der Lebensmittelchemiker Dr. Konrad Grob die Brisanz der Lage.
"Bisphenol A und Phthalate gelangten auch über den Hausstaub genauso in die Innenraumluft und über Hautkontakt in den menschlichen Organismus, wo sie Stoffwechselprozesse beeinflussen und Lernprozesse verlangsamen", so Doktor Mareike Kolossa, die diese beiden Stoffe als »toxikologisch äußerst bedenklich« einstuft. Nach dem vierwöchigen Experiment analysiert sie abschließen: "Wenn man jetzt auf Bisphenol A und Phthalate guckt, dann ist in diesem Studienzeitraum die Belastung um durchschnittlich 30-80 Prozent runtergegangen. Das finde ich ganz beachtlich. Bei den Organophosphaten, Pflanzenschutzmitteln, sind sogar drei von fünf anschließend unter der Nachweisgrenze im Durchschnitt der Familie." 10
Fruchtbarkeitsstörungen, Krebs, Diabetes, Stoffwechselerkrankungen, Fettleibigkeit und Allergien — Plastik ist eine der Hauptursachen
Ergebnisse, die verdeutlichen wieso jeder von uns ein Kilo Plastik im Jahr zu sich nimmt, ohne es zu bemerken. Kein Wunder, wenn in 14 von 15 Lebensmittelproben die gefährlichen Inhaltsstoffe zu finden waren, von denen wir wissen oder befürchten, dass sie die Fruchtbarkeit stören können, aber auch die Entwicklung, das Verhalten und den Stoffwechsel und so Fettleibigkeit, Diabetes und Allergien fördern. 11
Plastik macht fett?
Ja. Die 3Sat-Sendung »Fettleibigkeit vorprogrammiert« leitet Gerd Scobel passend dazu mit folgenden Worten ein: "Zunehmend stehen Umwelthormone im Verdacht, bereits im Mutterleib Kinder auf Fettleibigkeit hin zu programmieren. Hormonspezialisten konnten zeigen, dass selbst kleinste Substanzen wie Bisphenol A, das in vielen Plastikprodukten enthalten ist, bei Versuchstieren Übergewicht verursachen." 12
Das ist ja Wahnsinn. Ein Grund mehr also, warum immer mehr fette Menschen auf der Straße rumlaufen!
Ein stark unterschätzter Grund sogar. Jeder zweite Mensch in der westlichen Welt ist mittlerweile übergewichtig, jeder sechste fettleibig, doch kaum einer führt sein Übergewicht auf Industriechemikalien zurück, die er selbst oder seine Eltern ihm einverleibt haben. In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der Fettleibigen aber nicht etwas nur wegen chronischer Fehlernährung verdoppelt. Das durchschnittliche Geburtsgewicht von Babys in unserem Kulturkreis steigt auch deshalb kontinuierlich, weil unbewusste Eltern die Umweltgifte aufnehmen und an ihren Nachwuchs abgeben. "Lassen wir mal die Plastikschnuller, das Spielzeug und all die Kunststoffgegenstände in ihrer unmittelbaren Umgebung außen vor und beschränken uns auf die Nanopartikel aus Kunstoffen, die in den ökologischen Kreislauf gekommen sind, reicht allein das aus, um uns krank und fett zu machen", so der Endokrinologe Fred vom Saal. Er konnte bei Mäusen feststellen, dass Bisphenol schon in sehr geringen Mengen Fettleibigkeit verursachen kann und bei trächtigen Weibchen eine Dosis von zwei Mikrogramm pro Kilo ausreicht, damit die Jungen, wenn sie geschlechtsreif werden, sichtbar schwerer sind. "Allein 500 Mikrogramm Bisphenol A werden übertragen, wenn einer einen Kassenzettel auch nur in der Hand hält", warnt der Endokrinologe vor einer der alltäglichsten Gefahren sich zu vergiften, die ebenso von Kopfhören, Tastaturen und Computermäusen ausginge. Sie alle verströmten hormonaktive Stoffe und Weichmacher wie Bisphenol A.
Obwohl der Stoff bei Erwachsenen innerhalb von sechs Stunden in der Leber abgebaut wird, ist er im Blut beinahe aller Menschen nachweisbar. "Ich fand das erschreckend", erstaunt sich die Ärztin für Stoffwechselstörungen, Paula Baillie-Hamilton: "Da bin ich, Top-Akademiker mit Doktortitel aus Oxford, und ich habe noch nie von diesen Chemikalien in der Umwelt gehört und der Tatsache, dass sie hormonelle Störung hervorrufen können war einfach unfassbar!" So ehrlich wie sie, sind die wenigsten. Denn sich als Experte für ein Fachgebiet einzugestehen, etwas darüber nicht gewusst zu haben, ist nicht leicht, bedarf vielmehr großer Stärke. Zu verstehen, dass man solche Dinge trotz Spezialisierung nicht weiß, weil sie an den großen Universitäten