Shandra el Guerrero. Rudolf Jedele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Jedele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737577694
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„Natürlich war das eine ernst gemeinte Frage, hätte ich sie sonst gestellt?“

      Aus der Stimme klang fast so etwas wie Humor mit, die minimalste Andeutung eines Lachens, als sie antwortete:

       „Im Umgang mit Menschen empfiehlt es sich doch immer wieder mal nachzufragen. Da wird schon des Öfteren etwas einfach so daher gesagt, eine Frage gestellt, ohne dass tatsächlich eine logische und vernünftige Antwort erwartet wird. Aber du scheinst da anders zu sein, deshalb meine Antwort:

       Zweiundvierzig Stunden, achtundzwanzig Minuten und vierzehn Sekunden vom letzten bis zum ersten Lidschlag.

       Wird die Antwort so akzeptiert?“

       „Natürlich, sie ist ja präzise genug. Dann brauche ich mich auch nicht zu wundern, dass ich solchen Durst und solchen Hunger habe. Ist unsere Sitzung zu Ende?“

       „Unsere Sitzung ist tatsächlich zu Ende. Du hast die erste Stufe von Mathematik und Geometrie gelernt, du hast ein Grundwissen in Physik, Chemie und Biologie erhalten und mit diesem Wissen solltest in der Lage sein, dir über mancherlei Dinge Gedanken zu machen und sie zu deuten.

       Gehe jetzt hinaus in deine Welt und lerne mit deinem Wissen umzugehen. Wenn du die Tür zu meiner Datenbank hinter dir geschlossen hast, musst du den Schließmechanismus noch einmal aktivieren und deinen neuen Zugangscode festlegen. Merk in dir gut, denn mit diesem Zugangscode kannst du einerseits jederzeit hier her zurückkehren und andererseits auch die Archive der zweiten Stufe öffnen. Diese Archive werden an Hand deines Codes sofort wissen, mit welchem Status du eintrittst und wie sie dich weiter belasten können, ohne dir zu schaden.

       Nun geh hinaus und tu, was das Leben dir abverlangt. Es war schön, mit dir zusammen zu arbeiten.“

      Draußen an der Treppe sah Shandra sich um, ob er vielleicht die Klappe mit Essen und Wasser wieder finden würde, doch nirgendwo gab es auch nur den kleinsten Hinweis, dass es eine solche Klappe jemals gegeben hatte. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als hungrig und durstig wie er war, sich den Weg hinaus zu machen. Verlaufen konnte er sich nicht, es gab nur einen Weg hier her und nur einen, der von dem kleinen Platz mit den drei Türen wieder weg führte. Shandra begann die Treppe hinunter zu steigen und als er unten angekommen war, mochte kaum mehr als eine Viertelstunde vergangen sein. Das schätzte er. Außerdem hatte Shandra die Treppenstufen gezählt und so errechnet, dass er ziemlich genau vierzig Meter Höhenunterschied bewältigt hatte.

      Er war dennoch erstaunt, dass er sich letztendlich dann genau in der Höhle wieder fand, in der er zum ersten Mal das Grün schimmernde Eisenerz gefunden hatte und vor deren Eingang ein gewisser Michael Twitter furch den Biss einer außergewöhnlich großen Kobra den Tod gefunden hatte.

      Draußen war es bereits dunkel, als Shandra aus der Höhle auf den kleinen Vorplatz hinaus trat und hinauf zum Berg Zahara schaute. Was er dort sah, erstaunte ihn noch viel mehr, als die Tatsache, dass er gerade in dieser Höhle den Ausgang aus den Archiven gefunden hatte.

      Am höchsten Gipfel des Berges Zahara, genau dort wo der kleine Tempel stand, loderte eine große und damit weithin sichtbare, gelb und orange schillernde Flamme senkrecht in die Höhe. Auf dem Weg hinauf entdeckte Shandra eine wahre Prozession von Menschen, die brennende Fackeln in den Händen trugen und vom Berg herunter stiegen, während andere noch auf dem Weg nach oben waren.

       „Das Leben ist schon voller Überraschungen. Was das wohl zu bedeuten hat?“

      Shandra hatte nur so vor sich hingemurmelt und war deshalb überrascht, dass er eine Antwort bekam.

       „Die Menschen brauchen ein geistiges Zentrum, eine Anlehnung an etwas, das ihnen hilft mit ihren Ängsten und Nöten zu Recht zu kommen. Das war schon immer so und es wird immer so bleiben. Götter dienen den Menschen, nicht umgekehrt.“

      Die Frauenstimme trieb Shandra augenblicklich den Zorn ins Gemüt, denn wer da geantwortet hatte, war niemand anders als Tarith. Er nahm sich aber sofort selbst an die Leine und antwortete betont gelassen und kühl:

       „Was willst denn ausgerechnet du hier? Glaubst du tatsächlich immer noch, mich zu deinen Zwecken manipulieren zu können? Tarith, du überschätzt dich und deine Fähigkeiten. Ich gehe meine eigenen Wege, deine Interessen bedeuten mir nichts. Dein Hass auf Ninive ist etwas, mit dem du selbst fertig werden musst und deine Rache nimm ebenfalls selbst in die Hand, wenn du willst, dass sie vollzogen wird.

       Abgesehen davon solltest du jetzt entweder ganz still stehen bleiben oder dich so schnell wie nie in deinem Leben bewegen.“

       „Ich verstehe nicht ….“

       „Du hast dir einen sehr ungünstigen Platz ausgesucht, um auf mich zu warten. Wo du stehst, beginnt das Revier von Väterchen Schlange. Ich hatte schon einmal mit ihm zu tun, deshalb weiß ich, dass er ziemlich ungehalten reagiert, wenn ein Mensch auch nur in die Nähe seines Reiches kommt. Du bist sogar ein paar Schritte in sein Reich eingedrungen. Dreh deinen Kopf doch mal ganz langsam nach links und schau, was dort auf dich wartet.

       Aber hüte dich davor zu schreien. “

      Tarith war klug genug, Shandras Anweisung zu befolgen. Sie drehte den Kopf und im nächsten Augenblick sah sie aus, als wäre sämtliches Leben aus ihr gewichen. Starr wie ein Steinbild stand sie im Licht des zunehmenden Mondes und war genau so fahl im Gesicht wie eine Statue aus Marmor. Sie starrte in die kalt und boshaft glitzernden Augen der größten Kobra, die ihr jemals begegnet war.

      Väterchen Schlange hatte Shandra das Tier genannt und das zu Recht.

      Der größte Teil ihres Körpers war zusammen gerollt und bildete einen dicken Knäuel am Boden. Aus diesem Knäuel aber ragte das Vorderteil ihres Körpers senkrecht auf und der Kopf der Schlange befand sich eine ganze Handbreit oberhalb Tariths Scheitel, die Schlange sah auf die Frau herab. Die Schlange befand sich im Zustand höchster Erregung, denn die Haube war zu einer Größe aufgebläht, die Tariths Kopf übertraf und das scharf gezeichnete Brillensymbol auf der Haube glitzerte weiß im Mondlicht. Der Schlangenrachen war weit aufgerissen, die Giftzähne waren wohl so lang wie Tariths kleiner Finger und die Frau meinte von diesen Zähnen Gifttropfen träufeln zu sehen. Die Pendelbewegungen des Oberkörpers der Schlange waren nur noch minimal, sie war kaum mehr einen Hauch davon entfernt, anzugreifen und den tödlichen Biss in die ungeschützte Haut am Hals oder Gesicht Tariths zu setzen.

      Ihre Stimme war kaum lauter als das Säuseln des Nachtwindes.

       „Gütiger Himmel, Shandra! Hilf mir wenn du kannst.“

       „Ich könnte es versuchen, doch um sicher Erfolg zu haben, müsste ich Väterchen Schlange töten. Weshalb aber sollte ich das tun? Väterchen Schlange ist zwar nicht gerade mein Freund, aber er hat mir schon einmal einen sehr guten Dienst getan, Weshalb also sollte ich ihn töten wollen?

       Nein meine liebe Tarith, du musst schon selbst sehen, wie du aus diesem Schlammassel heraus kommst. Vielleicht kannst du ja gleichzeitig darüber nachdenken, warum Menschen, denen du ohne ihre Zustimmung eine Hirnsonde setzt, nicht unbedingt zu deinen besten Freunden zählen wollen.

       Ich muss jetzt los. Ich wünsche dir alles Gute und wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja wieder.“

      Shandra drehte sich langsam und behutsam um, er wollte die riesige Schlange nicht zusätzlich reizen und in Panik bringen, denn damit wären Tariths Überlebenschancen gleich null gewesen. Er schlich sich davon und drehte sich auch nicht mehr um, ehe er außer Sichtweite Tariths war. Er begann stattdessen mit zügigen Schritten den Berg hinauf zu steigen, auf das Tor El Zaharas zu, denn er wollte natürlich wissen, was der Grund für die Prozession hinauf zum Gipfel des Berges war.

      Es war seltsam, die ganze Stadt kam ihm wie ausgestorben vor. Das Stadttor war geschlossen gewesen und Shandra war über die – völlig unbewachte – Mauer geklettert. Nun lief er durch die schmalen Gassen Stadt um zu Torwalds Haus zu gelangen.