Schonzeit für Zwerge
und andere Geschichten
Peter Vinzens
Impressum
Texte: © Copyright by Peter Vinzens Umschlag:© Copyright by Ursel Jaeger
Verlag:vtvfra.de, Vinzens
Stettiner-Str. 18 61348 Bad Homburg [email protected]
Druck:epubli - ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
ISBN Print:978-3-7450-2416-6
ISBN eBook:
Der Mann am Fluss
Der alte Mann sitzt im Liegestuhl und fühlt sich als Herr über ein Reich. Er hat einen Auftrag, und den füllt er aus. Seit vielen Jahren nun schon. Er bewacht einen Platz, den eigentlich niemand haben will. Ein gemütlicher Job. Sein Gehalt ist klein, dafür aber hat er auch kaum Kosten. Nur sein Essen muss er bezahlen.
Balken liegen umher, Bretter, Schrott. Weit entfernt tuckern Schlepper vorbei. Flach fällt das Ufer ab, eine ehemalige Werft. Schon lange aber werden hier keine Schiffe mehr gebaut. Hier könnten spannende Kinderfilme gedreht werden, Models könnten über verrostete Schrotteile flanieren, Fotografen könnten die besten Motive finden. Allein, der Platz ist noch unentdeckt. Nebenan, der Fluss. Hier rauschen Frachtschiffe und Jachten vorbei, aber sie fahren eben vorbei. Ein wunderbar ruhiger Platz.
Sein Name ist Rex Mailman, aber niemand glaubt, dass der Name auch stimmt. Angeblich war er früher Zauberkünstler, Arbeiter in einem Schlachthof, Kriegsteilnehmer und Sänger. Neben einem alten, verrosteten Gewehr hängt eine verstimmte Gitarre an der Wand, und in der Ecke ruht eine verstaubte Bassgeige. Hinter der Türe klirrt eine stattliche Versammlung leerer Schnapsflaschen, und draußen rostest ein alter Buik vor sich hin. Manchmal, so sagt er, käme sein Freund der Sheriff vorbei. Dann würden sie einen „Kleinen“ zu sich nehmen und von vergangenen Zeit erzählen. So zum Beispiel auch diese, natürlich völlig unglaubhafte Geschichte:
Da war nämlich dieser Samuel Langhorne Clemens. 1910 hat man ihn zu Grabe getragen. Der war, so behauptet Rex, ein langjähriger Freund seines Vaters gewesen. Und der habe ihm eine heute noch unbekannte Geschichte erzählt: Da ist also die Geschichte in der Geschichte, in der Geschichte. Da soll noch einer klarkommen, und ob sie der Wahrheit entspricht kann natürlich niemand nachprüfen. Aber warum auch?
Es gab also eine Werft in einem kleinen Nest am Mississippi, und dieses Unternehmen stand kurz vor der Pleite. Da kam der Besitzer, ein gewisser John Alexander Krasnow, auf die Idee ein Rennschiff haben zu wollen. Also nicht so recht ein Rennboot, wie wir es heute kennen, sondern eher was Größeres. Und unter „größer“ verstand man im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert ein Dampfschiff, das Passagiere und Fracht befördern konnte und auf dem man um Geld spielen und beliebig viel trinken durfte.
So ein Schiff musste man natürlich erst einmal haben. Erst dann konnte man zahlende Gäste und schreibende Journalisten einladen. Damals war es nämlich üblich die Beobachter von Schiffsrennen an Bord zu haben. So konnten diese das Ereignis aus der Nähe genießen, dabei den einen oder anderen Drink nehmen und außerdem das überflüssige Geld auch noch im Spiel verjubeln. Gegebenenfalls, bei Interesse, konnte man schlicht an die Reling treten und den Weitergang des Rennens zur Kenntnis nehmen. Und wenn dann die eigene Mannschaft zu lahm war, dann brauchte man nur zu den Dollars langen, um ihre Motivation zu fördern. Schließlich hatte man ja auch in Wetten für die Rennfahrt investiert. Aber noch immer stand ein kleines Problem im Raum: Dazu brauchte man ein Schiff.
John Alexander Krasnow wollte seinen Laden und natürlich sich selbst sanieren. Dies aber war schwierig. Fahrten wollten schließlich viele gewinnen, viele hatten sogar eigene Schiffe, sie konnten sie sogar herzeigen, er aber hatte nur eine eigene, zugegebenermaßen abgewirtschaftete Werft, gute Leute und viele Ideen. Deshalb entwickelte er einen Plan, er gebrauchte seinen Verstand:
In einer kleinen Kneipe, dicht unten am Hafen sitzen Matrosen und andere Trunkenbolde, schließlich war die Zeit der Prohibition in den Staaten noch nicht erfunden. Hinter der Theke wurstelt ein missmutiger Wirt herum. Der Spiegel, Bestandteil eines jeden Westerns der heutigen Tage, ist nicht zu finden. Dafür aber wird Musik vom Feinsten gegeben, die keiner hören will. Alle reden wild durcheinander. Es ist also wie im richtigen Leben: Das Wahre, Edle, Gute, niemand will es zur Kenntnis nehmen.
Auf einmal geht draußen so richtig die Post ab. Irgendwelche Frauen kommen sich wegen irgendwelcher Probleme in die Wolle, streiten herum, reißen sich die Kleider vom Leibe und krakeelen, was das Zeug hält. Das ist natürlich richtig interessant. Alle rennen hin, gucken, feuern an, finden den Disput wunderbar. Endlich ist mal richtig was los in der Bude.
Auch die beiden Wachen auf der „Spirit of St. James“, einem edlen Schiff der Superklasse, kommen natürlich herunter. Wäre es doch ein Verbrechen sich das Schauspiel entgehen zu lassen. Deshalb hin und mitgemacht. Natürlich bilden sich sofort Parteien für und gegen die eine oder andere der Damen. Mit Fäusten und Worten, also eigentlich mehr mit Fäusten, wird die Angelegenheit geregelt. Endlich mal eine Abwechslung.
Am nächsten Morgen war in der Zeitung zu lesen, dass in der Nacht unter wundersamen Umständen, die berühmte „Spirit of St. James" abhandengekommen war. Sie war schlicht weg. Nur noch abgeschnittene Leinen erinnerten an das wunderbare Schiff. Auch die intensive Suche auf allen Teilen des näheren Flusses blieben ergebnislos. Die „Spirit of St. James“ gab es nicht mehr. Sie hatte sich in Luft aufgelöst. Irgendwie.
Kaum hatte nämlich die schöne Schlägerei begonnen, da schlenderten einige Herren herbei, durchschnitten die Taue und enterten den Kahn. Die Strömung, an dieser Stelle nicht unerheblich, tat ihr übriges und so entschwand diese wertvolle Investition der „Mississippi Steam Company“, das Juwel unter den Schiffen, sang und klanglos in der Dunkelheit.
Der Rest der Nacht war sehr „busy“, das heißt viele Leute mussten hart arbeiten. Aber gegen Geld konnte man schon in den „goldenen Zeiten" der Vereinigten Staaten, jederzeit schweigsame Leute bekommen. Denn kaum war das schöne Schiff in der Dunkelheit untergetaucht, da kam ein kleiner Schlepper der uns bereits bekannten Werft, und nahm den großen Bruder an den Haken.
Niemand soll nun meinen, amerikanische Bürger seien besonders kriminell veranlagt. Das ist natürlich grundfalsch. Sie besitzen nur bisweilen einen besonderen Geschäftssinn. Besonders, wenn ihnen das Wasser bis zum Halse steht.
Auf jeden Fall lief das schöne Schiff in den kleinen Seitenarm ein und wurde von vielen fleißigen Händen erwartet. Zuerst verschwand natürlich die wunderschöne Holzverkleidung mit dem Namen. Die konnte man nun wirklich nicht gebrauchen. Den hölzernen Rumpf und die wertvolle Dampfmaschine konnte und wolle man natürlich nicht verändern. Dazu wäre der Aufwand nun wirklich zu groß gewesen. Die Ingenieure der Werft, es waren zwei, und sie hießen Paul Newton und Sergjev Gnüth, hatten sich das alles genau ausgerechnet. Schließlich wollten sie ein „Rennpferd“ bauen. Da es für ein komplettes, also ein neues, finanziell nicht reichte, hatten sie sich deshalb einfach einen Rumpf „ausgeborgt". Extraschichten wurden geschoben, Zulage gab es, und der Chef selbst verteilte Alkoholika, Kaffee und Sandwichs.
Am Morgen lag ein etwas klappriges Schiff im Seitenarm, nur wenig Aufbauten, die Maschine teilweise offen, das gigantische Schaufelrad von Lumpen verborgen. Träge schlichen einige faule Arbeiter herum, der Chef, betrunken in der Hütte, und aus so einem Betrieb konnte selbst nach der Meinung der Sheriffs nichts werden. Pinkerton- Detektive kamen später und alle fanden, dass dies ein Pleiteunternehmen war. Zu viel Schrott auf dem Platz. Unaufgeräumt. Berge von Holz. Niemand machte sich die Mühe die Schriften auf den Brettern zu erkennen. Das allerdings wäre auch peinlich gewesen.
Ein