Gähnend stieß der alte Ritter seine schwere Zimmertür auf und kratzte sich am Bauch. „Ich glaube, mein Junge“, stellte er entschlossen fest: „es ist an der Zeit noch ein kleines Mittagsschläfchen zu halten. Was meinst du?“ Joshua nickte nur, dennoch konnte man ein vergnügtes Lächeln bei ihm erkennen. Das hatte auch seinen Grund. Immer wenn sich Ritter Alfons am Sonntag zum Mittagsschlaf hinlegte, bedeutete dies für Joshua, dass er frei hatte. Nur selten, ja eigentlich nur sehr, sehr selten, stand der edle Herr dann überhaupt noch einmal auf. Noch nicht einmal mehr zum Essen. Es hätte schon die Burg brennen oder angegriffen werden müssen, dann, aber vielleicht auch nur dann, wäre Ritter Alfons noch einmal aufgestanden. Er war halt nicht mehr der Jüngste.
Joshua machte dies wenig aus. Ganz im Gegenteil, somit konnte er den ganzen Tag tun und lassen, was er wollte, und das tat er auch am liebsten. Jetzt musste er seinen Herren nur noch aus der sauberen Robe helfen, was schon schwer genug war. Man kann sich nicht vorstellen, wie viele Kordeln, Knoten und Schnüre die Ausgehuniform eines Ritters haben kann. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Joshua seinen Herren bis auf die Unterhose ausgezogen hatte. Nachdem das Werk vollbracht war, schleppte sich dieser erschöpft zu seinem Bett, plumpste wie ein nasser Sack hinein und schnarchte augenblicklich drauf los. Leise zog Joshua noch die Gardinen vor die Fenster, damit es dunkel wurde. Außerdem sorgte er dafür, dass Ritter Alfons nicht mehr aufstehen musste und platzierte deshalb den Nachttopf vorsorglich neben dem Bett. Langsam schlich sich der Junge aus der Kammer, und zog die schwere Holztür sanft hinter sich zu. Jetzt hatte er einen ganzen freien Tag für sich!
Jubelnd sprang er den Flur entlang, achtete aber darauf, dass er nicht zu laut war. Um keinen Preis der Welt wollte er seinen Herren nochmals wecken. Überglücklich und beschwingt lief Joshua die Treppe hinunter, sauste über den Burghof und passierte das mächtige Tor. Beim Überqueren der Zugbrücke grüßte er noch freundlich die dort beiden postierten Wachen, dann sprintete er, wie wild geworden, einfach drauf los. Es trieb ihn immer weiter und weiter und er durchstreifte sämtliche nahegelegenen Wälder und Felder. Er genoss seinen freien Tag und seine Freiheit. Überglücklich warf er sich an einem schattigen Plätzchen in ein Moosbett hinein. Gut gelaunt beobachtete er die Wolken im Himmel, die lustig an ihm vorbei zogen.
Warum konnte es nicht immer so sein? Ein unbeschwertes und sorgenfreies Leben! Mit diesen Gedanken schlummert er friedlich ein.
2. Reden ist Gold
Durch einen festen Tritt wurde Josh unsanft aus seinen Träumen gerissen. Der Junge schlug erschrocken die Augen auf und blickte zu dem Mann, der dort vor ihm stand. Leider blendete ihn die tief stehende Sonne dabei so sehr, dass er nur schwache Umrisse wahrnehmen konnte. Schützend legte Joshua seinen Arm vor den Kopf. Langsam erkannte er mehr.
Vor ihm stand ein dürrer, alter Mann. Sein Bart war lang und rot wie Feuer. Er ähnelte einer lodernden Flamme, die auf dem Kopf stand. Das Haupthaar hingegen war grau wie eine prall gefüllte Regenwolke. Das alte Kerlchen wirkte nicht sehr stabil und musste sich an einem Stock aufrecht halten. Zu seinem komischen Gewand, das dunkelblau schimmerte und mit diversen Sternen und Halbmonden bestickt war, gesellte sich eine lange, spitze Mütze auf seinem Kopf. Diese Mütze war aus dem gleichen Material wie der Rest gefertigt, überraschte jedoch mit einem dicken Bommel am Ende, der so gar nicht recht ins Bild passen wollte.
„Was liegst du hier so faul herum, Junge!“, herrschte die Stimme des Mannes Joshua vorwurfsvoll an: „Hast du nichts Besseres zu tun, als hier den Tag faul zu verschlafen?“ Immer wieder stieß der alte Mann dabei dem Jungen mit seinem Stock in die Seite. Das gefiel Joshua überhaupt nicht und er drehte sich erst nach links, um anschließend mit einer gekonnten Rolle rückwärts in den Stand zu springen. In Abwehrhaltung und mit erhobenen Fäusten wartete er ab.
„Guter Mann, was habe ich ihnen denn getan?“, wollte Joshua wissen: „Wer sind sie denn eigentlich?“„Was du mir getan hast?“, lachte das alte kleine Männchen: „Du hast mir überhaupt nichts getan. Wenn man es genau nimmt, muss man sagen, dass du überhaupt nichts getan hast, ...außer zu schlafen! Du verschwendest dein Leben, mein Junge!“
Der Fremde musterte Joshua streng von oben bis unten über seine kleine Brille hinweg. Dabei kraulte er sich hinter seinem wuchtigen Bart nachdenklich an seinem Kinn. „Wenn ich dich so ansehe, glaube ich, dass da eine ganze Menge in dir stecken könnte!“ Joshua merkte, dass keine Gefahr mehr von dem Fremden ausging und entspannte sich ein wenig. Neugierig fragte er nach: „Was meinen sie damit, dass eine Menge in mir stecken könnte?“ Doch ehe der Mann hätte antworten können, fuhr der Junge übermütig fort: „Eigentlich kenne ich die Antwort ja auch schon, schließlich will ich einmal ein ehrenwerter und unbezwingbarer Ritter werden, genauso wie mein edler Herr, Alfons von Dickhusen!“ Das alte Männlein konnte sich ein knappes Lächeln nicht verkneifen: „So, so! Wie der edle Herr von Dickhusen? Na, der Gute ist aber auch schon in die Jahre gekommen, wie?“
„Wie? Sie kennen ihn?“
„Natürlich, kenne ich Alfons, den alten Tunichtgut“, lachte der alte Mann drauf los, dabei wackelte sogar der Stab mit, an dem er sich fest halten musste: „Wir haben früher Seite an Seite für das Gute gekämpft, aber mittlerweile sind wir zu alt dafür!“ Joshua staunte nicht schlecht und ließ sich verblüfft auf das Moos nieder fallen. Der alte Mann gesellte sich dazu. Ihre Blicke überflogen die unendlich schöne Landschaft und verharrten auf der weit entfernten Burg.
„Dort habe ich früher auch gelebt“, erklärte der alte Mann und zeigte dabei mit seinem Stock auf die Burg hinüber. „Wirklich?“, Josh wirkte überrascht: „Aber wenn sie dort einmal gelebt haben, warum kenne ich sie dann nicht?“ Der alte Mann senkte den Kopf: „Das ist schon viele, viele Jahre her, mein Junge. Viele werden mich dort nicht mehr in Erinnerung haben. Und du warst noch nicht einmal auf der Welt, als ich dort gelebt habe.“ Joshua betrachtete den alten Mann, der sich gerade noch einmal seine Mütze zurecht schob. Er bemerkte die Traurigkeit in dessen Worten, wollte jedoch nicht weiter darauf eingehen.
„Wie heißen sie denn?“, lenkte Josh gekonnt vom Thema ab. „Ich bin der große Hamurabi! Zauberer aus Leidenschaft!“, lautete die knappe, aber freundliche Antwort.
„Ja, klar.“, polterte es aus Joshua lachend heraus: „Und ich bin König Gugelhupf! Darf ich mich vorstellen?!“ Der Junge wälzte sich vor Lachen am Boden. Er hatte noch nie eine blödere Antwort gehört. Dieser alte Mann sollte ein großer Zauberer sein? Eher wäre Josh der Kaiser von China gewesen. „Sie und ein Zauberer! Hahaha!“
Dass sich Joshua über Hamurabi lustig machte, gefiel diesem überhaupt nicht. Kurzerhand stand der Zauberer auf und baute sich wütend vor dem Jungen auf. „Ich warne dich mein Junge, reize mich nicht!“, brodelte es aus Hamurabi heraus. Drohend erhob er seinen Zeigefinger. Joshua konnte jedoch nicht anders und lachte weiter. Freudentränen kullerten an seinen Wangen herunter: „Hahaha! Und jetzt wollen sie mich wohl zur Strafe verzaubern, wie?“
Das hätte der Junge besser nicht gesagt, denn er verärgerte damit den Zauberer aufs Äußerste. Hamurabi rieb sich die Hände und säuselte etwas vor sich hin. Ein kleiner Blitz entzündete sich zwischen seinen Daumen und Mittelfinger. Mit einem gekonnten Schnipsen schmetterte er sein leuchtendes Geschoss auf den Mund des vorlauten Jungen. Ein Donner grollte auf.
Das Lachen verstummte.
Als wäre der Blitz nicht schon Strafe genug gewesen, traf es Joshua noch viel schlimmer als erwartet. Nicht nur, dass