„Dass ich dir die Summe mit Zins und Zinseszins in Rechnung stellen werde, ist dir wohl klar“, wandte sich Breitmann an Grabow. „Was fällt dir ein, hier den Wüterich zu spielen? Wir können froh sein, wenn überhaupt ein Arzt bereit ist, zu uns zu kommen.“
„Halt den Mund und gib mir etwas zu trinken.“ Grabow schaffte es endlich, sich aufzurichten und auf die Bettkante zu setzen.
Breitmann reichte ihm ein Glas Wasser, das Grabow beiseite stieß. „Etwas Richtiges brauche ich. Damit ich klar werde und hinter dieser verdammten schwarzen Ratte her kann.“
„Benjamin? Hat er etwas mit diesen Dingern zu tun?“ Breitmann holte einige Schmuckstücke aus der Jackentasche.
„Du verdammter Dieb! Gib den Schmuck her. Wehe, es fehlt etwas.“
„Ich habe das vom Boden aufgesammelt, damit der Arzt es nicht sieht.“ Breitmann legte den Schmuck auf den Tisch, aber dann nahm er eine Brosche und hielt sie ins Licht. „Schön“, sagte er mit einem Funkeln in den Augen. „Wird meiner Frau gefallen. Die behalte ich als Pfand, bis du deine Schulden bezahlt hast. Also auf ewig.“
„Ich habe immer alles zurück gezahlt, was ich mir von dir gepumpt habe“, protestierte Grabow.
„Stimmt. Aber wenn Benjamin weg ist, fehlt dir der größte Teil deines Einkommens. Ohne den Jungen sieht es schlecht für dich aus.“
„Ich bin auf die schwarze Ratte nicht angewiesen. Wenn ich ihn finde, bringe ich ihn um. Wer mich bestiehlt und niederschlägt, verdient es nicht besser.“
„Du bist ein Dummkopf, Grabow. Man schlachtet die Kuh nicht, die Milch gibt.“
„Das ist ein blödes Sprichwort, nach dem Geldverleiher wie du leben, nicht Menschen mit Ehrgefühl, wie ich einer bin. Verschwinde!“
„Gerne. Aber ich rate dir noch einmal, die nächsten Tage im Bett zu bleiben. Außer, du willst im Spital landen. Das wird dann wirklich teuer.“
Grabow wollte aufstehen, aber er spürte stechenden Schmerz in seinem Kopf. Ihm schwindelte schlimmer als nach einer durchzechten Nacht. Er ließ sich auf das Bett zurücksinken. „Warte mal, Breitmann. War alles nicht so gemeint. Behalte die Brosche. Nimm dir von mir aus mehr von dem Zeug. Aber gib mir dafür noch ein paar Scheine. Ich brauche Geld, um Benjamin zurückzuholen.“
„Darüber reden wir morgen.“ Breitmann verließ den Wohnwagen.
Grabow machte die Augen zu und wartete darauf, dass die schwankenden Leuchterscheinungen verschwanden, die er immer noch sah.
Nach einer Weile hörte er, wie die Tür zu seinem Wagen wieder geöffnet wurde. „Verdammt, was ist denn nun noch?“, schimpfte er.
„Sind Sie krank?“, fragte eine Stimme mit ausländischem Akzent.
Grabow öffnete die Augen und starrte in ein fremdes Gesicht mit einem riesigen Schnurrbart. Nach der Erfahrung mit dem Arzt eben gab er sich Mühe, nicht grob zu reagieren. „Wer sind Sie?“, fragte er.
Der Mann antwortete nicht. Er hatte den Schmuck auf dem Tisch entdeckt. Er nahm eine Kette in die Hand und musterte sie. Grabow fiel auf, dass der Mann dünne, weiße Handschuhe trug. Überhaupt war er elegant gekleidet, aber ein wenig neben der Mode. Grabow kannte sich nicht gut genug in solchen Dingen aus, um sagen zu können, ob der Anzug zu modern oder bereits ein wenig altmodisch war. Auf jeden Fall hatte der Besucher bei aller Eleganz etwas Unpassendes an sich. Er war Orientale, mutmaßte Grabow, Türke vielleicht. Der dünne Spazierstock, den er geziert in der Linken hielt, war ein wertvolles Stück mit einem Goldknauf in Form eines Löwenkopfes.
„Sie sollten Beweisstücke nicht einfach so herumliegen lassen. Sie sind unaufmerksam, mein Freund“, sagte der Mann und ließ die Kette mit einer lässigen Bewegung wieder auf den Tisch fallen. „Aber ich bin an etwas Wertvollerem interessiert. Konzentrieren wir uns also auf den Brief. Wo ist er?“
„Ich habe keinen Brief. Wer sind Sie und ...“
„Zusammen mit diesem Schmuck haben Sie einen Brief erworben. Ich muss ihn haben. Sagen Sie mir, wo er sich befindet!“ Der Mann sah sich suchend um.
Grabow war nicht bereit, sich in seinem eigenen Wohnwagen Befehle von einem Fremden anzuhören. Er konnte trotz seiner Schwäche der Versuchung nicht widerstehen. Er streckte die Hand aus, um den Mann am Jackett zu fassen bekommen.
Der Türke hob mit einer lässigen Bewegung seinen Stock und schlug Grabow auf die Hand. „Keine Vertraulichkeiten, bitte“, sagte er.
Grabow fluchte. Die Schmerzen in seinen Fingerknöcheln gesellten sich zu denen in seinem Kopf und zu der Erschöpfung durch die Ereignisse der Nacht.
Sein Besucher war alles andere als geduldig. Schon pfiff der Spazierstock wieder durch die Luft. Diesmal traf der Knauf das Knie. Ein greller Schmerz durchzuckte Grabow. „Zur Hölle mit Ihnen“, keuchte er, „und den Brief gleich hinterher. Ich habe ihn nicht mehr.“
Der Mann ging zur Tür und verriegelte sie von innen. Er stellte den Spazierstock in die Ecke und nestelte in seinem Jackett herum. Als er sich wieder Grabow zuwandte, hielt er ein Messer in der Hand. Eine merkwürdige Waffe mit einer schmalen, langen Klinge, die aber einen ungemein scharfen Eindruck machte. Die Spitze wies direkt auf Grabows Kehle, wenn auch noch aus einem Abstand von einem halben Meter.
„Ich habe keine Zeit, mich lange mit Ihnen aufzuhalten“, sagte der Türke. „Ich könnte Sie erschießen, aber der Krach würde Aufmerksamkeit erregen. Also muss ich die leise, schmutzige Methode anwenden. Wenn Sie schreien, steche ich Sie gleich ab.“
„Feigling, einen Wehrlosen mit dem Messer zu bedrohen“, schimpfte Grabow. Die Angst kroch in ihm hoch. Der Kerl war so vornehm und fremdartig, dass man ihm zutrauen konnte, einen Menschen abzustechen, ohne sein blasiertes Verhalten aufzugeben. Ja, das wurde Grabow jetzt immer klarer, je besser sein Gehirn funktionierte: Dies war ein Mann, der keine Kompromisse zu machen bereit war.
Aber Grabow hatte nicht vor, sich abstechen zu lassen. Sein Kampfgeist war noch nicht erloschen. Er wartete, bis sein Besucher nur noch einen Schritt vom Bett entfernt war und die Spitze der Waffe ein wenig senkte, dann ging er zum Angriff über. Da ihm nicht viel Bewegungsmöglichkeit blieb, rollte er sich einfach vom Bett, landete vor den Füßen des Mannes, stemmt sich gegen dessen Beine und brachte ihn so zu Fall.
Grabow bewegte sich zu langsam. Sein Gegner kam wieder hoch und machte mit einer aberwitzig schnellen Bewegung von seinem Messer Gebrauch – nein, er drückte die Spitze nur leicht gegen Grabows Hals.
„Genug gespielt“, sagte er. „Ich will den Brief.“
Die Klinge drückte sich langsam fester in Grabows Kehle. Der wusste, wann er verloren hatte. „Ein Junge, den ich hier beschäftigt hatte, ist damit abgehauen.“
„War das etwa vorige Nacht?“
„Ja.“
Der Mann schimpfte in einer fremden Sprache, bevor er auf Deutsch fortfuhr: „Dann habe ich noch eine Rechnung mit ihm offen. Er ist nach Berlin gefahren. Ich werde ihn finden. Das hier werde ich als Entschädigung für meine Mühen an mich nehmen.“ Er steckte sich den ganzen Schmuck in die Tasche, entriegelte die Tür und verließ den Wohnwagen.
Grabow schickte ihm einen Fluch hinterher, kam mühsam hoch und brach endgültig zusammen, kaum dass er auf seinen Beinen stand.
Benjamin wollte sofort Nachforschungen über Herrn Riehmann anstellen. Aber Jedah war eigensinnig: „Du ruhst dich aus. Basta!“
Aber Benjamin merkte schnell, dass sie noch etwas Anderes im Sinn hatte: Sie brauchte endlich wieder jemanden, der ihr zuhörte. Da er nicht müde war, setzte er sich auf die Stufen vor dem Wohnwagen und tat ihr den Gefallen. Jedah plapperte bis in den Abend hinein über ihre Erlebnisse in den vergangenen Monaten. Jede Menge Tratsch über die Welt der Jahrmärkte und Rummelplätze hatte sie zu berichten.