Stocksteif stand Anne neben dem rauchenden Angelo, der jetzt ein Tablet aus seinem Rucksack zog. Was folgte jetzt? Eine Videokonferenz mit Petrus? „Musse schaue in meine Äpp“, erklärte er.
"Hark! the herald angels sing….…Glory to the newborn King…", dudelte das Tablet, als Angelo seine „Äpp“ gestartet hatte. Du meine Güte – das war ja ihr Lieblingsweihnachtslied! Das hatte sie gefühlte hundert Jahre nicht mehr gehört!
"Peace on earth, and mercy mild, God and sinners reconciled." Ihr Herz machte einen kleinen Freudensprung, dann besann sie sich auf Angelos Tablet, auf dem sich nun ein goldener Terminkalender öffnete, in dem sie ihren eigenen Namen lesen konnte: "Anna Winter – Montag, 21. Dezember 2012 (Prio 1 Termin!)". Gerade als sie die Details in den Terminnotizen lesen wollte, schaltete Angelo das Tablet aus. „Wirr szwei musse weiterkomme. Isse Hochbetrieb fur uns um diesse Zeit!“
Er blickte Anne erwartungsvoll an, wobei sie seinen Silberblick gar nicht mehr so furchterregend fand, sondern auf eine besondere Art und Weise sogar sehr vertrauenserweckend. „Wasse isse deine großte Wunsch fur diese Jahr?“, fragte er.
Anne zog die Stirne kraus. Sie hatte ja so viele Wünsche. Eine Zauberfrau wünschte sie sich, die ihr den Haushalt auf Vordermann bringen und mit den Kindern Vokabeln und Mathe pauken würde. Einen unbekannten Spender wünschte sie sich, der ihr ein neues Auto kaufen und das Hypothekenkonto auf null setzen würde. Und einen Krater wünschte sie sich, der Manuela mitsamt ihrem Blumenladen vom Erdboden verschlucken würde und Martin und seinen Anwalt am besten gleich mit.
Anne erzählte Angelo von ihren Nächten, in denen sie sich schlaflos im Bett hin und her drehte, während ihre Gedanken Karussell fuhren. Sie sprach von ihrer Mutter, die es trotz Annes Misere vorzog, die Feiertage mit ihrem neuen Lover in der Karibik zu verbringen.
Ihr Vater war vor zwei Jahren gestorben. Er hätte es nie und nimmer zugelassen, dass Anne und die Jungs Weihnachten alleine verbringen. Träne für Träne floss mit einem Mal über Annes Wangen und lösten langsam den Kloß, der ihr seit Monaten im Hals steckte. „Musse nix traurig sein!“ Angelo reichte ihr ein mit Da Vincis Engeln bedrucktes Papiertaschentuch. „I-che abe mitte meine Cheffe gesproche, atte gesagt dass makke wieder alles gut, aaaaalllesss!“
Angelo tätschelte Annes Schenkel und überreichte ihr ein kleines Schächtelchen: „Aberr erste an die eilige Abend offnen, o.k.?“ Anne lächelte und nickte dankbar. Sie hielt sich das Päckchen ans Ohr, schüttelte leicht daran und hörte ein zartes "Klingeling!"
Sie blickte verträumt in die Ferne, da meldete sich Angelos Tablet mit einem vierfachen Glockenschlag. „Mamma mia…..abe ganze vergesse…meine nächste Termine warte schon…Bella…musse diche jetzte verlasse…“ Wer hätte das gedacht? Noch vor einer Stunde wäre Anne froh gewesen, diesen sonderbaren Typ auf weiter Flur loszuwerden. Nach dem Gespräch aber fühlte sie sich so erleichtert und gelöst, dass sie nun richtig traurig war, da der Abschied nahte.
„Ich wunsche dirrrr und die Bambini eine schöne Fest“, sagte er feierlich und drückte feste Annes Hand. Es hatte abgekühlt, doch ihre Wangen glühten, als hätte sie in einem Honigpunschtopf gebadet.
„Danke Angelo.“ Sie lächelte. „Ciao bella….und: nix vergesse – allessss werde wieder guttt!“ Angelo hatte sich seinen Parka übergezogen. Er zwinkerte ihr kurz zu, Anne winkte: „Auf Wiedersehen, Angelo!“ Sie sah ihm nach, bis er hinter dem Weinberg verschwunden war.
Sie hauchte kühle Luft ein, da fielen dicke Schneeflocken auf ihre heißen Wangen. Sie sah auf die Uhr und erschrak, dass es schon so spät war. Wie ein kleines Kind rannte sie eilig nach Hause zurück. Sie musste Astrid einladen und eine Gans bestellen. Sie wollte Weihnachtslieder hören und einen Stollen backen. Sie wollte Socken stricken und die Geschenke einpacken. Sie hatte noch so viel zu tun, bis die Kinder von der Schule kommen würden. Sie ahnte, dass sie soeben ein kleines Weihnachtswunder erlebt hatte.
***
Ihr wollt sicherlich wissen, was in dem kleinen Päckchen war. Ich hätte es zu gerne eurer Leserfantasie überlassen – da aber bald Weihnachten ist, will ich es ausnahmsweise verraten: In dem kleinen Schächtelchen war Annes Ehering, den sie vor Monaten abgelegt hatte. Nachdem sie an einem grauen Novembertag das erste Schreiben von Martins Scheidungsanwalt im Briefkasten vorgefunden hatte, war sie mit dem Ring in die Stadt gefahren und hatte diesen vor der Kanzlei in einen Gully geworfen.
Wusstet Ihr, dass der Name „Angelo“ wörtlich übersetzt „Bote“ oder „Botschafter Gottes“ bedeutet? Daran musste Anne denken, als sie am Heiligabend ihren funkelnden Ehering aus dem roten Schächtelchen auspackte. "Martin - 15.05.2000" las sie die Innschrift des Rings und als sie daraufhin ihre Kinder fest in die Arme schloss, fielen ihr Angelos Worte wieder ein: „Alless werde wieder gutt.“
***
Ein Jahr später:
Von: [email protected]
Roma, 21. Dezember 2014, 12:17
Mutter,
nachdem du vergangenes Jahr so von deinem Weihnachtsurlaub in der Südsee geschwärmt hast, habe auch ich vor den Festtagen eine kleine Reise unternommen: Ich bin in Rom – es ist wunderbar! Der riesige Tannenbaum auf dem Petersplatz kommt in diesem Jahr aus Deutschland.
Mein schönstes Weihnachtsgeschenk jedoch ist, dass Martin wieder bei uns einziehen wird. Er ist mit mir hier in der ewigen Stadt, wir sind so glücklich wie nie zuvor, da wir wissen, dass wir zusammengehören.
Wir kommen am 23. Dezember wieder. Wenn du Lust hast, komm uns doch zu Weihnachten besuchen – wir würden uns freuen!
Viele Grüße aus Rom senden dir ganz herzlich
Anne & Martin
Von: [email protected]
Roma 21. Dezember 2014, 20:44
Liebe Astrid, Basti und Leo,
wir senden euch ganz liebe Grüße aus dem wundervoll weihnachtlichen Rom! Ihr Ärmsten müsst noch Schul- und Laborbank drücken, während Martin und ich durch diese tolle Stadt schlendern und neben Wein und Pasta köstliche Leckereien probieren – wir haben schon zentnerweise Torrone für euch eingepackt und in zwei Tagen kommen wir ja auch schon wieder.
Stellt euch vor, als wir uns heute vor dem Castel Sant Angelo, der Engelsburg, fotografieren ließen, fing es urplötzlich an zu schneien! Dabei war in diesem Jahr wohl gar kein Schnee in der heiligen Stadt angekündigt worden – meinte zumindest der Fremde, der uns fotografiert hat. Ich weiß nicht, ob es euch interessiert, aber er sah dem Mann, dem ich letztes Jahr in den Weinbergen begegnet bin, erstaunlich ähnlich.
Für heute grüßen euch ganz lieb:
Mama & Papa
Luzis Lebkuchenpferde
Auf die Plätzchen….diese Lebkuchenpferdchen wecken Kindheitsträume: Einfach zubereitet duften sie schon in 20-30 Minuten weihnachtlich aus der Küche. Dicker Zuckerguss und Mandelkern darf nicht fehlen. Morgen Kinder wird`s was geben:
Für die Lebkuchenpferde
200 Gramm Honig
125 Gramm Zucker
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