Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nieke V. Grafenberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745090727
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      DIE

      EFEUFRAU

      *

       Nieke V. Grafenberg

      *

      Krimi

      DAS BUCH

      Sie ist klein, die heile Welt in dem ländlichen Ort in der Nähe von Baden-Baden. Hier das Efeu umwobene Haus, dort der idyllische Garten. Doch trotz schönen Scheins, das Leben von Eva ist aus den Fugen geraten: Acht Tage ohne ein Lebenszeichen, seit sich ihr Mann - wie jedes Jahr - auf eine vierwöchige Wanderung durch die Alpen begeben hat. Den Riesenrucksack samt Zelt auf den Buckel geschnallt. Sie macht sich mehr als nur Sorgen.

      Oberkommissar Zacher ist ein erfahrener Mann, in Evas Fall aber steht er vor einem Rätsel. Irgend jemand muss den Vermissten doch gesehen haben! Oder liegt ein Verbrechen vor? Weiß die Frau vor seinem Schreibtisch mehr als sie zugibt?

      Die psychologisch hintergründige, mitreißende Geschichte eines Verbrechens - und einer Frau, die unbeirrbar versucht, sich ihre Welt zu erhalten, während alles um sie sich wandelt.

      PROLOG

      Nach dem Volksglauben schützt die Nessel vor Blitzschlag, Hexen und Ungeziefer.

      Nesseln sollen den Leib und das Blut reinigen, sie gelten als Kräuter. Unsere Vorfahren verwendeten sie als Aphrodisiakum und Orakelpflanze.

      Für ihre Kinder zog Eva jedes Jahr im Frühjahr Handschuhe an und pflückte die jungen Blätter. Sie kochte Gesundheitstee daraus. Das hatte sie von ihrer Großmutter gelernt.

      Großmutter hatte Großvater von seinem Rheuma geheilt, als er aus dem Krieg kam. Sie wickelte ihn über Nacht wie eine Mumie in Brennnessel ein.

      Viel später ist er dann an Lungenkrebs gestorben.

      Bei Eva kam alles ganz anders.

      EINS

      „Mama! Mama! Wach endlich auf!“

      Ninas blasses Kindergesicht schemenhaft über dem eigenen, Eisfinger krallen sich in Evas bloßen Arm, vor Schreck wird ihr schwindlig. Die ganze Nacht der Kampf mit der Schlaflosigkeit, ruhelos von einer Seite auf die andere, und nun war der erste selige Tiefschlaf aufs Grausamste unterbrochen. Ninas brennender Atem auf ihrer Stirn, der eigentümlich hysterische Tonfall - alarmiert setzte Eva sich im Bett auf. Während die Füße zu Eiszapfen wurden, lauschte sie benommen den Worten ihrer jüngsten Tochter:

      „Wie kannst du nur so fest schlafen - steh auf! Diesmal ist bestimmt was passiert, so lange sind wir noch nie ohne Nachricht geblieben!“

      Knochige Arme hielten den knabenhaften Körper umklammert, Ninas Mund und Augen bettelten:

      „Ruf bei der Polizei an - jetzt gleich! Oder bei der Feuerwehr!“

      Und dann, von einer Sekunde auf die andere, schien alle Energie wie weggeblasen, sie sank auf die Bettkante ihrer Mutter und vergrub den Kopf in den Händen.

      „Oh Mann, ich weiß es doch auch nicht!“

      Der überwältigende Kummer ihrer Tochter, quälender noch als der eigene, Eva war nahe daran, die Nerven zu verlieren. Dabei durfte sie weder die Nerven verlieren noch die Übersicht! Nach Tagen der Antriebsarmut und des Zauderns fühlte sie sich unerwartet stark. Energisch schleuderte sie die Zudecke beiseite, gab der verblüfften Nina einen Schubs und schwang ihre Beine aus dem Bett. Es war schwierig und einfach zugleich: Angriff war die beste Verteidigung! Sie musste nur das Richtige tun, sie musste handeln.

      Die Nummer der Polizei, früher hatte sie die Nummer Grundschulkindern förmlich eingetrichtert, war sie eins-eins-null oder eins-eins-zwei? Die vorderen Seiten des regionalen Telefonbuchs, Eva leckte die Fingerkuppe. Da - eins-eins-null - Notruf! Blaulicht und Hubschrauber ... um Gottes Willen! Nie im Leben war sie ein Notfall! Konfus blätterte sie sich durch die Seiten. „L-M-N-O-P“ versuchte sie sich zu konzentrieren, viel zu lange brauchten die hektischen Finger, bis sie an Ort und Stelle waren. Endlich, Polizeidirektion, die Vorwahl, danach die sieben-sechs-eins-null. Mit Sicherheit die Zentrale, man würde sie durchstellen, Eva presste den Hörer ans Ohr.

      „Polizeidirektion, Löffler.“ Eine helle männliche Stimme.

      „Brandner hier, guten Morgen.“

      Die eigene Stimme wie Schmirgelpapier! Eva sah Nina an und räusperte sich.

      „Eine Vermisstenmeldung ... es geht um eine Vermisstenmeldung ... ich weiß nicht, ob ...“

      „Einen Moment, ich leite Sie weiter.“

      Das Klopfen in der Leitung, ging etwa der Apparat kaputt? Jemand nuschelte Unverständliches, Eva sprudelte ins Blaue:

      „Hier Brandner, guten Morgen, ich will melden ... ich meine ... mein Mann ist weg!“

      Die Worte waren heraus. Was sollte sie tun? Nina lauschte. Den dunklen Kopf gesenkt, hockte sie auf der schmalen, gepolsterten Sitzbank neben dem Telefon. Bucheckern gleich stachen ihre Fingerknöchel aus den geballten Fäusten.

      „Sag ihnen gleich, es ist was passiert!“, zischte sie und Eva drehte ihr den Rücken zu. Alle Angriffslust war verflogen, gern hätte sie aufgelegt, Ninas Augen aber nagelten sie fest. Im selben Moment erkannte sie dieselbe jugendliche Stimme von vorher.

      „Tut mir leid“, beschied sie in munterem Tonfall, „Sie sind wieder bei mir in der Zentrale gelandet. Der zuständige Kollege ist heute erst ab vierzehn Uhr zu erreichen, ich notiere mir Ihre Telefonnummer ... und die Adresse.“

      Schritt für Schritt wiederholte er Evas Angaben, meinte dann:

      „Sie müssen auf alle Fälle persönlich erscheinen. Und falls etwas dazwischen kommen sollte, wir rufen Sie an.“

      Aus den Augenwinkeln fing Eva eine harsche Geste ihrer Tochter ein. Ein kurzer Blick in gebieterisch aufgerissene Augen und Eva setzte zu einer Erklärung an.

      „Einen winzigen Augenblick noch!“ Ihre Worte überstürzten sich.

      „Wir sind jetzt acht Tage ohne Nachricht. Mein Mann wandert, und ich fürchte ... ich meine ... meine Tochter und ich, wir haben Angst, dass vielleicht ...“

      Freundlich aber bestimmt wurde sie unterbrochen.

      „Heute Nachmittag, Frau Brandner. Der Kollege wird alles genauestens aufnehmen wollen. Er weiß dann Bescheid, wenn Sie kommen.“

      Ein Klicken. Die Leitung war tot.

      Genauestens. Er weiß Bescheid. Ätzend wie Säure, die an sich unverfänglichen Wörter. Eva zwang sich zum Durchatmen, übertrieben sorgfältig legte sie den Hörer auf. Sie blickte Nina hinterher, die nach abfälligem Blick auf die Mutter kommentarlos die Treppe hinauf in ihr Zimmer verschwand. Nun gut, von Seiten der Polizei bislang nicht der leiseste Vorwurf wegen der verstrichenen Zeit, für den Moment fühlte Eva sich erleichtert. Im Geiste zog sie den dunkelblauen Leinenanzug an. Die Hose saß im Bund zu locker, acht Tage Appetitlosigkeit, sie würde den Gürtel enger schnallen müssen, damit er saß. Und bloß kein düsteres T-Shirt, nahm sie sich vor, noch trug sie keine Trauer.

      Nur noch wenige Stunden, bis sie auf dem Revier erscheinen musste. Bange Stunden voller Ungewissheit, plötzliche Atemnot und eine unbezwingbare innere Unruhe trieben Eva an die Luft. Im Vorgarten riss sie ein paar überhängende Efeuranken von Hauswand und Gartenmauer, warf sie nach kurzem Zögern unter den Fliederbaum zu dem anderen Grünzeug. Nahezu hüfthoch war der Haufen, Ernst hatte versäumt, ihn abzufahren, jetzt musste sie sich kümmern.

      Evas Augen wanderten Richtung Giebel. Efeu wohin man sah, nach zunächst trügerisch zaghaftem Wachstum hatte er die Dachfenster längst erreicht, stürmte rasch und unaufhaltsam himmelwärts. Der dichte, glänzend grüne Blättermantel an der weiß getünchten Fassade - im Grunde kam er ihr ja entgegen. Im Winter warm, im Sommer kühl hieß es, aber am Rahmenholz durfte er sich nicht festkrallen, das machte ihr Angst. Seit Tagen quälte sie der immer gleiche Traum. Sie träumte, der Efeu geriete außer Kontrolle, neige sich ihr entgegen, strecke