Treffpunkt Brandenburger Tor. Hermann Mezger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Mezger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844268201
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ihm in die glatte Stirn. Darunter blitzten himmelblaue und neugierige Augen. Das schlichte weiße Hemd und die cremefarbene Hose zeugten von Geschmack und dies war auch einer der Gründe, wieso Bramme mit seinen vierzig Jahren stets von attraktiven Frauen umgeben war.

      Zwischen den beiden Männern auf Behrendtsens Schreibtisch lag die Sonderausgabe des Nachtkuriers. Die Titelseite verkündete in dicken, sensationslüsternen Lettern: „Grausamer Mord in Moskauer Tiefgarage. Chef der russischen Drogenabwehr Burew ermordet!“

      In einem Anflug von Protest, der so untypisch für ihn ist, schlägt Behrendtsen mit dem Handrücken auf die Schlagzeile.

      „Und da wollen Sie hin, Bramme? Sind Sie lebensmüde?“

      Holger Bramme rutschte in seinem Stuhl ein Stück höher, schmunzelte dabei zu Behrendtsen hinüber und bemühte sich, seine Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen.

      „Wie Sie wissen hat man mir angeboten, in einem Kämmerlein Drogenfunde und Drogentote aufzulisten. Aber das ist doch brotlose Kunst! Man muss herausfinden, auf welchen Transportwegen die Drogen nach Europa kommen. Nur wenn wir das wissen, kann der Drogenhandel wirksam bekämpft werden. Und die Quelle liegt nun mal in Zentralasien. Sie kennen doch die Sprichwörter: Wer den Flüssen wehren will, muss die Quellen verstopfen. Und: Um an die Quelle zu kommen, muss man gegen den Strom schwimmen.“

      Behrendtsen gab sich geschlagen. Er kannte seinen Hauptkommissar nur zu gut. Wenn der sich mal in eine Sache verbissen hatte, gab es kein Zurück mehr. Stirnrunzelnd betrachtete er seinen Kollegen über die Gläser der Hornbrille hinweg. Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Bramme legte sich in Gedanken schon einige weitere Argumente parat, doch er sollte sie nicht brauchen. Mit einem Griff in die Schublade seines Schreibtisches zog Behrendtsen einen dicken Umschlag heraus und warf ihn Bramme über den Tisch zu.

      „Ihr Flugticket nach Sankt Petersburg.“

      Bramme fing das Kuvert überrascht auf. Dass Behrendtsen dieses Ticket bereits besorgt hatte, zeugte unweigerlich von seinem Vertrauen in Brammes Vorhaben. Dafür beschäftigte ihn aber etwas anderes.

      „Wieso Sankt Petersburg? Die russisch-amerikanische Drogenabwehr sitzt doch in Moskau!“

      Behrendtsen zuckte die Achseln.

      „Mich dürfen Sie nicht fragen. Sie werden am Flughafen in Sankt Petersburg abgeholt. Der Geländewagen, den Europol zur Verfügung stellt, ist bereits dort. Die Papiere dazu, einschließlich der Bedienungsanleitung, sind ebenfalls in dem Kuvert.“

      Nach einigen Sekunden, in denen Bramme unschlüssig auf den Umschlag in seiner Hand starrte, gab er sich einen Ruck, verstaute den Umschlag in seiner Jackentasche und stand auf.

      „Dann heißt es jetzt wohl Abschied nehmen?“

      Auch Behrendtsen stand auf, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und drückte Brammes Hand.

      „Passen Sie bloß auf sich auf!“

      „Sie kennen mich doch!“

      „Eben deshalb! Und lassen Sie mal was von sich hören. Alles Gute, Herr Bramme!“

      „Auf Wiedersehen, Herr Behrendtsen!“

      Bramme hätte nicht damit gerechnet, dass ihm der Abschied so viel ausmachen würde. Er war nicht traurig oder nostalgisch, die feste Bindung an einen Ort war ihm ohnehin nie eigen gewesen. Doch als er in seinem Büro stand, Stück für Stück seinen Schreibtisch räumte und einige private Gegenstände in einem Karton verstaute, verspürte er doch etwas Wehmut in der Brust. Sein Partner Petersen, hochgeschossen, schlaksig und unrasiert, mit langen blonden Haaren in einem Pferdeschwanz, saß an seinem Computer und beobachtete Bramme, wie er geschäftig im Raum umherwuselte. Nicht zuletzt, um die sensible Situation zu entschärfen, schlug Bramme einen betont unbekümmerten Ton an.

      „So, mein Freund, jetzt bist du hier der Chef.“

      „Ich würde viel lieber mitkommen.“

      „Nein, du bleibst mal schön hier und hältst die Stellung. Jetzt kannst du endlich mal zeigen, was in dir steckt.“

      „Eine weite Reise und fremde Länder wären aber viel interessanter.“

      „Sei doch ehrlich, dich interessieren doch nur die hübschen Mädchen dort.“

      „Ja, ich sehe sie jetzt schon deutlich vor mir: Lange, schwarze Haare, hohe Wangenknochen, große, mandelförmige Augen und kirschrote Lippen.“

      Petersen schloss dabei die Augen und fuhr sich mit der Zunge genießerisch über den Mund.

      „Bis ich zurückkomme musst du dich halt mit der Fantasie begnügen. Wie ich sehe, fällt dir das nicht schwer. Ich erzähle dir nach meiner Rückkehr dann schon wie die Frauen dort wirklich sind.“

      „Versprochen?“

      „Versprochen!“

      Die beiden stimmten in freundschaftliches Gelächter ein und verabschiedeten sich mit einer Umarmung. Bramme stemmte den Karton mit seinen Habseligkeiten hoch und verließ das Büro.

      3. Kapitel

      Der Flug nach Sankt Petersburg verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. So ruhig, dass Bramme schon seit geraumer Zeit durch das kleine Fenster hinaus auf ein herrliches Naturschauspiel blickte. Das tiefe Saphirblau des Himmels, darunter ein Meer aus schneeweißen Wolken, hier und da durchzogen von einzelnen goldenen Sonnenstrahlen faszinierten ihn. Es dauerte lange, bis er sich daran satt gesehen hatte. Schließlich brachte er seinen Sitz wieder in eine aufrechte Position und nahm gelangweilt die Prospekte in Augenschein, die in der Lasche des Sitzes vor ihm steckten. Ohne viel Interesse blätterte er eins nach dem anderen durch und nahm sich anschließend aus purer Langeweile die Bedienungsanleitung des Geländewagens zur Brust, der in Sankt Petersburg auf ihn wartete. Als sein Blick an der Abbildung des Armaturenbretts hängen blieb, war er mit einem Schlag hellwach. Neben mehreren Monitoren und Sonderausstattungen wie Funk und Navigation fielen ihm drei Tasten in den Farben Weiß, Rot und Gelb auf, die dort wie ein Manual angeordnet waren. Daneben war ein Gegenstand untergebracht, der einer kleinen Sichel ähnelte. Bramme begann nun mit deutlich gewachsenem Interesse zu lesen. Je weiter seine Augen auf der Seite umherwanderten, desto verschmitzter wurde sein Schmunzeln und schließlich schnalzte er triumphierend mit der Zunge, lachte kurz auf und klappte die Bedienungsanleitung klatschend zu. Zufrieden vertiefte er sich wieder in das Farbspiel vor dem kleinen Fenster, während sein Nachbar, ein schnurrbartbestückter Börsenmakler, ihm einen missbilligenden Blick zuwarf.

      Als Bramme in Sankt Petersburg das Flugzeug verlassen, seinen Koffer durch die Zollkontrolle und durch das überfüllte Terminal, sowie zu einem davor auf ihn wartendes Auto geschleift hatte, war ihm das Lachen vergangen. Missmutig an seinem Daumen saugend, den er sich an den Scharnieren des Gepäckbands gequetscht hatte, hockte er nun auf der Rückbank des Wagens, der sich durch den regen Verkehr schlängelte. Am Steuer des Wagens saß ein untersetzter Mann mit schwarzem, dichtem Haar und Vollbart. Er hatte Bramme zur Begrüßung freundlich aber auch reserviert zugenickt und mit dezentem Interesse dessen Erscheinung gemustert. Als er das Wort erhob, klang seine Stimme voll und tief.

      „Ich bin Wassili Jernak, Gospodin Bramme. Nennen Sie mich einfach Wassili.“

      Bramme ließ einen Moment von seinem pochenden Daumen ab und sah auf.

      „Danke! – Sie bringen mich also zum Archäologischen Institut?“

      Wassili nickte.

      „Ganz recht.“

      „Dann können Sie mir bestimmt auch sagen, was dieses Institut mit Drogen zu tun hat?“

      Sie hielten an einer Ampel und Bramme ließ nun endgültig von seinem Daumen ab, um stattdessen das pulsierende Leben auf den Straßen von Sankt Petersburg auf sich einwirken zu lassen.

      „Alles nur Tarnung, Gospodin Bramme“, antwortete Wassili, „alles nur zu unserer Sicherheit.“

      „Sagten Sie zu u n s e r e r Sicherheit?“

      Wassili