„Im Moment kann ich gar nichts für Sie tun.“ Ich sah sie an, dann aus dem Fenster. Ich war erst vor wenigen Tagen gefeuert worden, was sollte diese falsche Scham? Wie es aussah hatte ich kaum Möglichkeiten, in irgendeine zufrieden stellende Arbeit zu kommen. Ein Mann in meinem Alter und mit meinen Qualifikationen wird entweder Clochard oder Schriftsteller. Und es hatte nicht den Anschein, als würde man sich um meine Memoiren reißen. Rosig sah meine Zukunft also nicht gerade aus. Wie lange würden meine Ersparnisse noch reichen?
Ich sah sie an, wie sie in meinem Sessel saß und auf meine Antwort wartete. Naja, irgendwas musste ich ja tun, ich brauchte das Geld. Warum sollte ich nicht ihren Bruder suchen? „Ich kann erst etwas für Sie tun, wenn ich meine Lizenz habe“, sagte ich. Sie erhob sich. „Kommen Sie doch bitte morgen um 3 Uhr bei mir vorbei und bringen Sie alles über Ihren Bruder mit, das mir bei der Suche nach ihm von Nutzen sein könnte.“ Ich brachte sie zur Tür. Dann fiel mir ein essentieller Punkt ein: „Ähm...“
„Die Bezahlung?“ erleichterte sie ihn mir.
„Ja.“ Ich nannte eine horrende Summe als Tagessatz plus Fahrtkosten und Spesen. Sie war einverstanden. Ich war verblüfft. An der Tür trat sie nahe an mich heran und sagte leise: „Finden Sie meinen Bruder.“ Dann ging sie, meine erste Klientin.
Da ich jetzt Privatdetektiv war, tat ich das einzig richtige, was man in einer solchen Situation tun konnte: ich grub meine alten Raymond Chandler Krimis wieder aus. Wenn man in der Welt der Privatermittler Hilfe braucht, dann ist er, bzw. sein Phillip Marlowe der einzige, der einem sagen kann, wo es lang geht.
Es gab da ein paar Dinge, die ich herausfinden musste. Ich war immerhin seit kurzem nicht mehr bei der Polizei, was mich jedoch nicht daran hinderte, im Präsidium anzurufen und mich mit Emil Schlüter verbinden zu lassen. Er sollte den Computer befragen und herausfinden, was es über Beatrice Braun und ihren Bruder Claus herauszufinden gab.
„Hat man Sie nicht entlassen?“ fragte mich Schlüter, als ich ihm meine Bitte vorgetragen hatte.
„Glauben Sie, die würden mich entlassen?“
„Ja.“
„Aber nicht wegen guter Führung.“
„Das sicher nicht.“
Viel fand er nicht. Beatrice Braun war die Tochter von Heinrich T. Braun, einem reichen Industriellen. Sie war verheiratet mit Robert C. Düsenberg, einem ebenfalls reichen Industriellen. Die Ehe ging jedoch vor drei Jahren in die Brüche und sie nahm ihren Mädchennamen wieder an. Düsenberg heiratete sechs Monate nach seiner Scheidung Felicitas Gerhard, die Tochter des, raten Sie mal, richtig, Industriellen Thomas Gerhard. Claus Braun war Asthmatiker.
Ich bedankte mich für die Informationen und bemühte mich um meine Lizenz als Privatermittler. Dank meinen Beziehungen sagte man mir, ich könne sie morgen um 9 Uhr abholen.
Prima. Ich lehnte mich zurück und betrachtete das Telefon. Ich war also im Geschäft, meine Kopfschmerzen waren weg und ich hatte eine Klientin. Es fing gar nicht übel an, fand ich. Obwohl ich bei der Polizei einen Dienstwagen gehabt hatte und mein Benzin nie selbst bezahlen musste. Diesen Punkt hatte Prosser in meiner Akte vergessen. Ich verzichtete darauf, ihn darauf hinzuweisen.
Am nächsten Tag holte ich meine Lizenz ab, ließ sie kopieren und beglaubigen und machte mich auf den Weg in mein Büro-???-??. Ich hatte zwar immer noch keins (aha!), aber dafür war ich den letzten Abend auch nicht untätig gewesen: Ich hatte mich mit Marlowe zusammengesetzt und versucht, von ihm zu lernen. Ein Motto von ihm war, nie mit einem Klienten zu schlafen, und wenn sie noch so weiblich waren, von den Männern mal ganz abgesehen. Das war ein Grundsatz, den ich, sollte sich die Gelegenheit geben, nicht unbedingt übernehmen musste. Und auf das Geld kam es Marlowe auch nicht an. Aber mit seinen 35 Dollar am Tag plus Spesen kam man heutzutage nicht weit. Tja, die Zeiten hatten sich geändert.
Außerdem war Marlowe größer als ich, war rasiert und sah gut aus, während meine unrasierte Erscheinung keineswegs ein Frauentyp war. Um es kurz zu machen: ich entsprach in keiner Weise der Erscheinungsform, die man von einem Privatdetektiv erwartet. Außerdem hatte ich keine Lust, mich ständig zusammenschlagen zu lassen, wie Marlowe das regelmäßig mit sich machen ließ. Und auch mit einem Schießeisen konnte ich nicht aufwarten. Wahrscheinlich würde ich innerhalb der nächsten Woche erschossen werden, wenn ich mit meinen Ermittlungen in ein Wespennest stieß. Wahrscheinlicher war jedoch, dass ich Claus Braun mit irgendeiner Frau in irgendeinem Hotel auflesen würde.
Naja, man hatte mich engagiert, also würde ich mein bestes tun. Und kein Alkohol mehr. Wozu brauchte ich ihn? Damit es mir schlecht ging? Ich konnte mich eben so gut mal wieder unglücklich verlieben, dann würde es mir auch schlecht gehen.
Um Punkt drei Uhr schellte es an meiner Tür. Ich war gerade damit beschäftigt, Marlowes Revolver zu reinigen. Ich legte das Buch beiseite und öffnete. Da stand sie, in einem grünen Kleid, das bestimmt nicht aus irgendeinem Sonderangebot stammte. Sie war genauso geschminkt wie am Vortag, das gleiche leichte Parfum und sie trug kaum Schmuck. Eine Halskette und ein silberner Ring waren die einzigen Anhängsel. Ihre Haut war leicht gebräunt. Ich ließ sie herein und schloss die Tür. Sie setzte sich in den gleichen Sessel wie gestern, den am Fenster, von dem man auf die Bäume hinaussehen kann. Marlowe hätte an ihr seine helle Freude gehabt. Wahrscheinlich hätte er ihr gleich ein paar geknallt.
„Guten Tag, Herr Rhode“, sagte sie und lächelte zurückhaltend.
„Tag“, sagte ich und setzte mich ihr gegenüber. Ihr Blick fiel auf eins der Chandler-Bücher.
„Fachliteratur“, sagte ich. „Kann ich von der Steuer absetzen.“ Sie lächelte, nicht verführerisch oder einladend. Marlowe hatte es da einfacher. Aber sie war ja extra zu mir gekommen, was konnte man da erwarten? „Möchten Sie etwas trinken?“ fragte ich.
„Oh nein, danke, aber ich bin mit dem Wagen hier.“ Sie kramte in ihrer Handtasche und förderte einen Umschlag zutage. „Ich habe hier ein paar Fotos von meinem Bruder.“ Sie reichte ihn mir. Er enthielt ein paar Bilder von einem schüchtern aussehenden jungen Mann, keine Ähnlichkeit mit ihr.
„Was hatte er für einen Bekanntenkreis?“
„Oh, seine Kommilitonen“, sagte sie und betupfte sich mit einem Taschentuch die Nase. „Er studiert Physik.“
„Dann wird man ihn wohl wegen einer weltumwerfenden Entdeckung jagen“, murmelte ich und betrachtete die Bilder. Er sah nicht nach einem blassen Jüngelchen aus, das asthmatisch Physik studierte, eher wie ein sonnengebräunter Strandaufreißer. Jemand, der mehr mit den unteren Regionen seines Körpers dachte als mit den oberen. Vielleicht irrte ich mich. „Wo studiert er?“
„Hier in Köln.“
„Hmmm“, hmmmte ich. Ich würde mich da mal ein bisschen umsehen. Vielleicht erfuhr ich dort mehr über ihn als sie mir sagen konnte oder wollte. Ich war lange nicht mehr da gewesen – obwohl ich immer noch eingeschrieben war.
„Hatte er eine Freundin?“
„Nein. Ich glaube nicht.“
„Standen Sie in engem Kontakt zu Ihrem Bruder?“
„Warum sprechen Sie von ihm in der Vergangenheit?“
„Eine Angewohnheit, die man sich bei der Mordkommission zulegt. Ich meine natürlich, bevor er verschwand.“
„Er hat mich jeden Tag angerufen.“
Das bedeutete: er war ein Klotz am Bein!
„Wollte er Geld?“
„Nein.“ Ihr Blick zeigte Entrüstung. „Wir haben miteinander gesprochen.“ Sie blickte zu Boden. „Schon seit wir Kinder waren haben wir uns alles anvertraut.“
„Wer kommt für seine Ausgaben auf?“
„Vater. Er hat ihn immer unterstützt. Auch finanziell. Er meinte, wenn Claus Physik studieren würde, könnte das für das Unternehmen nur von Nutzen sein.“
„Und