Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte. Frank Hille. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Hille
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737538183
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Großvater war mit dem Pferdewagen vor dem Bahnhof vorgefahren um seinen Enkel abzuholen. Als Peter Becker ihn beim Verlassen des Gebäudes sah wurde ihm warm ums Herz und unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte. Der Großvater brummte nur „da bist du ja wieder“ als er auf den Wagen geklettert war und die nächsten Minuten schwiegen sie. Der Junge nahm die Landschaft heute mit ganz anderen Augen wahr, der Himmel spannte sich blau über das Land, Vögel kreisten über den Feldern und beim Blick von dem langsam voranzuckelnden Wagen sah er, dass die Getreideernte dieses Jahr gut ausfallen würde, die Pflanzen standen gut. Er sprang vom Wagen, riss zwei Garben aus, und wieder zurück auf dem Wagen zerrieb er die Ähren zwischen den Händen, lächelnd schaute ihm der Großvater zu. Peter fiel auf, dass das fortlaufende Dröhnen der Stadt aus seinem Kopf verschwand und er die Schreie der kreisenden Vögel hören konnte, sonst störte nichts die Ruhe des Tages, die Langsamkeit des Vorankommens stand im Gegensatz zu der Betriebsamkeit der Stadt. Als das Dorf in Sicht kam ließ der Großvater das Pferd traben und beim Einbiegen in den Hof sah er die Mutter und seine Schwester aus dem Schweinstall kommen. Er sprang ab, lief auf seine Mutter zu und versuchte eine Umarmung zu vermeiden, sie drückte ihn aber fest an sich.

      „Schön dass du wieder da bist, du hast uns gefehlt“ sagte sie sanft.

      „Ihr mir auch“ erwiderte der Junge.

      „Wo ist der Vater“ wollte er noch wissen obwohl er die Antwort selbst kannte.

      „Er wird in zwei Stunden vom Feld kommen“ entgegnete die Mutter.

      Peter Becker ließ seinen Blick schweifen, alles hier war ihm vertraut und er sog den typischen Geruch des Bauernhofes ein, Städter würden die Nase rümpfen, denn diese Mischung von frischer Luft und dem Dung der Tiere wäre für sie fremd. Sie waren an die Rauchwolken gewöhnt die die Fabriken ausspuckten, und an den Dieselgestank, den die Autos produzierten.

      Die Mutter hatte zum Abendessen zwei Gläser mit eingemachter Wurst geöffnet, Gewürzgurken auf den Tisch gestellt und einige Tomaten aus ihrem Garten geerntet. Das frische Brot duftete verführerisch. Der Großvater stieg in den Keller und brachte drei Flaschen kühles Bier herauf. Als er den verwunderten Blick seines Enkels sah trat ein Lächeln auf sein Gesicht. Am Tisch war die Sitzordnung festgelegt, der Bauer saß am Stirn Ende, seine Frau zu seiner Linken und der Alt Bauer rechts neben ihm, die Kinder am unteren Ende der Tafel. Der alte Mann stellte jeweils eine Flasche Bier auf den Platz des Vaters und seinen eigenen, die dritte schob er mit einer schnellen Bewegung über den Tisch auf Peter zu der sie überrascht packte. Als der Vater den Raum betrat ging er auf seinen Sohn zu und gab ihm die Hand, dann setzte er sich.

      „Heute ist ein wichtiger Tag“ sagte er.

      „Ich habe mit deinem Großvater und deiner Mutter in deiner Abwesenheit eine Sache beraten, die von deiner Entscheidung abhängig sein wird, ob du in die Stadt gehen willst. Hast du schon eine Wahl getroffen?“

      Mehr Ansprache hatte der Junge von seinem wortkargen Vater nicht erwartet, seine Antwort hatte er sich lange bereit gelegt.

      „Ja Vater“ erwiderte Peter „in der Stadt will ich nicht leben. Ich bleibe hier, auch wenn ich nicht mehr viel in unserer Schule lernen kann, aber es gibt ja auch Bücher. Ich will Bauer werden, etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Aber ein Bauer, der auch mit Maschinen umgehen kann.“

      Der Vater schaute ihn an und Peter meinte, dass sein Blick anders wäre als sonst, sanfter und offener.

      „Gut, die Möglichkeit sollst du haben. Backmann, dein Lehrer, ist bereit, dir gegen etwas Geld noch mehr beizubringen und auch Bücher auszuborgen. Das bedeutet, dass du jeden zweiten Tag am Nachmittag eine Stunde zu ihm gehen wirst. Natürlich wirst du dadurch bei der Arbeit fehlen, wir haben uns deshalb entschieden einen Traktor zu kaufen, dein Großvater gibt den Großteil seines Ersparten, Mutter und ich den Rest. Am Sonnabend fahren wir drei nach Kronstadt, dort sehen wir uns die Maschine an, über den Preis sind wir uns mit dem Händler schon einig. Für den Traktor wirst du dann mit zuständig sein, du und ich werden ihn fahren, der Großvater kümmert sich um die Arbeiten mit den Pferden. Aber er bringt uns beiden vorher bei wie man diese Maschine bedient, damit kennt er sich ja aus. Ab heute bist du für uns der Jungbauer, damit ist nichts weiter verbunden als die übliche Arbeit, aber du wirst den Hof eines Tages von mir übernehmen. Und als Jungbauer hast du das Anrecht, mit mir und dem Altbauern auch zu einer besonderen Gelegenheit eine Flasche Bier zu trinken. Für dich bleibt das aber noch eine Ausnahme.“

      Der Vater ließ den Verschluss der Falsche aufploppen und Peter versuchte es auch, erst als er Kraft aufwendete konnte er den Bügel zurück schnappen lassen und der Duft des Bieres stieg ihm in die Nase. Der erste Schluck schmeckte bitter, sehr ungewohnt, da er sonst nur Tee trank, aber schnell breitete sich Wärme in seinem Körper aus und er fühlte sich leicht benommen. Die Männer sahen ihn aufmerksam an und der Großvater grinste breit.

      „Und, wie ist es, das erste Bier zu trinken“ wollte er wissen.

      „Ziemlich bitter“ sagte Peter „aber erfrischender als der Tee.“

      „Du kommst auch schon noch auf den Geschmack“ lachte der Großvater.

      Nach dem Essen lief Peter Becker noch zu Paul und berichtete ihm von den Neuigkeiten.

      „Du willst wohl noch ein gebildeter Mann werden“ frotzelte sein Freund „für mich wäre das nichts, mir reicht es was uns Backmann beibringt. Als Bauer brauche ich nicht mehr und wenn ich auf dem Feld bin ist es mir egal wie viel fünf mal dreizehn ist. Aber auf den Traktor bin ich gespannt. Und du darfst ihn dann später auch fahren“ fragte er ungläubig.

      „Ja, das hat mein Vater so gesagt“ war Peters Antwort „ich bin riesig gespannt wie die Maschine funktioniert.“

      Zu Hause ging er in seine Kammer, der Tag war ereignisreich gewesen und hatte für ihn Überraschungen gebracht. Niemals hätte er damit gerechnet, dass es ihm seine Familie ermöglichen würde mehr als die anderen zu lernen. Er wusste, dass das Geld manchmal knapp war wenn die Erträge nicht so hoch waren oder die Preise für das Getreide oder das Vieh zurückgingen. So war er fest entschlossen seinen Eltern und seinem Großvater diesen Vorschuss auf sein Leben irgendwann mit Zinsen zurück zu zahlen und für sie zu sorgen, wenn sie sich auf das Altenteil zurückzogen. Er glaubte, dass sein Vater die Sache so entschieden hatte, in Wahrheit war es sein Großvater gewesen, der selbst noch einmal mit Backmann gesprochen hatte. Die beiden kannten sich seit vielen Jahren und mit dieser Vertrautheit zueinander konnte der alte Mann einen verträglichen Preis für den Unterricht aushandeln.

      „Dem Jungen soll es einmal besser gehen als uns“ hatte er dem Vater und seiner Mutter gesagt „er ist klug und es wäre schade, wenn er immer nur ein Bauer bleibt. Meine Tage sind gezählt, und was soll ich mein Geld noch zusammenhalten, das Erbe fällt ohnehin irgendwann an euch, mitnehmen kann ich es nicht. Lasst ihn mehr lernen und kauft einen Traktor. Ich habe mit Großmann gesprochen der schon einen hat. Ich bezahle dreiviertel der Summe, ihr den Rest und es bleibt auch noch eine Reserve für schlechte Zeiten. Wir haben noch nie Probleme gehabt unser Getreide zu verkaufen, und mit so einer Maschine sind wir schneller und können vielleicht noch ein paar Schweine und Kühe mehr halten. Ich weiß Walther, du bist der Bauer, aber höre diesmal auf mich, es ist eine gute Lösung.“

      Es waren keine weiteren Worte nötig gewesen. Als der Vater nickte holte der Alt Bauer den Schnaps aus dem Schrank und die Männer tranken schweigend. Beide waren vor das Haus gegangen und sich auf eine Bank gesetzt, dann hatten sich eine Pfeife angesteckt und hingen ihren Gedanken nach.

      Der alte Backmann wohnte in der oberen Etage des Schulgebäudes. Zwei Zimmer standen ihm zur Verfügung und Peter Becker sah beim Hereinkommen, dass das Schlafzimmer mehr ein Verschlag war, gerade groß genug um das Bett, einen Schrank und einen Waschtisch aufzunehmen. Die Stube war größer, und an der Wand stand ein Sofa. Um den mittig platzierten Tisch waren drei Stühle gruppiert und vor dem Fenster fand sich noch Fläche für eine Kommode. An der anderen Wand reihten sich Bücher über Bücher in einem Regal. Alles in allem war der Raum so eingerichtet, dass