»Ich meine, dass es an einem Fehltritt genug ist. Dieser Arzt ist sehr verheiratet und übrigens ein verrufener Schürzenjäger, dessen Gören in der Stadt herumlaufen wie ausgesetzte Hunde, was eine so dumme Gans wie dich sicherlich nicht daran hindern könnte, oder gar gehindert hat, zu ihm ins Bett zu steigen.«
Mama wurde in den Monaten ihrer Schwangerschaft allzu oft sittliches und intellektuelles Versagen vorgehalten, und es scheint, als habe sie sich wirklich nicht ungern den Jungfernkranz abschwatzen lassen, wie Großmutter meinte. Sicherheitshalber macht sich Großvater eilig auf den Weg zur Hebamme, während das Dienstmädchen alle Vorbereitungen trifft, die meiner Geburt vorausgehen ...
Der Leser, diese mythische Größe, den keiner kennt, um dessentwillen so viele Bücher geschrieben werden, die er am Ende doch nicht liest, wird sicher längst die Frage auf der Zunge haben: Wer war der Vater? Wie kommt es, dass der Erzeuger einer oder eines Ponte nicht am Lager der Gebärenden zu finden ist, wohl aber Großvater, Großmutter und das Dienstmädchen, später noch der Arzt Doktor Wilhelmi und der Geistliche Hochwürden Fabian, der Neffe Großmutters? Genau diese Frage nach dem Verursacher der Schwangerschaft bewegte die Familie Ponte seit mindestens sechs Monaten, indessen ich wuchs und wuchs. Im sorgfältig geführten Tagebuch Mamas stehen darüber nur vage Andeutungen in der reizenden Sütterlinschrift jener Zeit. Sonst gab es von dem fraglichen Herrn nur Fragmente. Er wurde, da selbst sein Name zweifelhaft war, allgemein, als der Argentinier bezeichnet. Laut Mamas Eintragungen in ihr Tagebuch entstammte er diesem südamerikanischen Land und sei dorthin zurückgereist, ohne zu erklären, weshalb er sich übergangsweise in Müllhaeusen aufgehalten hatte. Seine Hinterlassenschaft bestand in einem Brief an Mama, der später angeblich verloren ging, seinem Foto, das uns erhalten blieb und überschrieben war mit: Hasta la vista, einem Geigenkasten mit Instrument und einem Zigarrenabschneider. Ferner ließ er noch eine zerbissene Meerschaumspitze für Zigarren zurück; sie lag in einem mit rotem Samt ausgeschlagenen Etui aus Rosenholz, war schon sehr mitgenommen, aber noch brauchbar. Großvater hat die Spitze, aus welcher der Argentinier an den wenigen Abenden, an denen ihm Mama zur Verfügung stand, einige Zigarren geraucht haben mag, für mich aufbewahrt. Jahre später habe ich sie einem texanischen Krieger und Europaliebhaber als Andenken überlassen, als die US-Armee unsere Stadt besetzt hatte, gegen eine Packung Zigaretten der Marke Chesterfield oder der mit dem Kamel, zusammen mit einem Zertifikat von meiner Hand, nach dem es sich um ein antikes Stück aus der Donkosakenzeit unter ihrem Hetmann Mazzeppa handelte, denn das Schicksal dieses Helden ward aus dem Meerschaum herausgeschnitzt und unterschiedlich gebräunt. Der Tod des Hetmanns war auf dem Meerschaum dargestellt, weshalb wir uns überhaupt nur noch an Mazzeppa erinnern; festgeschmiedet auf einem wilden Roß ritt er im bräunlichen Rauchton seinem unrühmlichen Ende entgegen.
Aber mein angeblicher Vater hatte noch etwas anderes als Hinweis auf seine irdische Existenz deponiert, wie gesagt, eine Geige mit Bogen und Kasten, einem sogenannten Dämpfer, dem Kissen als Stütze für das Kinn und etliche Ersatzsaiten. Großvater erkannte auf dem eingeklebten Werkzettel in diesem Instrument eine der Violinen des Meisters Stradivari und also von enorm pekuniärem Wert. Obschon er selber bevorzugt Harmonium spielte, erteilte mir der Alte auf dieser Geige ersten Unterricht.
Den Verhören, wie sie denn mit dem Argentinier bekannt geworden sei, setzte Mama störrisches Schweigen entgegen oder nichtssagende Bemerkungen wie: »Es ist eben gekommen, wie es mir vorherbestimmt war«, oder: »Es war Schicksal!.« Jedenfalls hatte sie es verstanden, sich für den Augenblick, der zur Zeugung eines Menschen unbedingt erforderlich ist, der strengen elterlichen Aufsicht zu entziehen, und behauptete zuletzt, wie ich schon erwähnte, es sei nicht ausgeschlossen, dass sich an ihr das Schlafwunder, das man als lässliche Sünde bezeichnet, vollzogen habe.
Es zeigte sich leider, dass die Vorsehung wenig Rücksicht auf Großmutters Wünsche nahm. Als sich alle über die Wanne beugten, in der ich schwamm, stellten sie enttäuscht fest, dass ich mich durch ein geringes, aber wichtiges Organ von einem Mädchen unterschied, viel mehr etwas zu viel Organ hatte, wenn man will. Hebamme, Arzt und Seelsorger vollführten die durch ihre Berufe vorgeschriebenen Handgriffe und Handlungen, und Großmutter fand sich mit diesem Missgriff ihrer Tochter ab, erklärte, dass sie bereit sei, auch diesen Schlag hinzunehmen, und dass mir als Zwilling immerhin der Feinsinn bleibe, was auch für unehelich geborene Knaben gelte, und zur Weitläufigkeit in keinem Widerspruch stünde. Ich erhielt den Taufnamen Jakob Maria Mathias, in Reinheit und Unschuld, jedoch unehelich geboren. Dann gingen alle wieder ihren Beschäftigungen nach ...
Bald wurde ich in mein Zimmer umquartiert. Die Beschreibung dieses Raumes, den ich später ohne kindische Blödigkeit in Besitz nahm, ist bald erledigt; aus einem Bett, einem Schreibtisch und einem Bücherregal bestand die spartanische Einrichtung. Auf dem Schreibtisch prangten zwei Büsten. Eine stellte Johann Wolfgang von Goethe dar, die andere den Führer Adolf Hitler. Als geborener Weimarer betrachtete sich mein Großvater Joseph Maria Mathias als Goethes Erbe, er sah sich als einen Nietzscheaner und Lisztianer. Obschon ihm die beiden Letzteren weniger bekannt gewesen sein dürften, behandelte er das Dreigestirn wie ihm nahestehende Verwandte oder Bekannte, obschon er sich ihnen natürlich nicht gleichstellte. Immerhin deklamierte Großvater häufig, bei passenden Anlässen Gedichte des Meisters der Deutschen.
Unser Reichskanzler Adolf Hitler hatte, nolens volens, eine kürzere Geschichte. Abgesehen von seinem Glauben an die NSDAP, der er zeitig beigetreten war, verehrte der Alte den Führer als Menschen und vertrieb dessen Büste in verschiedenen Größen und Ausführungen in seinem Laden, dreist behauptend, der bemalte Gips bestünde aus echtem Rotguss. Die mir zugefallene Skulptur hatte einen Schaden; durch den Bronze vortäuschenden und braun angestrichenen Gips ging ein feiner Riss; so kam sie auf meinen Schreibtisch. In meinem hohen Lehnstuhl ging ich beinahe verloren, wenn ich auf einem sogenannten Tischklavier Etüden übte, wie sie mir Großvater beizeiten aufgab, der ein wirklicher Musikant war, mit einem feinen Gehör für den rechten Ton. In seinem Verein sang er stets die Tenorsoli. Ich wuchs heran, wie jedes Kind heranwächst; mag sein Eintritt in die Welt nun begrüßt worden sein oder nicht. In meine erste Lebenszeit fällt eine Begebenheit, die zwar ein ungünstiges Licht auf Mama wirft, aber erwähnt werden muss, weil sie die Verhältnisse meiner Familie zu Doktor Wilhelmi und untereinander aufhellt.
Die Pontes verdienten ihr Geld neben den Uhren durch den Verkauf billigen schönen Schmucks jener Art, der von Ignoranten als Talmi bezeichnet wird. Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm; besonders nicht die Welt des schönen Scheins, muss hinzugesetzt werden. Schrie ich, verlangte ich nach mehr Fürsorge, so gaben sie mir einen von den großen oder kleinen Klunkern aus der Ladentheke, in der dieses Zeug schlummerte, was allemal höchste Seligkeit bei mir hervorrief. An dem Scheingold herumsaugend, verschluckte ich eines Tages eine Brosche, diese setzte sich im hinteren Rachenraum fest und war von keinem der Hausgenossen wieder zu entfernen, auch nicht vom Dienstmädchen, dem vernünftigsten Wesen im Knochenhauerinnungshaus. Ich schrie, Zeter und Mordio, wie man wohl gesagt haben mag, wurde blau im Gesicht, man fürchtete, ich würde ersticken, und schickte eilends nach dem Arzt. Doktor Wilhelmi stürzte herbei und brachte nach einer kleinen Operation die Brosche wieder ans Tageslicht.
Glücklicherweise sind Arzt und Seelsorger