Schmelzpunkt. null klenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: null klenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847634782
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größer gebliebenen Gipsteile zertrat sie und verschwand, geschmeidig wie eine Katze.

      Szene 6

      Es sollte mal wieder aufgeräumt werden auf dem Hof der Kunstgießerei. Metallreste waren in Container einzupacken, und diese sollten dann einen Platz hinter der Halle finden. Einerseits der Ordnung wegen, andrerseits sollten keine Diebe angelockt werden. Die Metallpreise hatten angezogen, und außerdem berichtete der Nachbar, er habe mehrmals fremde Gestalten gesehen. Sie seien um die Gebäude gestrichen, als ob sie etwas suchten. Leider habe er nichts Genaueres zu erkennen vermocht.

      Der Chef der Gießerei wollte auch einige der Negativformen entsorgen lassen, Platz schaffen für folgende. Wenn alles so vollgepackt sei, könnten sich auch Ratten angezogen fühlen, dort, im Schutze der vielen herumliegenden Materialien ihre zahlreichen Familienmitglieder aufzuziehen. Ein Geselle hatte gestern eine gesehen, die auf einem Formenregal herumgeturnt sei. Also, angepackt und weg mit dem Zeug.

      Wenig später waren einige Arbeitskräfte damit beschäftigt. Der Gabelstapler flitzte hin und her, Metallstücke krachten in die Container, die danach hinter die Halle gerollt wurden.

      Jetzt gingen drei Mann die Negativformen an. Die Silikonmatten wurden herausgerissen und in einen speziellen Behälter geworfen, da dieses Zeug in den Sondermüll sollte. Der Gabelstapler griff sich nun die sperrigen Gipsformen. Schnell war der Container gefüllt. Eine hohe Stellage mit Formen blieb aber noch stehen, war bisher unangetastet.

      Gerade wollten die Arme des Staplers die oberste Form abheben, da dröhnte das Zeichen zum Ende des Arbeitstages. Lassen wir das mal. Morgen ist auch noch ein Tag.

      Der Stapler entfernte sich surrend zum Ladegerät für den Akku. Es wurde ruhiger auf dem Hofplatz.

      Wenn nicht noch einige Vögel gezwitschert hätten, dann könnte man von einer nun folgenden Totenstille sprechen. Totenstille, Stille des Todes.

      Szene 7

      Zu dem Restaurant führte eine breite Freitreppe. Links und rechts von ihr standen je zwei Kandelaber, die abends mit festlicher Beleuchtung zum Betreten des Hauses luden. Der gediegene Klinkerbau hatte schon viele Jahre kommen und gehen gesehen, und in diesen Jahren auch eine weitaus größere Zahl von Gästen. Deren Bekleidung, vor allem die der weiblichen Gäste, hatte sich im Laufe der Zeiten stets je nach der gängigen Mode gewandelt. aber sie hatte immer von erlesener Qualität und anspruchsvollem Geschmack gezeugt.

      Doch jetzt zeigte die Uhr erst den späten Vormittag an. Die Leuchter präsentierten sich blass und kühl. Inspektor Hagerouse war nicht elegant gekleidet. Solche Textilien besaß er gar nicht, denn sein Dienstherr, “Vater Staat”, wie er ihn nannte, hielt ihn von der Bezahlung her an der kurzen Leine. Die Beschwerden darüber kannte man ja auch zur Genüge aus den üblichen Tatort-Krimis. Doch lassen wir das.

      Hagerouse war jetzt im Dienst, nur der Fall juckte ihn zurzeit. Etwas knurrig war er außerdem, weil dieser Tag bereits am Vormittag solchen Stress gebracht hatte. Selbst die kleine Maus, die mit dem Sommelier, konnte ihn nicht milder stimmen, obwohl sie munter versuchte, seinen Schritt zu halten. Clever war das schon gewesen, das mit dem Korken.

      Hagerouse trat auf die erste Stufe der Freitreppe, da öffnete sich die polierte Metalltür des in Sandstein gefassten Portals und ein seinen Trolly ziehender Herr steuerte sein wartendes Taxi an.

      Schnell stellten sich die Augen vom hellen Tageslicht um auf das etwas gedämpfte Entree des Goldenen Ritters, denn so hieß dieses Hotelrestaurant. Kunstvoller Parkettboden wechselte sich mit weichen Teppichen ab, die jedes Geräusch mordeten. Ach ja, keine Ablenkung hier. Es geht um einen Mord. Der sollte schnell aufgeklärt werden.

      Also Dienstmiene und Polizeiausweis hervorgeholt. Ach Mädchen, deinen hättest du nicht zu zeigen brauchen. Ich bin vor Ort der Wichtigste, du bist nur zu meiner Begleitung hier. Aber seltsamerweise schaut sich der Tagesportier ihren Ausweis

      genauer an. Der will wohl ihren Namen und ihre Adresse.

      Dieser Rüpel. Kann mich kennen -lernen. Also bitte, den Geschäftsführer. Keine Zeit? Dann gehen wir zu ihm. Eine Mordsache kann nicht warten. Gut, wir warten hier.

      Schon richtig, den Petruswein haben wir, besser gesagt, wir hatten noch eine Flasche. Aber die wurde am gestrigen Abend bestellt und auch getrunken. Wie kommen Sie eigentlich darauf? So? Sie haben den Korken dieser Flasche? Das glaube ich einfach nicht. O ja, da ist er. Wirklich, das ist der Korken einer Flasche Petruswein.

      Genüsslich inhaliert der Geschäftsführer den Weinduft, der noch immer diesen Korken zu einem Adligen unter Millionen von Flaschenkorken werden ließ. Ein liebevolles, wohlwollendes Lächeln lässt für einen Augenblick das Gesicht des Mannes erblühen. Dann jedoch erstarrt es im Nu. Aus der Hosentasche einer Leiche haben Sie ihn gezogen? Einer Leiche?

      Wachsbleich lässt er den Korken fallen, wie eine verwesende Maus. Der liegt verachtet und verloren auf dem Fußboden, bis die junge Polizistin ihn aufhebt. Immerhin ist er noch ein Beweisstück.

      Hagerouse will jetzt Fakten. Wer hat den Wein bestellt, wer ihn getrunken? Die grauen Augen fordern. Lassen kein Herumeiern zu. Nun? Sichtlich verlegen windet sich der Leiter des edlen Hauses. Das kann ich nicht sagen. Unsere Gepflogenheit ist, jeden Gast zu schützen. Es soll auch heute noch, in einer Zeit der digitalen Information, Privates geschützt werden. Auf die Frage, welches Privatleben eine blutige Leiche noch habe, zuckt er zusammen. Wir wissen noch nicht, wer dieser Tote ist. Nun also?

      Es ist ein angesehener Unternehmer aus dieser Stadt. Weiter. Sein Unternehmen verändert das Stadtbild. Weiter. Es nennt sich: Logistik zum Niederlegen und Entsorgen. Was? Wie heißt das? Die Firma reißt alte und überflüssige Gebäude ab und entsorgt den Bauschutt. Ach so. Und jetzt endlich den Namen. Es ist, es war, er heißt Grasemacher. Wo er wohnt, weiß ich nicht genau. Danke für die Auskunft, hat aber auch lange gedauert. Eine kleine Frage hätte ich auch noch, Herr Inspektor. Wie ist Herr Grasemacher umgekommen? Man hat ihm in den Bauch gestochen. Wiederseh`n.

      Szene 8

      Eine mittelgroße, etwas korpulente Frau näherte sich dem Haus. Der breite Vorgarten war durchquert, den Schlüssel trug sie bereits in der Hand. Nun die Haustür, dekoriert mit einigen etwas erotischen Schnitzereien, aufgeschlossen. Seltsame Stille herrschte im Eingangsbereich. Nur von ferne, aus dem Atelier, war leise Musik zu hören. Wohl aus dem Radio. Also war er doch zu Hause. Ich bin da, rief sie, ich bringe nur die Sachen in die Küche.

      Dann öffnete sie die blaue Tür zu seinem Atelier. Die Musik wurde deutlicher und dann gerade unterbrochen durch einen Nachrichtensprecher. Das alles nahm sie nur am Rande auf, denn ihre Blicke suchten den Mann, den Bildhauer Walter

      Seliger. Doch sie hängten sich auf an einem Durcheinander, das, trotz aller bisher gewohnten Unordnung im Atelier, feindselig wirkte. Umgestürzte Sockel, zerfetztes Papier, schwarz beschmierte Zeichnungen, zertretene Gipsbrocken. Hier musste einer gewütet haben, der irgendetwas gegen die Kunst oder gegen den Künstler selbst hatte. Nicht nur Zorn, sondern Hass, kalten Hass. Aber wer? Kurz blickte sie zur Außentür. Auch das noch. Eine eingeschlagene Fensterscheibe, Glassplitter auf dem Fußboden.

      Walter? Walter, rief sie. Ihre Stimme war eindringlich, fast hilfesuchend. Entschlossen ging sie schnellen Schrittes zum Radio. Die Nachrichtensendung lief immer noch, und sie hörte den Namen Grasemacher, nahm das aber nicht bewusst auf. Sie schaltete den Apparat aus. Die letzte Nachricht hatte sie schon nicht mehr wahr genommen. Sie griff zum Telefon und tippte wie getrieben die Notrufnummer der Polizei. Ebenso rasch, aber mit sicherer und beruhigender Stimme, meldete sich die Polizeidienststelle. Hier ist eingebrochen worden, Tür kaputt, Figuren kaputt, alles durcheinander. Wer spricht denn da? Wer sind Sie? Ich bin doch die Muse. Ach Quatsch, ich bin Lisa Mallo. Ich bin das Modell und die Muse von Walter Seliger. Den kenne ich nicht. Und nun wurde unter geduldiger Hilfe mit etwas erregter Stimme klargestellt, dass Walter Seliger ein Bildhauer sei, den sie aber gerade jetzt nicht finden könne. Das