Andererseits fühlte ich mich dann vielleicht besser und energiegeladener... Diese grauenvolle Unordnung hatte mir zuletzt ziemlich aufs Gemüt gedrückt, und je mehr die Berge anwuchsen, desto unfähiger hatte ich mich gefühlt, irgendwo anzufangen, um das Chaos in den Griff zu kriegen...
Die Leute um mich herum sahen aus, als wälzten sie ähnliche Gedanken. Kunststück, im 24/7 wuschen nur Versager wie ich. Alle anderen hatten eine eigene Waschmaschine oder wohnten doch wenigstens in einer Anlage, wo eine im Keller stand. Oder sie trugen einfach alles in die Reinigung und ließen es dort auch gleich noch bügeln. Reiche Faulpelze!
Ich genoss ein paar Minuten lang meine proletarische Askese, aber wenn ich ehrlich war, hätte ich am liebsten eine Zofe gehabt, die sich um meine Klamotten kümmerte, wusch, bügelte, Knöpfe annähte, Schuhe putzte und die Wohnung aufräumte. Ich war bloß neidisch auf Leute, die gut genug verdienten, um dererlei Lästigkeiten zu delegieren. Und auf alle Männer, die sich fürs Grobe eine Ehefrau hielten. Ja, eine Ehefrau, das wär´s! Aber der musste man mehr bieten als ein Einzimmerappartement. Außerdem stand ich doch eher auf Männer, und die konnte man leider für gar nichts gebrauchen. Das Männchen der Spezies war nur notdürftig domestizierbar, das hatte ich schon in der Schule gelernt. Ich stand schmerzgepeinigt auf und warf die Wäsche in zwei Trockner, ließ die Münzen in den Schacht fallen und setzte mich vorsichtig. „Sport gemacht?“, fragte eine Frau neben mir und sah von ihrer Frauenzeitschrift auf.
Schöne Nägel in zehn Minuten.
„Nein. Neuer Job – aber der Effekt ist der gleiche.“
„Wenn es richtig wehtut, ist es bestimmt gut für die Figur, damit tröste ich mich immer“, gab sie zu bedenken.
Ich musste lachen. „Hoffentlich! Aber mir tun vor allem die Füße weh, und so dick sind die eigentlich nicht. Allerdings fühlen sie sich im Moment so an.“
„Das lässt schnell nach. Was ist das für ein Job? Verkaufen? Umfragen? Propagieren?“
„Hilfsdienste im Supermarkt. Was bedeutet Propagieren?“
Aus alt mach neu – peppige T-Shirts!
„Propagieren, das ist, wenn man auf dem Markt steht und den Leuten erzählt, wie toll der neuartige Gurkenhobel oder dieses Superfleckenwasser ist, mit dem man einen graubraunen Teppich in einen weißen mit Rosenmuster verwandeln kann.“
„Ach so! Da gucke ich ganz gerne zu, aber ich finde den Teppich nachher schlimmer als vorher – ich meine, Rosenmuster? Das passt doch zu gar nichts.“
Neue Energie – die fünf besten Wochenendkuren.
Vielleicht wäre das mal was für mich?
„Stimmt“, sagte die Frau neben mir, „aber die verdienen gar nicht so schlecht. Der Schund kostet ja nicht viel, das nehmen viele Leute so mit. Ich hab das mal gemacht, aber abends hat man nicht nur Plattfüße, sondern ist auch total heiser. Lieber ein friedlicher Bürojob.“
„Hätte ich auch gerne, aber ich hab erstmal nur was im Supermarkt gefunden. Bei euch im Büro suchen sie nicht zufällig noch jemanden für die Ablage oder so?“
„Nein, dafür haben sie ja mich. Wenigstens, bis ich mit der Uni fertig bin, dann sehen wir weiter. Was studierst du?“
„Medienwissenschaften – aber ich bin schon fertig. Bis einschließlich Dienstag hatte ich auch schon einen Job in einer Agentur, aber dann haben sie mich gefeuert...“ Bis ich vor meiner Nachbarin die ganze Geschichte ausgebreitet hatte, waren die Trockner schon längst fertig und die Wäsche war soweit abgekühlt, dass man sie nicht mehr glattstreichen konnte.
Egal. Ich faltete den Kram trotzdem irgendwie und packte ihn ein.
„Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich, während ich versuchte, ein Billig-T-Shirt mit schiefen Nähten ordentlich zusammenzulegen. „Vanessa Stutz. Und du?“
„Heike Unger. Was studierst du?“
„Jura und BWL. Ich soll mal später Papas Kanzlei übernehmen, aber meine Eltern sind dermaßen lästig, dass ich lieber hierher gezogen bin. Viel ursprünglicher, finde ich – in Rothenwald sitzt man ja wirklich unter einer Käseglocke. Behütete höhere Tochter. Allein schon dieser affige Name!“
„Vanessa ist doch ganz schick?“
„Ach komm, das ist der totale Poppername. Mir gefällt´s in Spitzing. Basis, sozusagen.“
„Ich würde schon ganz gerne woanders wohnen, aber dazu brauche ich erstmal ein anständiges Gehalt. So toll zahlt der Feinkostkeller nicht. Ach, zurzeit bin ich eben schlecht bestrahlt...“
„Werbung“, wiederholte Vanessa nachdenklich und schaufelte ihren Kram aus dem Nachbartrockner in einen Korb. „Ich kann mich mal umhören, vielleicht weiß mein Vater was, wenn er nicht mehr schmollt. Gibst du mir deine Telefonnummer?“ Wir tauschten unsere Handynummern aus. Nettes Mädchen, fand ich, als ich zu Hause meinen verknitterten Kram in den Schrank schichtete und versuchte, die Stapel einigermaßen zu begradigen. Garantiert wusste sie auch nichts - meine Slapsticknummer bei Hamm hatte sie zum Kichern gebracht, ihr aber auch mitfühlende Laute entlockt. Sonst tat ich ja keinem leid – außer mir selbst! Post hatte ich auch keine – bis auf zwei Werbesendungen ohne Adresse, die ich Meinerz´ in den Kasten steckte.
Dann stand ich fußlahm mitten im Zimmer. Bett oder Gardinen? Bett, sagten meine Füße. Leg uns hoch, du hast es dir verdient! Schweinehunde.
Ich nahm die Gardinen ab und ließ lauwarmes Wasser in die Badewanne laufen. Einen Rest Feinwaschmittel fand ich auch noch, und als ich die Gardinen in die Lauge geworfen und ein bisschen herumgerührt hatte, staunte ich doch, welch graue Brühe sich da bildete. Eklig – soviel Dreck hatte ich vor dem Fenster gehabt?
Vielleicht sollte ich auch mal das Fenster... Wenigstens ein bisschen!
Mit einem zusammengeknüllten Stück Küchenrolle und dem Glasspray ging ich an die Arbeit und betrachtete mir eine Viertelstunde später zufrieden mein Werk. In diesem Moment kam die gerade untergehende Sonne hinter einer Wolke hervor und beschien das Fenster, das total verschmiert war – ich hatte den Dreck nur verteilt und nichts geputzt. Scheußlich. Also, noch mal, und mit mehr Wasser!
Nach dem zweiten Durchgang waren die Fenster immerhin bloß noch streifig. Also, als Putzfrau brauchte ich es nicht zu versuchen, dazu war ich wirklich zu schlecht. Immerhin sah man, dass ich geputzt hatte, und das reichte doch vorerst! Ich wischte noch eine dicke Schicht aus Staub und toten Fliegen vom Fensterbrett, saugte das Gröbste auf und spülte die Gardinen aus. Immer neue graue Wolken quollen im Spülwasser auf. Äh!
Schließlich wurde das Wasser aber doch etwas klarer, und ich hängte die ausgedrückten Gardinen über den Handtuchhalter. Hunger hatte ich. In letzter Zeit hatte ich so wenig gegessen, da musste ich doch eigentlich was abgenommen haben? Sechzig Kilo hatte ich beim letzten Mal gewogen, an Neujahr... Die Waage – wo war die Waage? Seitdem ich mal eine Phase gehabt hatte, in der ich mich dreimal täglich frustriert gewogen hatte, hatte ich sie verräumt, aber wohin? Wo hatte ich sie an Neujahr gefunden?
Ganz unten im Kleiderschrank... nein. Im Küchenschrank, unter der Spüle – Bingo! Ich trug sie ins Bad, zog die Schuhe aus und stieg drauf. Zweiundsechzig, Mist aber auch! Hatte ich seit Neujahr dermaßen viel gefuttert?
Mit dem üblichen Frust trug ich sie wieder zurück und nahm mir vor, die vielen verknüllten Plastiktüten, die auch unter der Spüle wohnten, mal aufzubrauchen und keine neuen mehr zu kaufen. Also strich ich eine ordentlich glatt, faltete sie klein und verstaute sie in meiner Tasche, damit ich sie bei Einkäufen immer griffbereit hatte.
Sehr wohl organisiert! Der Gipfel an Spießigkeit wäre es natürlich, so einen Einkaufswagenchip am Schlüsselbund hängen zu haben – aber so effizient wollte ich nun auch wieder nicht sein, das war zu öde und unspontan.
Ich sah mich weiter tatendurstig um. Ach ja, eine Kiste mit Schotter...
Ich