Alexander Schalck-Golodkowski. Matthias Rathmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Rathmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737529952
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familiäre Umgang, großzügige Provisionen und gewinnträchtige Perspektiven gefielen auch Hans Fruck, der sich anlässlich eines Empfanges im Hause März „(...) unter falschen Namen an die Tafel begab." 29

      Dass Goldenberg für das MfS tätig war, störte die bundesdeutschen Geschäftspartner nicht. Sie beteuerten ihr Unwissen. Als Goldenberg auch im Hause März geschäftlich aktiv wurde, informierte der Bundesnachrichtendienst das bayerische Amt für Verfassungsschutz über seine Erkenntnisse zur Person Goldenberg sowie über acht Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen den Flüchtigen. Das Landesamt bat im „(...) Hinblick auf die Beziehungen des Vorsitzenden der CSU, Herrn Dr. Franz Josef Strauß, zu den Gebr. März (...)" seinen Dienstherrn, den bayerischen Innenminister Alfred Seidl, zu prüfen, ob „(...) weitere Klärungsmaßnahmen durchgeführt werden können." 30 Der antwortete prompt: „(k)eine Schritte gegen G." 31

      Lange Zeit sind die Verbindungen des ehemaligen bayerischen Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, zu KoKo- und MfS-Mitarbeitern in der bundesdeutschen Öffentlichkeit diskutiert worden. Sie sollten weitaus enger sein als bis zum Zusammenbruch der DDR vermutet wurde, und die Kontakte zu den Brüdern März sollten sich später als Rettung in erdrückender Not erweisen.

      Wie Libermann verfügte also auch Goldenberg über zahlreiche Geschäftskontakte in aller Welt. Im Auftrag des MfS gründete er ab Ende der 50er Jahre mehrere Handelsgesellschaften in der Schweiz und Liechtenstein, darunter die deutsch-französische Ex- und Importfirma TRADIMEX. Die in dieser frühen Phase gegründeten MfS-Unternehmen waren die Grundlage für das spätere KoKo-Imperium Schalcks. Das Strickmuster beider war einfach: sie versorgten die MfS-Offiziere und SED-Funktionäre mit allem, was gewünscht, auf den heimischen Märkten aber nicht zu kaufen war. Großzügige Geschenke an bedeutende Persönlichkeiten eröffneten neue Beziehungen, schufen Vertrauen. Derartiger Geschäftssinn brachte neben persönlicher Anerkennung vor allem eins: Abhängigkeitsverhältnisse. Schon bald entwickelten sich zwischen den so Verbundenen „echte Männerfreundschaften", die auch Schalck begeistert haben dürften. Man half sich. So etwa geschehen, als Libermann wegen jener Geldfälschung der Hundertmarkscheine im Gefängnis saß. Er floh über die Schweiz nach Ost-Berlin. Von seinem Freund Goldenberg hatte er hier für den Notfall eine Adresse erhalten, die von Hans Fruck. Der zeigte sich wohlwollend und verschaffte dem Flüchtling eine Wohnung, Geld, ein Auto und eine neue Ehefrau. Helga Scheufler, Tochter eines MfS-Mitarbeiters, wurde auserkoren, Goldenberg zum Staatsbürger der DDR zu machen. Mit der Zeit pflegte auch Schalck persönliche Kontakte zu diesem Kreis. Der Umstand, dass auch Libermann einen Teil seiner Kindheit in Polen verlebte, mag beide noch ein bisschen näher gebracht haben.

      Hans Fruck starb im Dezember 1990 und mit ihm „(...) ein echtes nachrichtendienstliches Genie." 32 In über dreißig Jahren hatte er einen der effektivsten Geheimdienste der Welt geschaffen. Bis 1977 war er Stellvertreter von Markus Wolf, dem Chef der HVA. Zeugen erinnern sich daran, dass Fruck den Umsturz „seines" DDR-Regimes seelisch nicht verkraftete. Der einstige sozialistische Kämpfer registrierte voller Enttäuschung, dass Bürgerkomitees und Ermittlungsbehörden sein Lebenswerk binnen weniger Monate enttarnten und auflösten. Der ehemals so mächtige Staatssicherheitsapparat zerbrach und mit ihm Hans Fruck.

      Fruck war Politiker. Schon als Jugendlicher hob er die Faust zum Zeichen seines ausgeprägten, sozialistischen Kampfeswillens. Während seine Kameraden dem anderen Geschlecht nachstellten, diskutierte er über die Theorien von Marx und Engels. Mit 19 Jahren trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands. Als Redakteur zur Aushilfe schrieb er für deren Verlag des „Reichskomitees der Revolutionären Gewerkschaftsopposition". Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging Fruck in den Widerstand. Er betreute die Gruppe um Walter Husemann und bildete den Widerständler Herbert Baum aus. Sein Aufstieg zu einem wichtigen KPD-Funktionär brachte ihn schließlich ins Gefängnis. Im August 1943 wurde Fruck von der Gestapo verhaftet und wegen „Hochverrat" zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Zuchthaus Brandenburg saß gleichfalls Erich Honecker ein. Am 27. April 1945 stürmten sowjetische Soldaten das Gefängnis, und Fruck schloss sich sofort der Roten Armee auf deren Marsch nach Berlin an. „Wir wussten, dass jetzt jeder gebraucht wird (...)." 33 Er verfolgte SS-Anghörige, Gestapo-Spitzel und KZ-Wächter. Die Abteilung „K5" wurde gegründet, ein Vorläufer des Ministeriums für Staatssicherheit. Fruck wurde Leiter der Berliner Filiale. Zu seiner Abteilung gehörte auch Paul Laufer, der erste Führungsoffizier von Günter Guillaume.

      Für die Kaderpolitik und die Schulungsarbeit in der sowjetisch besetzten Zone war Erich Mielke seit 1946 verantwortlich. 34 Aus seinem Dunstkreis wollte Fruck jedoch so rasch als möglich entfliehen. Gegen den intriganten Mielke hegte er eine tiefe Abneigung. Mit der Gründung des MfS 1950 wurde Fruck zum Chef der Berliner Verwaltung. Als 1952 Markus Wolf von Walter Ulbricht zum Leiter der Spionageabteilung ernannt wurde, verfügte Hans Fruck bereits über schlagkräftige Agentenringe. Selbst Mielke, neidisch und eifersüchtig ob der Erfolge Frucks, konnte den so Erfolgreichen nicht mehr angreifen. Der hatte seinerseits gewichtige Fürsprecher gefunden: von Frucks exklusiven deutsch-deutschen Nachrichtenkanälen profitierte nämlich ein weiterer „befreundeter Dienst": der sowjetische Geheimdienst KGB. Fruck hatte es mit Beginn seiner Arbeit geschafft, zwei Ziele zu vereinen. Seine Agenten spionierten in bundesdeutschen Ministerien und spähten die Akten der Verbündeten aus, und über Libermann und Goldenberg gründete er als Privatunternehmen getarnte MfS-Filialen, die die bittere Warenknappheit kommunistischer Planwirtschaft mildern halfen. Über diese Unternehmen knüpfte er ein Netz, von Ost nach West, in die ganze Welt. Die Verbindung von Handel und Wirtschaftsspionage war seine oberste Prämisse. Als Markus Wolf Chef der neu gegründeten Hauptabteilung Aufklärung wurde, benötigte er die Begabung und Kontakte Frucks. Der wiederum willigte nur ein, wenn Wolf ihm den „unberechenbaren Überzeugungstäter" Mielke fern hielt. 35

      Erst als Hans Fruck 1957 Wolfs Stellvertreter wurde, erlebte die HVA ihre nachrichtendienstliche Blütezeit, kam auch die illegale Umgehung der Rechtsvorschriften im innerdeutschen Handel richtig in Schwung. Die HVA als „Sperrspitze des Kommunismus" war nicht mehr allein reines Aufklärungswerkzeug. Sie beeinflusste durch konspirative Verbindungen zu Bonner Politgrößen quer durch alle Parteien gleichfalls deutsch- deutsche Politik, und sie garantierte die Versorgung der DDR-Wirtschaft mit Embargogütern. In dieser Gesellschaft bestehend aus Intellektuellen, Kommunisten, aber auch Kriminellen und politischen Desperados, begann die Karriere Schalcks. Seine Ausbildung startete er von ganz unten.

      Herausforderung Außenhandel

      Die wirtschaftlichen Voraussetzungen beider deutscher Staaten, unter denen Schalcks Aufstieg begann, hätten ungleicher kaum seien können. Währen in der Bundesrepublik das sog. „Wirtschaftswunder" seinen Lauf nahm, litt die DDR unter den extremen Reparationsforderungen der UdSSR Nach den Unterlagen des sowjetischen Amtes für Reparationen und nach Berechnungen westlicher Wirtschaftsexperten beliefen sich die Verluste für die östliche Volkswirtschaft bis zum Ende der Zahlungen 1953 auf die gewaltige Summe von über 70 Milliarden DM. 36 Die UdSSR beutete die DDR hemmungslos aus. Allein in Berlin wurden 460 Industriebetriebe demontiert, Brikettfabriken und Kraftwerke gingen komplett in die Ukraine. Alle Konten wurden gesperrt, sechs Milliarden Reichsbanknoten beschlagnahmt. Das zweite Eisenbahngleis wurde von den Schwellen gerissen, das Inventar der Zeiss-Werke komplett abtransportiert. Dann ließen sich die sowjetischen Machthaber noch ihre Besatzung bezahlen: jährlich neun Milliarden DM-Mark, die die DDR mit einem enormen Warenstrom zu quittieren hatte. „Raubt, so viel Ihr könnt", hatte Stalin aufgefordert. 37 Und: die Infrastruktur samt Logistik, für ein gesundes Wirtschaftswachstum unerlässliche Faktoren, waren durch den Krieg fast völlig zerstört.

      Der ostdeutsche Nachbarstaat ordnete sich allein dem wirtschaftspolitischen Willen seines Besatzers unter. Die sozialistische Planwirtschaft war von Moskau als nationales Credo verordnet worden, ausschließlich die Sowjetische Militäradministration (SMAD) entschied bis zur Staatsgründung 1949 über die Binnen- und Außenwirtschaft. Mit dem „Sequesterbefehl" 1946 wurden die wichtigsten und effektivsten Betriebe beschlagnahmt und zu „sowjetischen Aktiengesellschaften" umgewandelt. Die Bodenreform enteignete alle Privatbesitzer von mehr als 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche entschädigungslos von Grund und Boden.