entsprach dem Bild eines Männertypus, zu dem sie sich hingezogen fühlte, und das sie nun wie ein Madonnenbild verehrte. Selbst seine charmante Art zu reden oder sich einfach zu geben, sprach mit eifriger Zunge für ihre Bildschöpfung und gipfelte in einer charismatischen Ausstrahlung seiner selbst. Mit seinen unergründlichen, tiefen, grünen Augen, seinem Mund, der bei konzentriertem Nachdenken zuweilen hart wie ein Strich erschien, schlug Siegfried das Mädchen in seinem Bann, nahm es gefangen und ihr damit jegliche Möglichkeit, irgend etwas Böses zu ahnen.
War es nun von seinem Lachen, seinen schneeweißen Zähnen oder gar von den beiden tiefen Wangengrübchen verzaubert? Oder vielleicht in diesen Mann verliebt? Sybille fühlte sich mit ihrer „Alles-Auf-Eine-Karte-Strategie“ als junge, dynamische Frau mit allen Rechten auf ihrer Seite. Diese Strategie war unter den Mädchen angesagt, und stand voll im Trend der Zeit. Die Verfechterinnen dieser Taktik wussten, wann es an der Zeit ist zuzuschlagen, um sich den Anteil am Leben, der ihnen schließlich zustand, einfach zu nehmen. So auch Sybille! Ihre Vorsicht-Sicherung, die ihr Wesen normalerweise vor lauernden Gefahren warnt, schien es nicht mehr zu geben. Kann schon sein, dass diese ihr bereits seit Jahren einfach durchgebrannt war. Um Ersatz brauchte man sich da nicht zu bemühen, der ist ja mehr als flüssig und obendrein noch lästig!
So geschah es auch an diesem Sommertag.
Sybille besaß eine ganze Sammlung beruhigender innerer Stimmen. Sie dachte nur kurz:“ Egal, da wird schon nichts passieren mit so netter Begleitung an einem so herrlichen Sommertag.“ Sie schwieg und genoss den Augenblick ihrer Gefühle und Beobachtungen. Sybille wollte mit ihrer Devise: „Offen für Neues“ alle Türen geöffnet halten und keine Zuschlagen, bevor sie nicht die letzte Fun-Gelegenheit für sich abgeschöpft hatte...
So rollten das junge Pärchen durch die Landschaft und der heiße Wind zerteilte alle Gedanken, die warnten und am Ende nur noch störend waren.
Obwohl Sybilles Körpersprache ihrem Gegenüber mehr von sich verriet als tausend Worte, hatte sie beschlossen ihm noch nichts von ihrem „Bauch voller Ameisen“ zu verraten und schlug schließlich einen Ton an, der eher beiläufig klang: „Wie lange kennen wir uns denn eigentlich“? Siegfried ging auf das Spiel ein. Er beendete elegant die leicht angeschnittene Kurve und schaute angestrengt zur Uhr. „Oh, schon sehr lange“, erklärte er in gespieltem Ernst, „wir kennen uns jetzt genau 23 Stunden und warte“, er schaute noch mal auf seine Uhr, „41 Minuten“. „Es ist so ein tolles Gefühl,“ begann sie ungeniert zu schwärmen,“ es scheint so unwirklich gestern mit dir in der Disco und ist doch wahr“. „Und erst die letzte Nacht“, erwiderte er, „schien auch so unwirklich“, „und doch wahr“, hauchte die junge Frau und schaute verführerisch zu dem jungen Mann, der mit seinen 22 Jahren schon bedeutend reifer wirkte. „Mir ist, als ob ich Dich schon seit Ewigkeiten und nicht erst seit knapp 24 Stunden kenne“. „Meinst Du“, entgegnete er und sah sie tiefgründig an. Sie begegnete diesem Blick. Plötzlich schien neben ihr ein anderer Mann zu sitzen, der in keine ihrer bekannten Erscheinungen passte. Es war nicht Siegfried sondern ein greiser Mann, der in einer Kleidung steckte, die ihr total eigentümlich und fremd anmutete. Sein langnasiges, verhärmtes Gesicht war umrahmt von einem struppigen Bart, der in vielen kleinen Löckchen gekräuselt und genauso weißgrau wie sein Haar war und oberhalb des Gürtels endete. Aus dem langen Haar schauten zwei sorgsam geflochtene Zöpfe hervor, die sich gemeinsam mit der restlichen Haarfülle unter einem nach vorn spitz zulaufenden Filzhut von olivgrüner Farbe verbargen. Das gleichfarbige Gewand verführte seine Betrachterin, trotz seines einfachen Schnittes, zu der Annahme, dass sein Besitzer von nobler Herkunft sein muss. Dieses Gewand hatte der Greis einfach und ungeniert über den Körper geworfen, an Brust und Armen leicht gerafft, und endete in weitausladenden Ärmeln, aus denen zwei kräftige Unterarme schauten. Sybille wurde von dieser Erscheinung seltsamerweise kaum berührt. Kein schlagartigen Gefühle der Angst oder gar der Hysterie, die vielleicht bei solch eine prekäre Situation unabdingbar wäre, nein, das Mädchen war erfüllt mit Ruhe und Gelassenheit. Sie besaß obendrein noch die Fähigkeit, diese Situation zu beurteilen. Sie dachte übermütig: „Hops, machen wir jetzt auf David Copperfield?“.
Doch war diese Reaktion normal?
Und: von der Körperlichkeit des Greises ging ein sonderbarer Duft aus, der Sybille fast den Atem nahm. Und der Duft glich dem einer Lotusblühte nur noch um ein vielfaches Intensiver. Er war einzigartig, er war verführerisch. Sie konnte gar nicht anders als sich im Sitz zurückzulehnen und die Augen zu schließen „Ja, ich bin deine Edelfrau“ flüsterte sie als ob sie eine Frage beantwortete. Ihr Busen begann sich schneller zu heben und zu senken. Kleine spitze Schreie entflohen ihrem Mund. Sie warf den Kopf hin und her und begann noch heftiger zu atmen. Sie sog diesen Duft ein, dessen Quelle sie nicht kannte, und von dem sie trinken wollte - trinken bis zur totalen Erschöpfung. Willenlos gab sie sich den Geschehnissen hin.
Konnte sie dem noch entfliehen? Ja, wollte sie denn überhaupt?
Sie spürte wie die Säfte aus jeder Faser ihres Körpers zu fließen begannen, wie sie wild durch ihren gespannten Leib rasten, um sich im übererhitzten Zentrum ihres Ichs zu sammeln, dorthin, wo sie, wie in einem Geysir bereit standen, um heiß und explosionsartig auszubrechen.
Ihr Leib zuckte, wie unter tausend Qualen!
Das Herz pulsierte heftig in ihrem Schoß aus dem sich wohlige Strömungen (gleich glühendem Magma aus dem Inneren eines Vulkans) in ihre steigende Flut der Leidenschaft ergossen! Mit weit übergestrecktem Kopf, glich sie einer Ertrinkenden, die, wie dieser Flut entstiegen, nun dem Leben wiedergegeben war. Sie atmete ganz schnell, sie schrie kehlig laut, temperamentvoll und immer heißblütiger! Immer ungestümer und heftiger. Sie flüsterte, klammerte sich mit der linken Hand fest an Siggis Arm, warf den Kopf vor-zurück und wand sich unter wilden, erregten Schreien. Die Schenkel waren ihr auseinandergeglitten. Wild hob und senkte sich ihre Brüste, die drohten, das leichte Sommerkleid zu zerreißen. Dann durchfuhr ihr Körper ein stummer Schrei, dessen Echo sich vieltausendfach in ihrem Leib brach! Sie hielt die Luft an. Und mit einem mächtigen Zittern entspannten sich Seele und Leib, wie in vielen, kleinen Explosionen! Sybille hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie wusste nichts mehr, hatte die Augen geschlossen und genoss einfach das Abklingen dieses wilden Szenarios. Sie hatte keine Gedanken mehr und trieb wie eine leblose Puppe in die beginnende Ebbe dieser Erregung! Sie wollte auch gar nicht wissen. Der Greis hatte sie nicht einmal berührt! Egal, es war hundert Mal schöner gewesen als in der vergangenen Nacht! Wie konnte das nur geschehen? Doch Sybille war nicht mehr in der Lage darüber nachzudenken. Sie wollte auch nicht! Es war wunderschön. Nur das zählte.
Ermattet lehnte Sie sich zurück. Doch nicht lange und sie erschrak plötzlich wie eine, die aus einem Traum gerissen wird oder wie eine, die blind war und nun sah: „Was ist nun mit diesem alten Mann, der plötzlich den Wagen fährt? Wo ist Siggi?“ Ihr saß die pure Angst im Nacken! Oder war es Scham? Oder war alles nur ein irrsinniger Traum? Sybille wagte nicht ihre Augen zu öffnen. Sie spürte, wie der Wagen fuhr. Nur die Geräusche des Motors und die