»Ich wollte nur wissen, was wir damit zu tun haben?«, wiederholte sie ihre Frage und brachte Kreithmeier aus seinen Gedanken wieder zu ihr.
»Das weiß ich doch nicht. Das ist doch alles ein Missverständnis. Mich rufen sie beim Gassi gehen mit Gizmo an und sagen mir nur am Telefon, dass sie eine Leiche gefunden haben. Mehr nicht. Alles ganz geheimnisvoll. Und jetzt liegt ein toter Köter auf einem Dach einer Villa. Fertig. Ich fahre jetzt. Sollen sich doch andere Deppen darum kümmern. Ich habe mich heute schon genug zum Deppen gemacht. Einmal reicht mir.«
»Jetzt warte halt mal!«
Melanie Schütz duzte ihn, seit sie sich kannten. Es war in den neuen Bundesländern üblich gewesen, sich zu duzen. Er siezte sie. Doch das kümmerte sie nicht im Geringsten.
»Alois jetzt warte halt mal. Das ist doch noch nicht alles, oder? Einer der Feuerwehrleute hat mir erzählt, in die Villa wäre eingebrochen worden. Das wäre dann schon unser Zuständigkeitsrevier, oder sollen wir die Kollegen aus Erding holen?«
Erding, Erding, bei dem Wort zuckte er zusammen. Es war schon ein Affront, dass ihre Polizeiinspektion in dem unbedeutenden Städtchen Erding ansässig war und nicht in der Kreis- und Domstadt Freising. Zwischen Erding und Freising gab es immer Konkurrenz, ob um die Nähe zum Flughafen - der Freisinger Flughafen im Erdinger Moos - um Einkaufen und Shopping oder um die Polizeiarbeit. Freising, die weitaus größere und bedeutendere Stadt war polizeitechnisch und disziplinarisch den Erdingern unterstellt. Ein Witz, dachte Kreithmeier, die Erdinger brauchte er hier nicht. Und schon gar nicht bei diesem Fall, der eigentlich gar kein Fall war. Vor allem brauchte er nicht den Spott der Kollegen. Ein toter Hund in der Dachrinne und schon war die Freisinger Kriminalpolizei am Einsatzort. Das wäre ein gefundenes Fressen für den Kantinentratsch. Und dabei konnten Polizisten so etwas von gefühllos und taktlos sein.
»Nein, wir brauchen keine Erdinger hier, das ist gewiss.«
»Sag ich doch. Lass die Spusi mal ihren Dienst machen, sie sind sowieso schon auf dem Weg hierher, und wir befragen die Hausbewohner und die Nachbarn. Wenn wir schon mal da sind. Ach, wo ist denn dein Hund, Alois?«
»Im Auto!«, antwortete Alois kurz.
»Aha. Willst du ihn denn nicht holen, den Armen, so ganz allein im stickigen Wagen?«
»Nein. Der würde nur jeden hier anbellen und anknurren. Das brauche ich jetzt nicht. Der muss warten.«
»Na gut. Mit was fangen wir an? Es wäre sicher gut, die Schaulustigen zu besänftigen und nach Hause zuschicken. Wir brauchen vor allem keine Presse hier. Noch nicht. Und deine Kletterpartie werden wir sicher ab heute Nachmittag schon im Internet finden.«
»Meinen Sie?«
Alois fuhr es eiskalt den Rücken herunter, als er darüber nachdachte, dass er ab sofort der neue Comedystar am Himmel der bayerischen Polizei sein würde, bei seinem Akt, Feuerwehrhelm bewehrt einen toten Hund von einer kilometerlangen Leiter aus zu begutachten.
»Hallo? Jemand zu Hause?« Melanie stupfte Alois mit dem Zeigefinger auf die Stirn, nachdem dieser nichts gesagt hatte und Gedanken verloren an ihr vorbei gestarrt hatte.
»Ja, ja. Wo fangen wir an?«
»Das wollte ich gerade wissen. Aber egal. Sprechen wir mit den Hausbewohnern. Komm Alois. Gehen wir runter von der Straße.«
»Was ist denn jetzt? Brauchen Sie uns noch?«, fragte einer der Feuerwehrmänner Melanie. Alois murmelte etwas. Es war immer das Gleiche. Waren sie beide im Einsatz, wurde die Schütz immer zuerst angesprochen, obwohl er der Dienstälteste war. Das passierte entweder, weil sie eine hübsche, sexy aussehende Frau war, oder weil sie eine natürliche Dominanz, eine Führungskompetenz ausstrahlte, oder weil sie ganz einfach besser gekleidet war. Bevor Alois Kreithmeier noch etwas verständlicher sagen konnte, hatte schon die Schütz das Wort ergriffen und dem Feuerwehrmann Anweisungen gegeben.
»Die Leiter bliebt noch da, sagen Sie das Ihrem Zugführer. Wenn Ihr uns schon holen müsst, dann müsst Ihr auch warten, bis wir unsere Arbeit getan haben, und die Spurensicherung muss aufs Dach. Das ist doch klar, oder?«
»Und....?«
»Und das mit Ihrer Leiter. Ihr habt ja sicher nicht nur ein Feuerwehrauto in Eurer Garage.«
»Nein, natürlich....«
»Dann ist ja gut.....«
»Und die Kosten für den Einsatz...?«
»Vorerst der Steuerzahler, bis wir mehr wissen. Klar? Wegtreten!«
Der Feuerwehrmann salutierte vor der Kommissarin und marschierte zu seinem Zugführer um die Anweisungen weiter zu geben. Alois schüttelte seinen Kopf. Wie konnte ein Mann in Uniform von einer Frau in Highheels und Minirock nur Anweisungen annehmen? Mann und Frau, zwei Welten prallen aufeinander.
»Welches sind die Familienmitglieder des Hauses?«
Alois zögerte noch mit der Antwort, doch dann zeigte er mit dem Zeigefinger auf drei Personen: eine Frau Anfang Vierzig, ein Junge von vielleicht zwölf und ein Mädchen mit acht Jahren, die hilflos am Gartentor der Villa standen und immer wieder auf das Feuerwehrauto, die Leiter und das Dach blickten.
»Gut gehen wir!«, befahl Melanie und stakste auf die drei zu.
»Melanie Schütz, Kriminalpolizei, und das ist mein Kollege Alois Kreithmeier. Können wir ins Haus gehen? Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Ja, bitte. Kommen Sie. Ich gehe voran, folgen Sie mir bitte!«, sprach die Frau, nahm ihre beiden Kinder an die Hand und schritt vor den beiden Kommissaren ins Haus.
»Gehen wir ins Wohnzimmer!«
Melanie Schütz und Alois Kreithmeier folgten der Dame des Hauses. Wenn schon die Villa von außen recht beeindruckend aussah, war sie im Inneren luxuriös und hochwertig eingerichtet. Kreithmeier staunte. Hatte er doch bis jetzt noch nie, innerhalb seiner kriminalistischen Laufbahn, in einer solchen Villa zu tun gehabt. Das war eher etwas für seine Kollegen in München oder in Starnberg. Er hatte auch nicht gewusst, dass ein solcher Luxustempel in Freising stehen würde. Auch Melanie Schütz war überrascht, das konnte er an ihrer Körpersprache und Mimik erkennen. In ihrer Heimat hatte sie so etwas nie von innen betreten dürfen. Da gab es nur Plattenbauten und herunter gekommene Stadthäuser, die jetzt nach über zwanzig Jahren Wende mit dem Solidaritätszuschlag saniert sein müssten. Solche Herrschaftshäuser waren eher selten.
Das Wohnzimmer war hell und freundlich. Moderne Sitzmöbel, ein riesiger Fernseher, ein langer Esstisch und eine offene Küche, in der es an nichts fehlen durfte, bestimmten das Interieur.
»Nehmen Sie bitte Platz. Kann ich die Kinder nach oben schicken, sie sollten doch noch in die Schule gehen, oder möchten Sie sie auch sprechen?«
Melanie Schütz und Alois Kreithmeier sahen sich gegenseitig fragend an.
»Nein, nein, schicken Sie sie in die Schule! Das ist schon gut so. Wir könnten, wenn es sein muss, heute Nachmittag noch mal wieder kommen, wenn es Ihnen Recht ist«, sagte Kreithmeier.
»Danke! Bleiben Sie ruhig. David, Hannah, ihr habt es gehört, zieht euch an und geht in die Schule. Ich werde den beiden Kommissaren Rede und Antwort stehen. Wenn Sie euch noch brauchen, werden wir das schon arrangieren. Also gebt euer Mama noch einen Kuss und dann ab mit euch.«
Die beiden Kinder verabschiedeten sich mit einem Kuss bei ihrer Mutter und höflich bei den Polizisten.
»Zwei sehr gut erzogene Kinder. Bravo!«, sagte Melanie.
»Haben Sie auch Kinder?«, fragte die Mutter.
»Nein. Leider nicht«, antwortete Melanie. Alois schwieg, er fühlte sich nicht angesprochen. »Oder besser nicht«, fuhr sie fort, »Die Arbeit. Sie verstehen. Da bleibt nicht viel Zeit, und schon gar nicht für Kinder. Job und Familie. Aber lassen wir das. Wenn Sie uns kurz Ihren Namen sagen und dann möchten wir Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Sara