Argots Schwert. Johanna Danneberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Danneberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742745835
Скачать книгу
der verdirbt mir den ganzen Genuss!“

      Falk blickte immer noch Tobi hinterher. Es kam ihm so vor, als ob er leicht schwankte. Er grinste Caro breit an.

      „Spar's dir!“, sagte sie unwirsch.

      Falk dachte gar nicht daran.

      „Du hast einen exquisiten Geschmack, was Männer angeht. Allein diese schwarz verfärbte Rotweinzähne – da würd ich auch drauf abfahren!“

      Sie warf einen Stift nach ihm.

      „Irgendwie fand ich ihn mal echt toll. Ich war jung, ganz neu hier in Jena. Aber ich hab schon bald gemerkt was für ein Arschloch er ist. Wir waren mal zusammen in München, Museumstour. Er ist alle halbe Stunde in irgendein Café verschwunden. Sagte, dass er einen Espresso bräuchte. Espresso mit Schuss war’s, was er sich genehmigt hat! Einen nach dem anderen! Nachmittags um drei war er so in Fahrt, dass er mitten im Deutschen Museum angefangen hat, unsere Museumsführerin zu beleidigen, aber auf's übelste. Es war so peinlich!“

      Falk fragte sich, wie ein Espresso mit Schuss wohl schmeckte und hatte das Gefühl, selber einen gebrauchen zu können. Dann tauchte Tobi wieder auf, nahm auf seinem Stuhl Platz und erzählte weiter, nicht ohne sich vorher mit gewichtigen Blicken der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu vergewissern.

      „Um 1450 zerstritten sich die Wettiner untereinander. Es folgte der sächsischen Bruderkrieg. Im Zuge dessen wurde die Lobdeburg zerstört. Und die Wettiner teilten sich schließlich 1485 bei der Leipziger Teilung in zwei Linien, die Albertiner und die Ernestiner, nach den Brüdern Albert und Ernst. Die Leuchtenburg blieb Amtssitz, fiel aber an die Ernestiner, die zunächst auch Kurfürsten von Sachsen blieben, bis dann 1547…“

      „Stop!“, rief Falk an dieser Stelle.

      Sowohl Tobi wie auch Caro sahen ihn überrascht an, so als hätten sie nicht damit gerechnet, dass er dem Gespräch überhaupt noch folgte. Falk sagte bedächtig:

      „Wenn ich das richtig verstehe, wurde die Lobdeburg also zerstört. Die Leuchtenburg wurde Amtssitz der Wettiner. Wohin gingen denn dann die Leute, die auf den Burgen gelebt hatten? Also, diese Herren von Lobdeburg und von Leuchtenburg?”

      „Guter Einwand!“, sagte Caro.

      „Ach richtig.“, seufzte Tobi, „Ihr wolltet ja gar nichts über die Wettiner wissen... Zu schade. Also zurück zu euren Burgen. Beziehungsweise ihren Erbauern. Beide Geschlechter existierten weiter, bis heute, und beide Familien blieben in Thüringen ansässig. Die Lobdeburger bewiesen hierbei das bessere Händchen, sie ließen sich in Jena nieder und konnten sich als einflussreiche Familie etablieren. Immerhin hatten sie bei der Gründung der Stadt mitgewirkt. Sie saßen im Stadtrat, und hatten Verbindungen in kirchliche Kreise sowie zum einflussreichen Adel am Hof des Königs. Maximilian I. verlieh ihnen 1497 ein Wappen. Die Leuchtenburger hingegen waren diensthabende Ritter an anderen Adelshöfen, ohne eigene Ländereien. Da gab es zum Beispiel Ritter Kune von Leuchtenburg, der unter den Schwarzburgern bei der Thüringer Grafenkriegen in den Jahren nach 1340 in einigen Schlachten gegen die Wettiner Ruhm erlangte. Aber wie gesagt, die Wettiner waren letztlich nicht aufzuhalten.“

      Der machte Falk wahnsinnig, mit seinen Wettinern! Glücklicherweise schien es Caro ähnlich zu gehen.

      „Wo genau wohnten die Lobdeburger und Leuchtenburger?“, fragte sie.

      „Nun, die Leuchtenburger an den jeweiligen Höfen ihrer Dienstherren. Bei den Lobdeburgern ließe sich das wenn überhaupt nur mit Mühe rekonstruieren.“

      „Aber jetzt besitzen die Lobdeburger doch ein Anwesen in einem Dorf Richtung Kahla, kann das sein?“, fragte Falk, sich an eine entsprechende Bemerkung seines Vaters erinnernd.

      „Das stimmt, in Oelknitz. Am Tor prangt das Wappen der Lobdeburger: ein Pfau mit Helmzier. Soweit ich weiß ist das Grundstück aber erst seit etwa 100 Jahren im Besitz der Lobdeburger. Die Familie der Leuchtenburger übrigens besaß ein Haus hier in Jena. Das Haus, in dem die tote Frau gefunden wurde – wir sprachen ja vorhin schon davon.“

      Caro hakte nach:

      „Aber da wohnte doch schon lange niemand mehr drin, oder? Es heißt, es sei ziemlich verfallen.“

      „Nun, Marie von Leuchtenburg zog natürlich nach ihrer Hochzeit zu ihrem Mann, Paschen von Flotow. Und Maries Eltern sind beide schon lange tot. Ich denke, seitdem steht das Haus leer. Was die arme Frau an jenem Abend, vor einer Woche dazu gebracht hat, dorthin zurückzukehren – keine Ahnung. Vielleicht wollte sie es endlich verkaufen und sich vorher noch einmal umsehen.“

      Alle drei schwiegen einen Moment. Falk begutachtete eingehend sein Apfelsaftglas, Caro machte sich Notizen, und Tobi gönnte sich einen Schluck Rotwein.

      „Was hat es eigentlich mit deiner komischen Andeutung von vorhin auf sich – dass sich die Herren ZUNÄCHST noch nicht zerstritten hätten?!“, fragte Caro schließlich abrupt.

      „Hast gut aufgepasst, was? Nun, ganz einfach: die Familien gelten seit Jahrhunderten als verfeindet. Irgendetwas war vorgefallen, in dieser Zeit zwischen 1333 und 1340, als beide Geschlechter ihre Hausburgen verloren hatten, kurz hintereinander. Man munkelte, dass es die Leuchtenburger waren, die damals die Lobdeburger an die Wettiner verrieten. Die Leuchtenburger hatten ihre Burg ja schon verkaufen müssen. Vielleicht verkrafteten sie diese Demütigung nicht. Die Eroberung der Lobdeburg jedenfalls, nur kurz danach, muss auffallend schnell gegangen sein. Viel ist darüber leider nicht bekannt. Nur dass die Lobdeburg dabei so stark zerstört wurde, dass ein Wiederaufbau offenbar nicht mehr lohnte.“

      „Wie bist du denn auf diese Spur gekommen, also dass die Familien als verfeindet galten?“

      Belustigt schaute Tobi zu Caro hinüber.

      „Ich bin Historiker, Caro. Ich lese historische Quellen, übersetze und bewerte sie. So wie du es eigentlich auch tun solltest. Oder bist du zu beschäftigt mit Radiomachen?“

      Falk stellte sich die beiden als ein sich ewig streitendes altes Ehepaar vor. Caro überging unterdessen die Frage.

      „Ich nehme demnach an, du hast die Hinweise zu deinen Vermutungen im Archiv gefunden.“, stellte sie fest.

      „Ganz richtig.“, nickte Tobi. „Apropos: wie geht es eigentlich voran mit der Magisterarbeit?“

      Caro stutzte, schob dann mit einer ungeduldigen Bewegung sämtliche Notizzettel zusammen und sagte:

      „Das war alles sehr aufschlussreich, Tobi. Aber ich denke, das reicht jetzt. Wollen wir, Falk?“

      Sie war bereits aufgestanden und Falk fing einen durchdringenden Blick von ihr auf. Ihm war es nur recht. Er fand, sie hatten von Tobi zwar eine Unmenge an Zahlen und Daten erfahren, jedoch nichts, was ihnen wirklich weiterhalf. Außerdem musste er aufs Klo.

      Tobi indes machte keine Anstalten, sich von seinem Stuhl zu bewegen. Stattdessen sagte er:

      „Ich denke, dieser jahrhundertealte Streit ist eine Fehde. Und ich denke, dass der Tod von Marie von Flotow, geborene Leuchtenburg, etwas damit zu tun hat.“

       *

      Entgeistert starrte Falk erst zu Tobi, der anfing, sich eine weitere Zigarette zu rollen, und dann zu Caro. Die hatte ihre Jacke schon halb übergezogen, und hielt nun inne.

      „Eine Fehde? Tobi, das Fehdewesen steht unter Strafe, seit der Allgemeine Landfriede ausgesprochen wurde. Wann war das: 1200? Und außerdem…“, entschlossen knöpfte sie ihre Lederjacke zu. „… ist das doch kompletter Schwachsinn!“

      „Aber interessieren tut es dich schon.“, stellte Tobi eher beiläufig fest, und steckte sich seine Zigarette hinters Ohr.

      Jetzt war es an Falk, Caro vielsagend anzusehen. Sie durfte unter keinen Umständen ein allzu auffälliges Interesse an dem Thema zeigen! Caro nickte unmerklich und sagte schnell:

      „Tobi, in allen Nachrichten wurde über die tote Frau berichtet. Jeder wollte wissen, was dahinter steckt. Und was war: eine alte Schnapsdrossel ist die Treppe runter gefallen.“