»Meine Begabung?«, wiederhole ich nur.
Ich stehe wie angewurzelt da. Meine Knie zittern leicht. Ich sehe dem Mann zu, wie er aus einer Schreibtischschublade einen Kasten mit Schreiber, Kabel und Knöpfen hervorholt. Ich weiß sofort, was es ist.
Ich muss mich setzen. Er verkabelt mich an Zeigefinger und Oberkörper. Was jetzt geschieht, entspricht nun doch einer meiner zahlreichen Visionen von dem Talenttest.
»Wissen Sie, was das für ein Gerät ist?«
»Ein Lügendetektor«, sage ich prompt.
»Sie schauen sich gerne Spionagefilme an.«
»Komödien. Robert de Niro, als knochenharter Ex-CIA-Agent, ist mit so einem Teil seinem vertrottelten Schwiegersohn auf die Pelle gerückt.«
»Meine Braut, ihr Vater und ich.«
»Sie haben den Film gesehen?«, frage ich.
»Einer meiner Lieblingsstreifen. Das hier ist die original Requisite.«
»Sie veräppeln mich?«
Er grinst und ich weiß auch ohne Lügendetektor, dass er geschwindelt hat.
»Bitte beantworten Sie mir jetzt meine Fragen. Es wird nicht wehtun.«
Was dann folgt, ist eine Reihe von Kontrollfragen, um sicherzustellen, dass der Detektor bei mir funktioniert. Eine davon ist, ob mein Name Aeia Engel sei. Ich muss die Frage mit Ja und auch mit Nein beantworten, damit die unterschiedlichen Ausschläge eingeschätzt werden können.
»Ja?«, antworte ich auf die Frage, ob ich eine Frau sei.
Der Zeiger zuckt nicht mit der Wimper. Meine Antwort entspricht somit der Wahrheit.
»Wurden Sie schon einmal hinters Licht geführt?«
»Hinters Licht? Sie meinen, ob mich jemand angelogen hat?«
»Ja«, sagt Palo Davidi und lächelt mich an. Ich scheine wieder Pluspunkte zu sammeln.
»Nun, ich denke schon viele Male.«
Der Zeiger schlägt aus. Anscheinend habe ich gelogen.
»Das Gerät ist kaputt. Ich habe Sie gerade nicht angelogen«, wehre ich mich entrüstet, gegen die Einschätzung des Lügendetektors.
Er überhört mich und stellt die nächste Frage: »Sind sie ein Mensch?«
»Was denn sonst?«
»Frau Engel, ich bin derjenige, der hier die Fragen stellt.« Ich gehe davon aus, dass wir uns immer noch bei den Kontrollfragen befinden, also spiele ich weiter mit.
»Nein, natürlich nicht«, sage ich. Der Zeiger zuckt keinen Millimeter. Ich habe also soeben die Wahrheit gesagt. Jetzt bin ich sehr verwirrt. Anscheinend habe ich die Funktion des Lügendetektors noch nicht ganz begriffen.
»Waren Sie in der Vergangenheit schon einmal in diesem Gebäude?«
»Nein.« Der Zeiger schlägt aus und ich habe spätestens in diesem Moment keine Ahnung mehr, was das zu bedeuten hat. Ich blicke panisch.
Palo Davidi bemerkt das.
»Frau Engel, selbst wenn der Zeiger sich nicht so verhält, wie Sie es vielleicht erwarten, werde ich Sie nicht entlassen. Hilft das, Ihre Nerven etwas zu beruhigen? Sie wissen doch, warum Sie hier sind. Sie glauben doch nicht wirklich daran, dass ich hier gerade den Wahrheitsgehalt Ihrer Aussagen messe?«
»Sie messen Talentwellen?«, frage ich irgendwie doof, aber bevor Palo Davidi auf mich eingehen kann, muss er das Büro verlassen.
Jemand hat sich mit einer seltsamen Abfolge von Klopfzeichen an der Bürotür bemerkbar gemacht, woraufhin Palo Davidi sich für ein paar Minuten entschuldigt.
Ich sitze da und warte, betrachte die aufgemalten Ausschläge auf dem Papierstreifen, die mir sinnlos erscheinen. Die Anschlüsse an meiner Haut beginnen bereits zu jucken, was ein sicheres Zeichen dafür ist, dass ich mich hier wegwünsche. Ich denke an die Unterhaltung in Meusburgers Büro, die schon eine Ewigkeit her zu sein scheint. Ich denke an Mozart, den begnadeten Musiker und Komponisten.
»Sag schon, bin ich talentiert?«, frage ich den Kasten mit einem rebellischen, mir bisweilen unbekannten, Unterton in meiner Stimme. Die Nadel bleibt stumm. Ich muss kichern. Palo Davidis Stimme ist kaum wahrnehmbar. Er steht noch vor der Tür. Ist noch in ein Gespräch verwickelt. Und ich bin mit meinen Gedanken in ein Selbstgespräch verwickelt. Was tue ich hier eigentlich? Sitze in einem Büro aus der Steinzeit und bin an einem Kasten angeschlossen, der an mir irgendein Talent feststellen oder beweisen soll.
»Ich bin begnadet wie Mozart«, schauspielere ich und versuche die ganze Situation ins Lächerliche zu ziehen. Vermutlich nur, um von meiner Angst abzulenken, talentfrei auf die Straße gesetzt zu werden.
An der sich veränderten Tonlage von Palo Davidi und seinem offensichtlich männlichen Gesprächspartner, leite ich ab, dass sie bald zum Schluss kommen werden. Ich nutze die mir verbleibenden Sekunden, um mich noch etwas in dem Büro umzublicken, als meine Augen etwas sehen, das mein Herz für einen Moment zum Stillstand bringt. Ich klebe an dem Papier fest, auf dem der Zeiger seine Ausschläge aufmalt. Eine Spitze, wie die des Mount Everest, zeichnet sich darauf ab. Wo kommt die her?
»Ich bin begnadet wie Mozart!«, sage ich. Der Zeiger schießt wie eine startende Rakete empor und senkt sich wieder in die Ausgangsposition.
Verdammt.
Davidi kann jeden Moment zurückkommen.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Das Papier herausreißen?
Nein.
Ich entscheide mich für etwas anderes.
Beginne damit, alle mir gestellten Fragen zu wiederholen. Der Zeiger schreibt alle Kurven erneut auf das Papier. Ich beantworte die letzte Frage - ob ich schon einmal in dem Institut war - just in dem Moment, als Davidi die Türklinke betätigt und wieder sein Büro betritt.
»Alles in Ordnung?«, fragt er mich.
Ich hoffe, er bemerkt nicht meine Atemlosigkeit. Ich sehe auf das Papier und bin erleichtert, dass die riesige Spitze unter der Rolle verschwunden ist. Alles sieht so aus wie zuvor.
»Alles ok«, sage ich.
»Tut mir leid, dass wir unterbrechen mussten.«
»Ist für mich okay.«
»Ich will mit den Fragen fortfahren.«
»Okay.«
»Haben Sie schon einmal einen Menschen getötet?« Ich reiße meine Augen auf.
»Nein«, sage ich. Der Zeiger verharrt in der Grundposition. Ich hoffe, das ist ein gutes Zeichen.
»Hatten sie schon einmal Visionen zukünftiger Ereignisse?«
»Ja«, sage ich zögerlich. Wer hat nicht schon ein Déjà-vu erlebt. Der Zeiger bleibt stumm. Palo Davidi lächelt nicht.
»Frau Engel, ich denke, ich habe mich in Ihnen getäuscht.«
Oh Gott.
»Ich werde sie entlassen. In Ihnen schlummert kein Talent.«
Ich bin stumm.
»Sie lügen!«
Der Zeiger schlägt nach oben aus. Nicht so weit wie vorhin, als Palo Davidi nicht anwesend war. Aber dennoch höher als bei allen anderen Fragen.
Der Mann lächelt mich an.
»Das ist es. Ich weiß noch nicht, wie es Ihnen gelingt, ob Körperkontakt notwendig ist, oder ob Sie die Schwingungen in der Atmosphäre wahrnehmen. Wie bei einem Energiefeld vielleicht. Ich kenne nicht die Ursache, aber Sie können es seit dem Tag Ihrer Geburt.« Er stöpselt mich von dem Detektor ab. »Das Institut zählt auf Ihre Fähigkeiten und braucht ihre